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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 1
50. Jahrgang | März
Leitartikel
Hauptsache: Ein paar Allianzen geschlossen
Ein Kongress und die Frage nach der musikalischen Lobby ·
Von Juan Martin Koch
Wenn Hartmut Engler, Leadsänger der Gruppe Pur,
vom Geschäftsführer der Deutschen Phono-Akademie Werner
Hay gedrängt den Song zum Hannoveraner Kongress geschrieben
hat und die mit einem Schulgroschen belegte Hit-Single das Nötige
in die Bildungsetats spült, wird das deutsche Musikleben seine
Lektion gelernt haben: Politik wird mit Personen und Schlagworten
gemacht. Und in der Rückschau wird das, was sich als Auftakt
der Musikrats-Kampagne Hauptsache: Musik an diesen zwei
Tagen in der Musikhochschule Hannover unter dem Titel Kinder
und Musik im 21. Jahrhundert ereignete, vielleicht als Initialzündung
einer neuen Öffentlichkeit für das Thema der musikalischen
Bildung bewertet werden. Anlass zu Euphorie also?
Der inhaltliche Ertrag des Kongresses dürfte kaum der Maßstab
sein, an dem sich eine Antwort zu orientieren hätte. Sie ist
vielmehr zwischen den Zeilen der in der Kongressbroschüre vorabgedruckten
Statements zu suchen, in den Zwischentönen, mit denen die Referenten
diese dann ins gesprochene Wort übersetzten, und in der Gereiztheit,
die sich hinter den Binsenwahrheiten manch gelassen vorgetragener
Einwände auf dem Podium und aus dem Publikum verbarg. Gereiztheit
deswegen, weil so vieles rund um das Thema Kinder und Musik so nahe
liegend scheint und ohne wirkliche Not in die Ferne eines 21. Jahrhunderts
abzudriften droht, das man im Kongresstitel heranzuholen versuchte.
Die sog. Transfereffekte ...
Da ist zum einen die unselige Diskussion um die Transfereffekte
eines intensivierten Musikunterrichts, besser bekannt unter dem
Schlagwort Musik macht intelligent. Deren Hauptperson
Hans Günther Bastian ist der begnadete Pressesprecher, der
die von allen ersehnten Schlagzeilen provoziert, um sie dann mit
der gebotenen wissenschaftlichen Differenzierung zu verteufeln.
Dass er sich in Hannover, was die Aussagekraft seiner Berliner Langzeitstudie
angeht, in Rückzugsgefechten auf dünnem Eis bewegte, das
um der Sache willen niemand so Recht zum Schmelzen bringen wollte,
war aus wissenschaftlicher Sicht unbefriedigend. Dankbar applaudierte
man aber den Slogans, mit denen er auf dem Niveau von jedes
Kind kann sein eigener Walkman sein in Abgrenzung zur Computeroffensive
Instrumente für alle Schüler einforderte.
Rolle der neuen Medien
Unscharf blieb auch die Rolle, die den neuen Medien zukünftig
für die musikalische Bildung zukommen könnte. Zu undifferenziert
wurde der mögliche Mittelweg zwischen Traditionsbewahrern und
Computer-Euphorikern beschritten, zu beliebig waren und dieses
Problem setzte sich in anderen Panels fort die Diskussionsforen
mit Referenten besetzt, die zwar für wichtige wissenschaftliche
Ansätze oder praktische Projekte standen, aber kaum untereinander
ins Gespräch kommen konnten oder wollten.
Das Signal, das von Vertretern außerhalb der Musikpädagogik
ausgehen sollte, ein Signal der Öffnung und der konzertierten
Aktion, war dennoch weithin sichtbar. Wenn in Pressemeldungen neben
dem VDS-Vorsitzenden Hans Bäßler auch Rolf Zuckowski
mit nachdenklichen Tönen zitiert wird, ist ein erster Schritt
hin zu jenem vielfach beschworenen, aber immer diffus verschwimmenden
Begriff des gesellschaftlichen Umdenkens getan. Ermutigend auch
die Fülle an persönlichen und institutionellen Kontakten,
die sich am Rande des Programms ergaben und deren Erträge sich
wohl als die eigentliche Substanz des Kongresses erweisen dürften.
Andere nahmen ihre Chance, als Teil dieses politischen Signals
zur Kenntnis genommen zu werden, erst gar nicht wahr: Welchen Namen
man dem Kind auch gibt, Dachkampagne oder Hauptsache, man muss es
an geeigneter Stelle dann auch beim Namen nennen. Die medial verwertbare
Präsenz des Deutschen Musikrats beschränkte sich aber,
was seinen Präsidenten betrifft, auf die lässig bis nachlässig
absolvierten Pflichtübungen Pressekonferenz und Grußwort,
wobei letzteres in der schriftlichen Version die Worte Dachkampagne
und Hauptsache: Musik sogar erfolgreich vermied. In
den Eröffnungs- und Abschlussdiskussionen hatte man auf eine
Mitwirkung des Musikrats ganz verzichtet, so dass der Eindruck einer
von Phono-Akademie und Hochschule getragenen, lediglich mit einem
weiteren Etikett beklebten Initiative um so klarer hervortrat.
Neue Allianzen
Aber vielleicht machen in Sachen musikalische Bildung neue Allianzen
einen Dachverband ohnehin bald überflüssig: Marketingexperten
aus der Phonoindustrie entwickeln Strategien, die im umkämpften,
weil schrumpfenden Segment der Kinder- und Jugendmusik neben dem
CD-Umsatz hie und da auch den Instrumentenkauf ankurbeln, und die
Schulmusiker tun sich mit den angesagtesten Kinderliedermachern
und Jungpop-Idolen zusammen, damit es im Musikunterricht ein- oder
zweimal so richtig kracht. Den Quintenzirkel vermittelt eine von
Software-Ausstattern und GEMA gesponsorte Multimedia-Show, die periodisch
von der väterlichen Ermahnung Reinhold Kreiles unterbrochen
wird, die Autorenrechte auch in Zeiten des Internets und des CD-Brenners
zu achten.
Die Personalisierung und Professionalisierung der musikalischen
Lobbyarbeit auch dies machte Hannover deutlich bedarf
dringend weiterer pädagogischer Profilierung. Diese müsste
nun bis zu einer begrüßenswerten Fortsetzung des Kongresses
in zwei Jahren in Angriff genommen werden.