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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 10-11
50. Jahrgang | März
Musik
in den Städten
Musikleben im Umbruch zwischen Provinz und Metropole
Bleibt Mainz wirklich Mainz? Eine kulturpolitische Umschau von
Andreas Hauff
Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht! Kaum etwas
aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt hat sich so
tief ins bundesdeutsche Bewusstsein eingegraben wie die Fernsehfastnacht.
Nicht ohne Zutun der Mainzer allerdings: Oberbürgermeister
Jens Beutel zum Beispiel feierte die Mainzer Hofsänger zu ihrem
75-jährigen Jubiläum als Inbegriff für Mainzer
Lebensgefühl und Lebensart. Hat Lars Reichow, der erfolgreiche
junge Mainzer Kabarettist, Recht mit seinem Hymnus auf die Stadt?
Denkst gern an die Zukunft / doch fehlt dir die Vision / ein
Blick nach vorn / und zwei zurück zur Tradition. Die
Stadt ist sichtlich im Umbruch; etliche Bauprojekte der letzten
Jahre dokumentieren die Tendenz zu einem rigorosen Stadtumbau, der
sich weniger an den so gerne gepriesenen menschlichen Dimensionen
der Stadt zu orientieren scheint als an dem Bedürfnis, im Konzert
der Großstädte des Rhein-Main-Gebietes endlich gleichberechtigt
mitzuspielen. Mainz bleibt Mainz aber wie?
Der Flug (Rainer
Fetting) über dem Kleinen Haus des Staatstheaters. Foto:
Jauk
Natürlich gehört Johannes Gutenberg zum Gepäck,
das der Medienstandort Mainz, Sitz des ZDF, ins 21.
Jahrhundert mitnehmen möchte. Am Ende des mit hohen Erwartungen
ausgerufenen Gutenberg-Jahres 2000 stand eher Enttäuschung
über die geringe Resonanz von Auswärts. Für das Musikleben
jedoch gab es reiche Impulse: Neun Kompositionsaufträge vergab
die Stadt Mainz an zeitgenössische Komponisten; übers
Jahr verteilt gab es Uraufführungen an den verschiedensten
Orten mit verschiedenen Mainzer Künstlern und Ensembles. Am
innovativsten war davon sicher die multimediale Konzertante
Ausstellung im Kleinen Haus des Staatstheaters mit Uraufführungen
von Peter Eötvös, Peter Knodt und Georg Birner. Hier wirkten
neben dem Staatstheater das Peter-Cornelius-Konservatorium, der
Fachbereich Musik der Universität und der Fachbereich Gestaltung
der Fachhochschule Wiesbaden mit ein ungewöhnliches
Crossover-Projekt in einer Stadt, deren Musikleben traditionell
aus lauter voneinander getrenn- ten Nischen zu bestehen scheint.
Die konservative Grundhaltung des Mainzer Publikums spiegelt sich
in den Programmen der Sinfoniekonzerte der Mainzer Konzertdirektion
in der Rheingoldhalle und des Philharmonischen Orchesters am Staatstheater.
Am Staatstheater dürfte Catherine Rückwardt, die zur kommenden
Saison die Nachfolge des scheidenden GMD Stefan Sanderling antritt,
neue Impulse setzen. Als das größte Defizit das Mainzer
Konzertlebens empfindet man indes allgemein das Fehlen eines akustisch
günstigen, atmosphärisch angenehmen und räumlich
unterteilbaren Konzertsaals. Aus dieser Not geboren, entstand eine
zunehmend erfolgreiche sommerliche Konzertreihe. Unter dem Motto
Klassische Musik im Klassischen Raum gelang es der im
städtischen Auftrag arbeitenden Mainzer Konzertdirektion, etliche
attraktive Konzertorte für ein Sommerfestival zu erschließen,
mit dem die Stadt Mainz dem erfolgreichen Rheingau-Musik-Festival
auf der hessischen Rheinseite ein durchaus attraktives Pendant zur
Seite stellt.
In puncto Kammermusik sei vor 30 Jahren in Mainz noch völlig
tote Hose gewesen, erinnert sich Volker Müller,
Musikreferent im Kulturdezernat. Mittlerweile gibt es Kammermusik
nicht nur im Frankfurter Hof, sondern auch an verschiedenen Veranstaltungsorten
der Mainzer Rathauskonzerte und nicht zuletzt in der
am Eingang zur Mainzer Oberstadt oberhalb des Hauptbahnhofs angesiedelten
Villa Musica. Diese Stiftung der Landesregierung veranstaltet landesweit
über 150 Konzerte pro Saison, zum Teil auch in Mainz, und arbeitet
zugleich mit einem ausgefeilten Programm an der Förderung des
musikalischen Spitzennachwuchses. Obwohl mit dem Frankfurter Hof,
dem KUZ (Kulturzentrum) und neuerdings der Alten Patrone,
einer ehemaligen Munitionsfabrik im Stadtteil Hartenberg, drei attraktive
Konzertorte zur Verfügung stehen, fühlt sich die Mainzer
Rock- und Jazzszene von der Stadt vernachlässigt. Man beklagt
das Fehlen von Probenräumen, Zuschüssen und Auftrittsmöglichkeiten.
Im Kulturdezernat bedauert man die durch den kurzfristigen Wegfall
von Sponsorengeldern entstandenen Kürzungen der populären
sommerlichen Konzertreihe Mainz lebt auf seinen Plätzen,
verweist aber zugleich auf die Federführung des Jugenddezernats
im Bereich der Jugendkulturarbeit. Kulturdezernent Peter Krawietz
verspricht zumindest ein offenes Ohr. Und den meisten,
sagt er, wird auch geholfen, wenn sie in der Lage sind, ihr
Anliegen klar zu formulieren.
Aus etlichen Gesprächen wird deutlich: Gerade weil die Jazz-
und Rockszene von Spontaneität und Improvisation lebt und in
kleine Gruppen zerfällt, tut sie sich schwer mit gegenseitiger
Vernetzung, langfristiger Planung und klaren Zielen. Dass am 24.
und 25. März im Haus der Jugend unter dem Titel
Töne 2001 eine aus Workshops und Konzerten bestehende
Gegenveranstaltung zur Frankfurter Musikmesse stattfinden soll,
erfährt man eher zufällig per Mundpropaganda.
In ähnlicher Weise macht auch eine traditionsreiche, eher
in Insider-Kreisen bekannte Veranstaltung von sich reden, die im
Zeichen allgemeiner Kommerzialisierung der Alternativkultur als
kostbarer Anachronismus erscheint: Ins 27. Jahr geht inzwischen
das Open-Ohr-Festival, das über Pfingsten auf dem
Gelände der Mainzer Zitadelle stattfindet. Alljährlich
stehen Musik, Literatur, Kabarett, Theater und Film in programmatischem
Zusammenhang mit einem Thema, das in kompetent besetzten Diskussionforen
unter intensiver Beteiligung des Publikums bearbeitet wird. Vom
1. bis 4. Juni 2001 wird es um den politischen Extremismus und die
Frage seiner Verwurzelung in der Mitte der Gesellschaft gehen.
Mitten im Zentrum, gegenüber dem Gutenberg-Denkmal an der
Ludwigstraße, liegt das Staatstheater. Derzeit wird das 1832
errichtete Große Haus generalsaniert, als Ausweichquartier
für das Große Haus dient die Phönixhalle im Mainzer
Industrie-Vorort Mombach, die bis zum Abzug der US-Streitkräfte
als Panzerwerk gedient hatte. Im Oktober 2000 hätte das Große
Haus wiedereröffnet werden sollen; der überraschend marode
Zustand des Altbaus und wiederholte Umplanungen nötigten Intendant
Georges Delnon jedoch, die Planungen für eine ambitionierte
Eröffnungsspielzeit kurzfristig fallen zu lassen und für
ein weiteres Jahr mit geschrumpftem Ensemble einen Ersatzspielplan
zu konzipieren. Die befürchtete Durststrecke blieb aus. Im
Musiktheater stehen zwar mit Carmen, Evita,
Salome und der Entführung aus dem Serail
in der Phönixhalle ausgesprochene Repertoirestücke auf
demSpielplan, allerdings in durchweg profilierten Inszenierungen.
Im Kleinen Haus setzte der Kabarettist Michael Quast sehr präzise
seine witzige Version von Jacques Offenbachs Großherzogin
von Gerolstein in Szene. Jetzt kommt auch das Kabarett-Publikum,
und die Visionen sprießen: Müsste Offenbach nicht gerade
in Mainz einen Platz haben mit der historischen Nähe
zu Frankreich, mit Staatstheater, Unterhaus, Deutschem
Kabarettarchiv und Institut Français am Ort? Quast, dem am
4. März 2001 im Unterhaus der Deutsche Kleinkunstpreis in der
Sparte Kleinkunst verliehen wird, wirft in der jüngsten Ausgabe
der Theaterzeitung einen Stein ins stille Wasser: Die Spezialisten
sind vor Ort, aber mea culpa sie reden nicht miteinander.
Intendant Delnon jedenfalls strebt eine stärkere Vernetzung
der Aktivitäten des Theaters an.
Am 14. September 2001 soll mit einer spartenübergreifenden
Premiere die Wiedereröffnung des Großen Hauses stattfinden.
Dann werden einem durchweg aufgestockten Ensemble nun erstmals drei
Bühnen (mit 924, 463 und 99 Zuschauersitzen) zur Verfügung
stehen. Die eigentlich für 2000 geplante Uraufführung
von Gavin Bryars Gutenberg-Oper, einer Auftragskomposition
des Theaters, soll im Frühjahr 2002 auf die Bühne kommen,
ebenso (als zweite deutsche Aufführung nach der Dresdener Premiere
im März 2001) Peter Ruzickas Celan. Mit Hanns Dieter
Hüsch, dem 75-jährigen Altmeister des Kabaretts, dessen
Laufbahn einst in Aula und Musiksaal der Mainzer Universität
begann, wird über eine Opernregie verhandelt, die Mainzer Chöre
will Delnon an Oratorien-Inszenierungen beteiligen.
Die stärksten künstlerischen Impulse am Theater hat
bislang Ballettdirektor Martin Schläpfer gesetzt, der seinen
Vertrag gerade bis zum Ende der Saison 2003/04 verlängert hat.
Dass schon die ersten drei Produktionen der inzwischen 20-köpfigen
Balletttruppe nicht nur für eine neue Tanzbegeisterung in Mainz,
sondern auch für überregionale Aufmerksamkeit sorgten,
dass das Ensemble in dieser Saison in Weimar, Freiburg und Lübeck
gastiert, dass das ZDF für 3sat gar das Programm III
im Mainzer Theater (!) aufzeichnete, all das straft den traditionellen
Kleinmut Lügen und weckt auch Ambitionen. Auf die Dauer könnte
das Staatstheater mit seinem Jahresetat von derzeit noch 45 Millionen
Mark nicht nur zum Forum der städtischen Öffentlichkeit
werden, es dürfte auch innerhalb der Region starke Ausstrahlung
entwickeln.
Vom Theater zum Peter-Cornelius-Konservatorium im traditionsreichen
Dalberger Hof ist es nicht nur geografisch ein kurzer Schritt. Auch
Konservatoriumsdirektor Gerhard Scholz, seit drei Jahren im Amt,
bemüht sich mit den verschiedensten Projekten um die vielfältige
Vernetzung sei- u unes Hauses. Auch er musste im Jahr 2000 wegen
der Bauverzögerungen am Theater ein ambitioniertes Gutenberg-Projekt
verschieben, weil die Phönixhalle als geplanter Spielort nicht
zur Verfügung stand. Im April 2001 wird in Kooperation
mit der FH Mainz nun das Gutenberg-Musical Das Geheimnis
des schwarzen Giftes (Buch: Christian Schidlowsky, Musik:
Guus Ponsioen) zur Aufführung kommen.
Musik werde zu sehr als Teil der Highlight-Kultur angesehen,
äußert Direktor Scholz im Gespräch; ihm komme es
dagegen auf eine stärkere Verankerung in der Alltagskultur
an; sie müsse wieder zum lebendigen Bestandteil der Gesamtgesellschaft
werden. Er verweist auf das besondere Profil der Ausbildungsstätte
Peter-Cornelius-Konservatorium, die mit Berufsausbildung und Musikschule
zwei sich gegenseitig ergänzende Standbeine besitze, die in
Zukunft noch stärker zu verbinden seien. Mit dem Fachbereich
Musik der Universität ist ein Kooperationsvertrag in Vorbereitung.
Beide Häuser haben sich nach jahrzehntelanger Rivalität
nicht nur auf einen gemeinsam verantworteten Diplom-Studiengang
Musik verständigt, sondern zum Wintersemester 2000/2001 auch
einen innovativen Bachelor-Studiengang eingerichtet (siehe nmz 2/2001,
S. 24).
Eine stärkere Vernetzung und Kooperation im Musikleben der
Stadt wünscht sich auch Kulturdezernent Krawietz, gibt aber
zu bedenken, dass Künstler zumeist Individualisten seien. Kulturpolitik
müsse sich vor Dirigismus hüten; sie solle das ermöglichen,
was die kreativen Kräfte in der Stadt bräuchten; auch
das spezifische Gesicht des Mainzer Musiklebens innerhalb des Rhein-Main-Gebietes
könne nur aus dem in der Stadt arbeitenden kreativen Potenzial
entstehen. Zwischen dem umfangreichen Forderungskatalog des 1999
erarbeiteten Stadtleitbildes und den Finanzierungsmöglichkeiten
der Stadt klaffe allerdings ein Abgrund, und immer wieder stoße
das personell unterbesetzte Kulturdezernat auf seine Grenzen. Den
allseits vermissten neuen Konzertsaal wird es freilich geben
allerdings als Nebenfolge des aufblühenden Kongresswesens
im Zuge der Erweiterung der Rheingoldhalle.
Krawietz, der die Stadt Mainz im Arbeitskreis Kultur der Regionalkonferenz
vertritt, plädiert für verstärkte Kooperation innerhalb
des Rhein-Main-Gebiets und für das interregionale kulturelle
Reisen zwischen Mainz, Wiesbaden, Darmstadt, Frankfurt, Hanau
und Offenbach. In der Tat: Mainz, so provinziell es sich
mitunter noch gibt, ist nicht mehr Provinz. Erst kürzlich verabschiedeten
Spitzenmanager und Wissenschaftler in Frankfurt den Aufruf zu einer
Stiftungsiniative, die eine Strukturausstellung Urbane Metropole
Rhein-Main vorantreiben soll. Die in diesem Zusammenhang zitierte
Äußerung, im Umkreis von 50 Kilometern um Frankfurt gebe
es vier oder fünf Opernhäuser, die alle den gleichen Anspruch
hätten, ihn aber nicht erfüllten, zeugt allerdings eher
von Arroganz als von Sachverstand. Ob die Wirtschaft die Kultur
zum Standortfaktor degradieren wird, oder ob es der Kulturszene
gelingen wird, den Götzen Wirtschaft auf den Prüfstand
zu stellen, ist gerade in Rhein/Main eine spannende
Frage. Mainz wird jedenfalls nur dann Mainz bleiben, wenn es sich
ändert. Ob der Wandel gestaltbar bleibt oder die Stadt überrollt,
ist hier, wie andernorts, die Frage.