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nmz-archiv
nmz 2000/10 | Seite 52
50. Jahrgang | März
Nachschlag
Akten-Einsicht
Im Interesse der Opfer der Ausforschungstätigkeit des Ministeriums
für Staatssicherheit der DDR sind dessen Akten nach der Wende
nicht, wie von manchen gefordert, vernichtet worden. Sie werden
von der nach ihrem ersten Leiter benannten Gauck-Behörde
geordnet und verwaltet; innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens
ist, auch heute noch, Einsicht möglich. Die Einsichtnahme hat
stets zwei Folgen: Das Opfer erfährt, von wem es bespitztelt
wurde und wie eingetretene Schäden in seinem privaten, beruflichen
oder gesellschaftlichen Umfeld zu Stande gekommen sind. Und der
Spitzel, ob er nun hauptberuflicher oder inoffizieller, informeller
Mitarbeiter des MfS war, ist in aller Regel enttarnt. Wie im deutschen
Strafrecht üblich, ist das Interesse des Staates und
auch der Öffentlichkeit weit mehr auf Verfolgung und
Bestrafung des Täters gerichtet denn auf Entschädigung
des Opfers. Für die Opfer ist das ein schwer zu ertragender
Zustand.
In den Theatern in den neuen Bundesländern, wie auch in deren
öffentlichem Dienst, war Anfang der Neunzigerjahre auf den
Personalbögen die Frage nach einer Mitarbeit für die Stasi
gestellt. Ein Verschweigen solcher Mitarbeit sollte mit fristloser
Entlassung geahndet werden, was allerdings nur im Freistaat Sachsen
exekutiert wurde. In der Praxis stellte sich das Problem aber nur
selten, da in den Ensembles meist bekannt war, wer, insbesondere
bei den Reise-Kadern, für die Firma gearbeitet
hatte. Eine sehr vernünftige, sehr humane Selbstreinigung fand
statt: In Abwägung der Situation des Täters und des von
ihm verursachten Schadens wurde intern und individuell entschieden.
Dieses Prinzip der individualisierten, nicht pauschalierten Behandlung
des Stasi-Problems sollte auch heute noch gelten. Weder selbstgefälliger
moralischer Rigorismus noch Bestrebungen, Verhaltensweisen der Vergangenheit
aus ihrem historischen Zusammenhang herauszulösen und mit heutigen
Maßstäben zu messen, um sie dann politisch zu instrumentalisieren,
dürfen Platz greifen. Peter Sodann, Intendant des neuen Theaters Halle, selbst
ein zehn Monate lang inhaftiertes Opfer der Stasi, meinte in einem
Interview,
dass es bei einer Schuld immer auch eine Sühne und
eine Vergebung geben muss. Das kann man als Christ fordern, als
Kommunist oder eben einfach als Mensch. Darum plädiere ich
für eine Prüfung des einzelnen Falles, für die
Untersuchung der konkreten Mitarbeit... Denn auch wenn ich eine
moralische Anstalt betreibe, darf ich wohl nicht der höchste
Richter meines Nächsten sein wollen. Mit diesem Anspruch
käme ich doch in gefährliche Nähe zum einstigen
Selbstverständnis der Mannen um Erich Mielke. Und ich würde
möglicherweise Existenzen zerstören, wie sie es getan
haben.