[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 26
50. Jahrgang | März
Pädagogik
Der schwierige Weg zur Oberton-Perfektion
Harry Höfers Unterrichtsmaterial für das Naturhorn
macht Lust auf ein wiederentdecktes Instrument
Wenn in heutiger Zeit Stücke oder gar Unterrichtsmaterial
für ein Instrument wie das Naturhorn geschrieben werden, das
eigentlich in der Kunstmusik auf Grund seiner technischen Rückständigkeit
nichts mehr zu suchen hätte, so mag das nur auf den ersten
Blick etwas mit Anachronismus zu tun zu haben. Denn das Naturhorn
war an sich niemals ganz aus dem Musikleben verschwunden. Ein kurzer
Blick in die Geschichte zeigt, dass nach der Erfindung der Ventile
Anfang des 19. Jahrhunderts noch sehr wohl Naturhörner im Orchester
geblasen wurden, vor allem in Frankreich. Als Jagdhorn hat es sich
sowieso seit jeher größter Beliebtheit erfreut und tut
es noch heute. Tausende von Jagdhornbläsern tummeln sich heute
im Musikleben auf der ganzen Welt und haben es für die durchweg
als Laien auftretenden Spieler zu erstaunlicher Perfektion und Vielfalt
gebracht. Und hier liegt auch eine erste Schnittstelle zu Harry
Höfer, dem Verfasser der hier besprochenen Werke, der seit
über dreißig Jahren Musik für Horn schreibt. Dass
hierbei das Jagdhorn, sprich Naturhorn, eine wesentliche Rolle spielt,
mag ein wenig verwundern, entspricht aber erfreulicherweise der
Realität.
Bei dem Versuch, mit dem Naturhorn Musik zu Gehör zu bringen,
die mehr Töne beinhalten soll, als die der physikalisch festgelegten
Obertonreihe, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man
bedient sich so vieler verschieden gestimmter Naturhörner,
bis alle Töne, die man braucht, vorhanden sind, oder man zaubert
diejenigen Töne, welche nicht der Obertonreihe des gerade benutzten
Horns entsprechen, durch Stopfen mit der rechten Hand im Schallbecher
hervor. Diese Aspekte sind insofern von immenser Bedeutung, weil
sie für zwei völlig unterschiedliche Ideale von Hornklängen
stehen. Die eine mit ihren nur offenen Tönen, die quasi das
Ventilhorn vorwegnehmen will, und die andere, die mit den ganzen
lieben Unzulänglichkeiten des Stopfens, Dämpfens und wieder
Öffnens des Klangs spielt, sie bewusst einsetzt und ihre Reize
geschickt anzuwenden weiß.
Das Naturhorn hat es schon lange verdient, auch im offiziellen
Lehrplan der Musikschulen einen würdigen Platz zu finden. Und
dazu ist mit der Naturhornschule Harry Höfers ein wichtiger
und meiner Meinung nach längst überfälliger Schritt
getan worden. An Hochschulen wird bereits seit vielen Jahren Naturhorn
gelehrt, und das mit nicht immer ganz auf der Höhe der Zeit
stehenden Unterrichtsmaterialien des 19. Jahrhunderts. Die Studenten
sind in der Regel des Blasens an sich mächtig und wollen sich
nun mit dem Instrument vertraut machen, entweder aus reinem Spaß
an der Freude oder um damit auch auf dem nicht zu vernachlässigenden
Markt der Alten Musik ein wenig Fuß zu fassen.
In modernen Sinfonie- oder Opernorchestern spielt das Naturhorn
eine bisher eher untergeordnete Rolle.
Historische Naturhornschulen
Im Gegensatz zum Höferschen Material gehen die meisten
Naturhornschulen von einer strengen Trennung der hohen und tiefen
Hornisten aus, das heißt, dass bei den hohen Bläsern
eine quasi angeborene perfekte Höhe vo-rausgesetzt wird, welche
nur noch durch oft grausam anstrengende Etüden gestärkt
wird. Bei den tiefen Bläsern werden neben den tiefen Tönen
vor allem atemberaubende Akkordbrechungen trainiert. Während
die hohen Hornisten früher wirklich reine Ansatzspezialisten
mit zum Teil eklatanten tonlichen Schwächen waren, so setzte
man bei den tiefen Bläsern eine weit höhere Flexibilität
und einen schöneren Ton voraus, was dazu führte, dass
Kammermusiken und viele Solowerke eher für tiefe und damit
virtuosere Hornisten gedacht waren. Heute ist man in diesem Punkt
ein
bisschen weiter, wobei die Trennung von hohen und tiefen Hornisten
naturgemäß weiter existiert, allerdings nicht mehr so
extrem. Höfer setzt diesen beiden Spezifikationen noch eine
dritte, mittlere Klasse hinzu.
Und da genau setzt eines der Probleme mit Etüden und Übungen
für Naturhornisten an. Gut zu üben heißt, seinen
Ansatz auf alle Problemzonen des Horns einzustellen und mit den
durchaus im Instrument vorhandenen Schwächen fertig zu werden.
Das ist jedoch bei einem Naturhorn auf Grund der großen Abstände
der Naturtöne in den ersten zwei Oktaven für einen ungeübten
Bläser gar nicht so leicht. Es ist auch für einen erfahrenen
Spieler nicht einfach, sich über einen längeren Zeitraum
vernünftig ausschließlich mit dem Naturhorn einzublasen
und damit für den musikalischen Alltag gerüstet zu sein.
Leider wird auf diesen Umstand in Höfers Unterrichtsmaterial
nicht hingewiesen, geschweige denn eine Lösung des Problems
vorgeschlagen.
Um auf einem Naturhorn eine spezielle Tonart zu spielen, muss
man zunächst den richtigen Bogen auswählen. Hier gibt
es nun von B-basso bis c-alto fünfzehn Möglichkeiten,
von denen aber für einen solistischen Vortrag nicht alle in
gleichem Maße geeignet sind. Während die Jagdhor-nisten
mit Es- respektive D-Hörnern ausreichend Material in Händen
halten, um wenigstens die traditionellen Musiken zu bewerkstelligen,
ist der Rest der Hornwelt auf wesentlich mehr Bögen angewiesen.
In folgendem Punkt sind sich die meisten historischen Schulen für
Naturhorn einig: Die langen Bögen (B-basso bis Des) sprechen
vor allem im Stakkato zu ungenau an und sind ab der dritten Oktave,
in der sogenannten Clarinlage, in ihrer Treffsicherheit ein wenig
anfällig für kleinere Störungen, sogenannte Kiekser.
Bei den höheren Bögen (g bis a-alto) liegt die Clarinlage
für viele Hornisten in unerreichbaren Lagen, diatonische oder
chromatische Tonfolgen ohne Stopfen werden somit erheblich erschwert,
zudem ist das Blasen in der Höhe sehr anstrengend. Die mittleren
Bogenlängen (D bis F) sind somit am besten geeignet. Die Jagdhornbläser
wissen schon, was sie tun. Zu Unterrichtszwecken sollten natürlich
alle Tonarten ausgiebigst studiert werden, das heißt, sowohl
alle Bögen, aber auch alle Tonarten, auch bogenfremde.
Gerade die Orchesterliteratur verlangt durchweg eine große
Flexibilität in der Handhabung dieser Dinge.
Eine weitere Problematik des Naturhornblasens, welche in den besprochenen
Höferschen Werken keine Beachtung findet, ist die differenzierte
Stopftechnik bei langen und bei kurzen Bögen. Da beim Wechsel
der Bögen die Stürze, also der Teil des Korpus, der für
das Stopfen mit der rechten Hand verantwortlich ist, nicht mit ausgewechselt
werden kann, ändert sich auf Grund der unterschiedlichen Gesamtlängen
des Horns bei verschiedenen Bögen auch der Grad, mit dem die
Hand in der Stürze bewegt werden müsste. Viele Hornisten,
die auf einem modernen Doppelhorn versuchen, auf dem B-Horn, was
dem B-alto-Horn entspricht, zu stopfen, wundern sich des öfteren,
warum einige Töne stimmen, andere wiederum nicht und es auf
einigen Modellen gut und auf anderen überhaupt nicht geht.
Will man auf einem langen Instrument einen Halbton durch Stopfen
eines Naturtons erreichen, so fällt das Ergebnis im Unterschied
zum kurzen Instrument bei genauerer Betrachtung ext-rem unterschiedlich
aus, da die Hand beim völligen Schließen immer dieselbe
Position einnehmen muss. Theoretisch ist es somit auf einem B-alto-Horn
eigentlich unmöglich, einen Naturton um einen halben Ton heraufzustopfen,
da die Hand auf Grund der kurzen Gesamtlänge des Horns proportional
gesehen zu weit in die Stürze hineinlangt und es dort um genau
dreiviertel eines Ganztons verkürzt. Das schränkt seinen
Einsatz in einer Komposition, will man denn solche Halbtöne
verwenden, enorm ein.
Gerade bei Mischbesetzungen mit verschiedenen Stimmungen, wie Harry
Höfer sie etwa in seinen Trios vorschreibt, kann das zu merkwürdigen
Intonationsproblemen führen, über deren Lösung zumindest
der Lehrer Bescheid wissen sollte. Entsprechende Anweisungen sucht
man jedoch vergeblich. Überhaupt fallen die Erläuterungen,
was die naturhornspezifischen Spiel- und Stopftechniken angeht,
bei Höfer recht mager aus. In Anbetracht der teuren Anschaffungspreise
für historische Hornschulen, die dann doch beschafft werden
müssten ein nicht unbeträchtliches Manko.
Das neue Material
Nun ist Harry Höfer in erster Linie Komponist und für
die Hornwelt unersetzlich. Die Spielstücke im Unterrichtsmaterial
und die Sonaten sind sehr gut dazu geeignet, bei den noch unerfahrenen
Hornisten durch den Reiz der Kompositionen, die Lust am Naturhornspiel
zu wecken und weiter auszubauen. Die Duette und Trios besitzen,
wie auch die fünf Sonaten, echte Aufführungsqualitäten
und werden sicher nicht nur bei Musikschulveranstaltungen ihre Liebhaber
finden. Das große Format der Noten und die äußerst
kurzlebige Kunststoff-Ringbindung werden aber einer weiten Verbreitung
der Noten eher hinderlich sein. Die Schreibweise und die musikalischen
Spielanweisungen sind in einer Legende ausführlich erklärt
und lassen nichts im Unklaren. Die vielen Stopfanweisungen und Erklärungshilfen
im fortlaufenden Notentext lassen schon einmal den Überblick
verlieren, stellt aber für diejenigen, die sich länger
damit befassen, vermutlich keine besondere Schwierigkeit dar. Warum
man jedoch alle Stopftöne ständig und bis zur letzten
Note auch für junge Schüler in den Notentext hineinschreiben
muss, ist nicht immer nachvollziehbar. Man sollte die Merkfähigkeit
von Kindern und Jugendlichen nicht zu sehr unterschätzen.
Zum Notationsstil der verschiedenen Hornstimmungen muss man wissen,
dass es auch hier zwei in sich recht unterschiedliche Verfahren
gibt, die beide seit Generationen, wenn auch nicht völlig gleichberechtigt,
nebeneinander existieren. Die klingende Notation als dritte Art
soll hier, da sie nicht gebräuchlich ist, außen vor bleiben.
Am gängigsten ist die Notation aller Stimmungen in C, bei der
nur sehr wenige oder gar keine Grundvorzeichen vonnöten sind.
Bei dieser Art erkennt der Spieler auf den ersten Blick, ob und
wie er einen Ton hervorbringen, beziehungsweise was er zu seiner
Intonationsreinheit unternehmen muss: bei offenen Tönen (Naturtöne)
eben nichts weiter als richtig hineinzublasen und bei gestopften
oder zu treibenden (Nicht-Naturtöne) eben das zu tun, was er
für nötig erachtet. Da es hier enorme Differenzen zwischen
einzelnen Hornisten gibt, ist die zweite Notationsart, die im Folgenden
erklärt werden soll, fürs Naturhornspiel eigentlich ungeeignet.
Bei dieser Art legt man eine Grundstimmung bei Höfer
ist es in der Regel Es-Dur fest, an der sich dann alle anderen
Stimmungen orientieren und diese bekommen dann eventuell Vorzeichen,
sprich sie müssen transponieren. Beim Naturhorn verkompliziert
sich die Sache insofern ungemein, als man bei transponierten Stimmen
nicht auf den ersten Blick erkennen kann, was mit einem Nicht-Naturton
zu machen ist. Hier hilft nur das Eintragen von Hilfszeichen, die
den Notentext aber nicht gerade verschönern, und ein Vom-Blatt-Spielen
gar unmöglich machen. Für wirklich wichtige Eintragungen
sollte der Spieler noch genügend Raum haben. Wenn man nun in
einem Werk auch noch oft den Bogen wechseln muss, dann ist echte
Denkarbeit gefordert. Für Anhänger der reinen C-Notation
hat Höfer aber eine Fassung seiner Trios und Duette in der
alten Schreibweise beigelegt, man hat also die Wahl.
In der Methodik einer Musikschulausbildung wird dieses Lehrwerk
sicher einen hohen Stellenwert einnehmen. Es bietet unverbrauchte
und reizvolle Musik, in der die Grundlagen des Naturhornblasens
um eine wichtige und ernst zu nehmende Variante erweitert werden.
Die anderen von Höfer vorliegenden Kompositionen für Naturhorn
(Eigenverlag) sind ebenfalls hervorragend und können nur allerwärmstens
zur Pflege des Ensemblespiels empfohlen werden. Dass in vielen Stücken
(nicht den hier besprochenen) manchmal große bis sehr große
Besetzungen gefordert sind, ist für viele Musikschulen, die
Lust auf mehr bekommen haben, ein sicher nicht leicht zu lösendes
Problem.
Wilhelm Bruns
Harry Höfers Unterrichtsmaterial ist für die Unterstufe
I und II (U I/II) sowie für die Mittelstufe (M) konzipiert,
mit eigenen Bänden für Schüler und Lehrer:
U
I/II: für Schüler ein Band wahlweise für hohes,
mittleres oder tiefes Horn (die enthaltenen Spielstücke als
Einzelstimmen); für Lehrer U I und II getrennt mit Partituren
der Stücke M:
für Schüler ein Band für hohes oder tiefes Horn
(Spielstücke als Teilpartituren); für Lehrer alles in
einem Band; außerdem ein Transpositionsband Die
Sonaten IV sind in Einzelheften erschienen. Horn- oder Klavierstimmen
können einzeln bestellt werden Bezugsadresse:
Helga Höfer, Pastorskamp 59, 48301 Nottuln, Tel. 02509/282,
Fax 93 05