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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 17
50. Jahrgang | März
Rezensionen
Über die Zeiten
Es ist schon gewagt, zwei französische Komponisten, die im
Abstand von über fünfhundert Jahren lebten, innerhalb
eines Konzert- und CD-Programmes zusammenzuführen vor
allem, wenn die Interpreten dann noch auf nichtwestlichen Instrumenten
musizieren. Der 1377 verstorbene Machaut war einer der ersten Komponisten,
die sich selbstbewusst zu ihrer künstlerischen Individualität
bekannten und auch klare Unterschiede zwischen weltlichen und profanen,
ein- und mehrstimmigen Gesängen machten, während der individualistische
Exzentriker Satie sich eindeutig nach rückwärts wandte
und aus Abscheu über die Wagner-Verehrung seiner Zeit dem ausdrucksarmen,
fast noch einstimmigen, kaum individualisierten Komponierideal des
Mittelalters frönte (und nur einer Kirche angehören wollte,
die er selber gegründet hatte). Angesichts solcher Außenseiter
ist das Vorhaben schon weniger abwegig. Außerdem machte sich
Thomas Binkleys legendäres Studio der frühen Musik
vor bereits dreißig Jahren für die These stark, dass
die Musik des europäischen Mittelalters ohne die Einflüsse
des Orients, die von türkischer und maurischer Seite auf unsere
Kultur einwirkten, nicht denkbar gewesen wäre; sowohl bezogen
auf einzelne Instrumente wie Oud/Laute als auch auf die noch in
den alten Kirchentonarten fortlebenden Modi. Vladimir Ivanoff, der
musikalische Leiter der international zusammengesetzten Gruppe Sarband,
hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, solche gemeinsamen Wurzeln
auszugraben; der Projektname LOrient Imaginaire
könnte jedoch ebensogut Le Moyen Age Imaginaire
heißen.
Die Zeugnisse über die Musikpraxis vor zirka 1500 sind einfach
zu fragmentarisch, als dass wir mit letzter Sicherheit ermitteln
könnten, wie selbst die überlieferten Musikstücke
wirklich ausgeführt wurden ganz zu schweigen von denen,
die vor Ort improvisiert wurden. Solche musikalischen Fiktionen
stehen und fallen demgemäss mit der Überzeugungskraft
der jeweiligen Ausführenden und in dieser Hinsicht lassen
es gerade Sarband an nichts fehlen. Nicht nur haben sie für
eine kurzweilige Mischung zwischen zwei Dritteln Satie und einem
Drittel Machaut, Vokal- und Instrumentalstücken, Soli und Chören
gesorgt, alle Beteiligten waren auch um die Klangschönheit,
innere Ruhe und musikalische Perfektion ihrer Beiträge besorgt.
Ohne Zweifel eine der großen CDs des Jahres.
Mátyás Kiss
Danse
gothique Musik von Erik Satie (Gymnopédies, Gnossiennes,
Chansons Médiévales, Sonneries de la Rose et Croix,
Uspud, Prince de Byzance, Danse gothique) und Guillaume de Machaut
(Motetten, Balladen, Virelais). Sarband, Edition lOrient
Imaginaire, Vladimir Ivanoff.
JARO 4229-2