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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 42
50. Jahrgang | März
Jazz,
Rock, Pop
Nachschub
Medien
Alles, was wir von der Welt wissen, sagt der Soziologe Niklas
Luhmann, wissen wir über Medien. Das ist ein wenig zugespitzt
und so ins logische Paradox getrieben: denn wo es überhaupt
nichts Primäres mehr gibt, kann es auch nicht sekundär
vermittelt werden. Aber es formuliert recht treffend eine Grunderfahrung
der Post-Moderne der sogenannten Informations- und Wissensgesellschaft
und auch eine verbreitete ästhetische Strategie. Kunst ist
nicht mehr Ausdruck oder Schöpfung, das Darstellen und Herstellen
von etwas, das es so noch nicht gab; sie wird reflexiv; sie bezieht
sich auf ein Anderes, das sie bricht und bearbeitet, vielleicht
auch nur verschiebt und montiert. Kunst ist natürlich weiterhin
(Arbeit an der) Form, aber der Materialcharakter, das Zitieren und
Thematisieren dessen, was in sie eingeht und sie mitkonstituiert,
wird immer wichtiger.
Das gilt auch für die Musik und zwar keineswegs nur
im E- oder Avantgarde-Bereich. Selbst Pop ist zunehmend Musik, die
andere Musik voraussetzt. Und je künstlicher die pop-musikalischen
Strategien und Inszenierungen werden, desto wichtiger wird die Differenz
zum Realen, das als Schmutz und Gewalt, als bewusst roh gehaltener
Rest den ästhetischen Schein weitgehend prägt.
Reflexiv wird Pop sogar in den Genres, deren Kern bisher
explizit die Behauptung von Authentizität und Natürlichkeit
war, etwa im Country-Rock von Blue-Rose-Acts wie The Silos oder
Steve Wynn. Sowohl Silos-Mastermind Walter Salas-Humara als auch
Steve Wynn inszenieren ihre Karrieren als brüchig
was zuerst schon in einem ganz äußerlichen Sinn
zutrifft, als Vagabundieren zwischen verschiedenen Labels, mit Abstechern
zur Industrie. Dieses Label-Hopping hat zur Folge, dass jedes neue
Album marktstrategisch als relaunch, als Neustart unter
veränderten Bedingungen positioniert wird. Dadurch wird aber
auch die eigene Geschichte und die der Genres, in und von denen
die eigene Musik lebt, in einem heftigeren Sinn historisch als es
vielleicht sonst der Fall wäre. Das neue Silos-Album Laser
Beam Next Door ist nicht so erdig, wie es vielleicht
das Publikum gerne hätte. Alles, was man sich von Walter Salas-Humara
wünscht, ist da aber immer hat es einen
Schatten, eine Referenz, die man nicht los wird: Jedes Gitarren-Riff,
jedes kleinste Solo auf der Orgel handelt immer auch von all den
anderen kleinen Motiven, Gimmicks und Verarbeitungen, die man auf
diesen Instrumenten schon gehört hat. Und die Songs selbst,
die Short Storys aus dem beschädigten, aber weiterhin sehnsüchtigen
Leben, erzählen all die Geschichten weiter, die man von den
Silos, von ihren Vorgänger- und Bruder-Bands und natürlich
von den Begründern der diversen Genres, die in dieses neue
chimärische Zwischenreich von Rock, Folk, Country et cetera
eingehen, bereits kennt. Dass es so vieles schon gibt, ist nicht
Beschränkung der eigenen Kreativität, sondern Bedingung
des Reichtums: Differenzen, kleine und kleinste Schönheiten
werden dadurch überhaupt erst möglich.
Das gilt natürlich auch für eine Kitty-Yo-Band wie Kante,
deren kleiner, derzeit auf manchen Radiostationen zu hörender
Hit Die Summe der einzelnen Teile die voraussetzungsreiche
Puzzle- und Patchwork-Ästhetik leitmotivisch und voller Witz
im Detail durchspielt. Die Schwerkraft der Verhältnisse, die
ganze Maschinerie, die notwendig ist, damit Schönheit und Sinn
zustande kommt, wird nicht verborgen, sondern ausgestellt; was sonst
nur Mittel der Erzählung ist, wird selbst erzählt. Dabei
ist die Kante-Geschichte vermutlich noch komplizierter als die der
Silos oder Steve Wynns, weil hier die anglo-amerikanische Tradition
mitspielt, aber natürlich auch eine Variante deutschen Pops,
poetisch und politisch, und paradoxerweise sogar die Tradition des
Schlagers, der nicht mehr einfach verleugnet wird. War Pop früher
vor allem schnell, so geht es auf dem Kante-Album Zweilicht
langsam und gelassen zu. Historisches Bewusstsein, Selbstreflexion
et cetera erscheinen hier im Material, als Addition der einzelnen
Teile.
Pursten Pop, aber eben selbstreflexiv, verspielt und diverseste
benachbarte Genres und Traditionslinien integrierend, präsentiert
das We Love You-Label, das zum großen, weiten
Virgin-Reich gehört und dessen zwei Label-Kompilationen We
Love You ... So Love Us (Too) zu den begeisternden und beschwingenden
Neuerscheinungen der letzten Zeit gehören. Wenn die Label-PR
damit hausieren geht, dass sie klingen wie Mixtapes für einen
besten Freund, dann ist das alles andere als gelogen und
charakterisiert recht gut das Verfahren: Man muss viel bedenken
und so manche Rücksicht nehmen, es soll überraschend sein
und doch einen flow haben, der mitten ins Leben des
geliebten Anderen passt. Auf We Love You gibt es die
ganze Geschichte herz- und körpererweichenden Pops seit den
Sixties, vielfach verarbeitet und remixt, immer raffiniert, und
doch so naiv und unschuldig als wärs das erste
Mal. Ein must!
Zurück zu Country und einem der Genre-Heroen: Dwight
Yoakam weiß, was mit einem Country-Rebell passiert, der in
die Jahre kommt. Yoakam pariert aber das Herannahen des Verfallsdatums
äußerst sophisticated: Sein Southwest-Country auf Tomorrows
Sounds Today (WEA) ist transgen und infektiös. Er baut
in das unverkennbare Yoakamsche Universum alle erdenklichen
Genres ein: vom catchy-Rockabilly über Buddy-Holly-Reminiszenzen
bis hin zu der wüsten Cajun-Folklore der Louisiana-Sumpflandschaften.
So entsteht ein wunderbares und beim oberflächlichen Hinhören
ganz konventionelles Country-Album, von dem man erst nach einiger
Zeit bemerkt, dass es offensichtlich from outer space
kommt.