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nmz-archiv
nmz 2001/03 | Seite 16
50. Jahrgang | März
Portrait
Kinder verdienen die gleiche Qualität wie Erwachsene
Der Münsteraner Detlev Jöcker kreiert mit Begeisterung
und großem Erfolg Kinderlieder
Eines Tages, nach einem Konzert in Hamburg, stand ein kleines
Mädchen von zirka fünf Jahren neben mir auf der Bühne,
zupfte mich an der Hose und sagte: Du! Ich hab dich lieb!
In solchen Momenten weiß der Münsteraner Detlev Jöcker,
warum er Kinderliedermacher geworden ist. Das sind die Momente,
die ihn in seiner Arbeit bestärken. Denn oft genug steht er
am Pranger und wird angegriffen: Seine Musik sei seicht, kommerziell
und ohne pädagogischen Tiefgang. Dennoch war er im letzten
Jahr der erfolgreichste Kinderliedermacher. Fakten wie 7 Millionen
verkaufte Tonträger und rund 450.000 Besucher seiner Konzerte
kommen sicher nicht von ungefähr.
Angefangen hat alles im Kindergarten. Die Nonnen in dem katholischen
Kindergarten, den der kleine Detlev damals besuchte,
haben jeden Tag mehrfach mit den Kindern gesungen. Und das
hat mich stark beeinflusst, so Jöcker heute. Diese Lieder
haben ihn inspiriert selbst aktiv zu werden, und so hat er schon
in seiner frühesten Kindheit zum Teil selbst erfundene
Fantasielieder, zum Teil englisch-deutsche Kauderwelsch-Lieder in
Elvis-Manier vorgetragen. Das Publikum waren seine Eltern
und Verwandten, die ihren Spaß an diesen kleinen
Aufführungen hatten.
Ein Botschafter des
Kinderliedes: Detlev Jöcker. Foto: Menschenkinder-Verlag
Ein paar Jahre später hörte er in der Jukebox einer Eisdiele
in Münster Songs der Beatles und von da an war ich infiziert,
so Jöcker. Eine Gitarre musste her. Und da 120 Mark für
eine Gitarre damals viel Geld waren, wurde dem heute
knapp 50-Jährigen sein Wunsch nicht sofort erfüllt. Aber
ich habe sie mir gewünscht und gewünscht und gewünscht
und mit Hilfe von Oma und anderen Verwandten habe ich sie schließlich
bekommen. Mit zwölf Jahren bekam er Gitarrenunterricht
und kann sich noch gut an sein erstes komponiertes Lied erinnern.
Jöcker kann es immer noch singen, es war (natürlich!)
ein Kinderlied, und das, obwohl ich Beatstar werden wollte.
Dennoch hatte er Unterricht in klassischer Gitarre an der Musikschule
und bewies so viel Talent, dass er mit 15 Jahren der damals
jüngste Student an der Musikhochschule in Detmold wurde.
Von seinem Musikstudium in Münster erzählt er: Ich
muss gestehen, ich wollte eigentlich kein Musiklehrer werden, ich
habe Musik studiert, um ein sehr guter Rockgitarrist zu werden.
Ein Vorhaben, das geheim gehalten werden musste, da
man das an der Universität nicht gern gesehen hätte. Seinen
Kommilitonen Udo Lindenberg hat man deshalb damals von der Uni verwiesen;
unvorstellbar findet Jöcker noch heute. Zum Kinderliedermacher
ist er erst geworden, als sein ältester Sohn in den Kindergarten
kam und der Vater feststellte, dass man dort immer noch die
alten Kinderlieder sang. Das war das Schlüsselerlebnis,
um sich hinzusetzen und etwas Frischeres und Moderneres zu machen.
Seinen ersten Auftritt hatte er dann bei einem Sommerfest in eben
diesem Kindergarten: Ich musste all meinen Mut zusammennehmen.
Der Erfolg war aber wohl groß, denn schon bald wurde er von
anderen Kindergärten angesprochen, dann von Schulen, Kirchen
und so weiter.
Auf die Frage, ob er diesen Schritt jemals bereut habe, antwortet
er: Nein nie! Ich habe den schönsten Beruf der Welt!
Ich liebe diesen Beruf! Wenn ich nahe bei den Kindern bin, dann
bin ich auch nahe bei mir selbst! Kinder haben eine unglaublich
emotionale Intelligenz, und genau dies möchte ich mir bewahren.
Detlev Jöcker kann stundenlang von seinen schönsten Erlebnissen
sprechen. Das sind jedoch keine Geschichten über Verkaufszahlen
oder Ehrungen (Klar ist mir das auch wichtig), sondern
Geschichten, die er mit seinem kleinen Publikum erlebt:
Strahlende Kinderaugen oder zu sehen wie sich die Kinder bei
dem Lied 1-2-3 im Sauseschritt rhythmisch genau so dazu
bewegen, wie ich es mir gedacht habe. Das sind die Momente
in denen er merkt, dass der eingeschlagene Weg richtig ist. Sicher
ärgert es ihn, wenn er verrissen wird: Ich
kann mit Kritik ganz gut umgehen, wenn sie fachlich ist, aber wenn
sie nur emotional ist, dann ärgere ich mich darüber!
Je erfolgreicher man wird, desto häufiger wird man natürlich
auch kritisiert. Und die Zeiten, in denen er mit seinem Vierspulgerät
selber Kassetten aufnahm, um sie nach den Konzerten selber zu verkaufen,
sind schon lange vorbei. Heute wird der hauseigene Menschenkinder-Verlag
von großen Medienkonzernen unterstützt. Die Zeiten waren
natürlich nicht immer so positiv, aller Anfang ist schwer.
Ich bin Optimist und lebe nach dem Motto: wenn es schlecht
läuft, kommst du irgendwann auf dem Grund an, dann kann es
nicht mehr schlechter werden, von da an kann es nur wieder bergauf
gehen. Und so hat Detlev Jöcker durchgehalten. Dabei
war ihm wichtig, nie das Kindliche zu verlieren.
Er genießt es heute zwar mit den besten Produzenten und in
den besten Studios arbeiten zu können, weil es mein Anspruch
ist, dass Kinder die gleiche Qualität verdienen wie Erwachsene.
Die Frage, was er unter Qualität versteht, beantwortet
er wie folgt: Ein gutes Kinderlied braucht die Entsprechung
von Text und Musik. Dann überfordere ich die Kinder mit meinen
Liedern auch nicht durch rhythmische Strukturen. Dann achte ich
darauf, dass ein Lied nicht zu schnell und nicht zu langsam gesungen
wird. Dann müssen die Texte vernünftig sein, sie müssen
der Erlebniswelt der angesprochenen Kinder entsprechen. Oder bei
den Aufnahmen darf die Musik nicht zu laut sein, die Kinder müssen
die Artikulation hören können. Und man muss freundlich
singen! Die Kinder sollen spüren können, das man es ernst
meint. Das alles macht heute ein gutes Kinderlied aus.
Das Goethe-Institut hat diese Qualität von Jöckers
Liedern erkannt und ihm den Titel Botschafter des deutschen
Kinderliedes verliehen. Für das Institut reist er jetzt
in Länder auf der ganzen Welt und gibt Konzerte und Seminare.
Eine Tätigkeit, die ihm großen Spaß macht.
Fazit: Detlev Jöcker weiß sicherlich genau, was er will,
und als Botschafter des deutschen Kinderliedes weiß
er scheinbar (oder bestimmt?) auch was Kinder (hören) wollen.
Man kann Detlev Jöcker mögen oder auch nicht, aber die
Tatsache, dass er der erfolgreichste Kinderliedermacher 2000 war,
sechs goldene Schallplatten und einmal Platin vorweisen kann und
450.000 Besucher bislang seine Konzerte gehört haben, das sind
Fakten, die für sich sprechen und für den musikalischen
Geschmack der Kinder. Sie sind ja auch die Zielgruppe, die Detlev
Jöcker erreichen möchte.
Ulla Böger
Beachten Sie auch den Kinderlied-Schwerpunkt auf S. 14!