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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 35
50. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Ein Ton ist ein Ton ist ein Ton
Zum letzten Mal in bewährter Form: die Musik-Biennale Berlin
Schilda in Berlin: vor gut zehn Jahren, zwischen Wende und Wiedervereinigung,
stand die Musik-Biennale Berlin als DDR-Altlast auf der Abwicklungs-Liste,
war ihr Domizil bereits verkauft und die gerade erst angetretene
künstlerische Leiterin Heike Hoffmann gefeuert worden. Ulrich
Eckhardt, der mittlerweile aus dem Amt geschiedene Intendant, war
damals der Retter in letzter Sekunde, nahm das Festival mit seinem
Fundus ganz eigener, durchaus innovativer Erfahrungen als Drittmittelprojekt
unter das Dach seiner Festspiele-GmbH.
Martialisch: Daniele Lombardis
Sinfonien für 21 Klaviere.
Foto: Kai Bienert
Das war weder institutionell noch finanziell abgesichert, doch
Hoffmann nutzte ihre Chance: Sie machte die Biennale zum Fest
für zeitgenössische Musik, nicht für die jedem
neuen Klang hinterher reisenden Experten, sondern bewusst für
das aufgeschlossene, nicht nur intellektuelle Publikum der Stadt
(eine Gruppe von Bauarbeitern gehört zu den regelmäßigen
Besuchern). Das gelang ihr mit einer geschickten Mischung von Ur-
und Wieder-Aufführungen, mit unterschiedlichen, nicht immer
E-Musik assoziierenden Spielorten und nicht zuletzt
einem wahren Staraufgebot an Interpreten. So dirigierte diesmal
Simon Rattle die Berliner Philharmoniker, kamen Michael Gielen mit
dem SWR-Sinfonieorchester, die Junge deutsche Philharmonie und das
Ensemble Modern, sangen der RIAS-Kammerchor und der nicht minder
renommierte Rundfunkchor Berlin. 22 teilweise ausverkaufte Konzerte
mit 20 Uraufführungen fanden zirka 17.000 begeisterte Zuhörer.
Solche Beifallsstürme wie nach Rattles vor Sinnlichkeit schier
explodierender Interpretation von Messiaens Éclairs
sur lAu-delá dürfte die Philharmonie zumindest
bei einem zeitgenössischen Werk noch nie erlebt haben. Nachdem
der Erfolg des Konzeptes also erwiesen ist, sich dadurch auch der
Bund zur finanziellen Absicherung innerhalb der Berliner Festspiele
bereit erklärt hat, hat Eckhardt-Nachfolger Sartorius nichts
Eiligeres zu tun, als es zu zerschlagen: Er glaube, der Öffentlichkeit
etwas Neues schuldig zu sein, erklärte er der kreativen Programm-Macherin
anlässlich ihrer Entlassung per Telefongespräch. Eine
Öffnung zur populären Kultur in ihren avantgardistischen
Vernetzungen stellt Sartorius sich vor, mit der er diese verkrampfte
Bastion der Hochkultur schleifen will, schicke Klangkunst-Events
anstelle dieser altmodischen Opus-Musik (Zitate aus: Berliner
Zeitung am 17. Juli 2000). Solch mutwillige Zerstörung
eigenen gewachsenen Kulturlebens kann sich halt nur die Hauptstadt
leisten.
Zum letzten Mal also die Musik-Biennale Berlin, im 34. Jahr und
18. Durchgang wohl die glänzendste von allen. Nach den Retrospektiven
der letzten Jahre auf das geteilte deutsche Musikleben der Nachkriegszeit
ging nun der Blick zur europäischen Szene, vor allem nach Frankreich.
Die Serialisten Jean Barraqué oder Jean-Pierre
Guézec, die Spektralisten um Gérard Grisey
und Tristan Murail, aus dem Schatten der Überväter Boulez
und Messiaen nie so recht herausgetreten, verfolgen entgegen der
hier zu Lande gepflegten Postmoderne nach wie vor den
Ansatz einer stringenten Materialentwicklung, unbelastet von gesellschaftspolitischen,
technologie-philosophischen und sonstigen Inspirationshilfen.
Eine schöne, geschliffen durchgearbeitete Musik,
die hier so kompakt noch nie zu hören war und die uraufgeführten
Auftragswerke spannend beleuchtete.
Mit seiner ausladend-sperrigen Klaviersonate, fulminant gespielt
von Herbert Henck, der hochkomplexen Theatermusik au delà
du hasard, dem ganz sich in Stille zurückziehenden Chorwerk
Le Temps Restitué und dem leichter geschwungenen
Concerto zeigte sich der früh verstorbene Barraqué
als echte Alternative zu Pierre Boulez, Meister strenger Konstruktion,
deren Theorie-Obsession unversehens in Sinnlichkeit und Emotion
umschlägt, mit großem Atem und raffinierter Zeitorganisation
fähig zur großen Form, das Vorurteil vom Serialismus
als genuin aphoristisch widerlegend. Werke des Barraqué-Schülers
Bill Hopkins und von Guézec standen für weitere überraschend
individuelle Spielarten dieser sprödesten aller Musikrichtungen.
Einen wahren Farbenrausch entfesselt Gérard Grisey in Transitoires
mittels von den Tonspektren abgeleiteter Parameter-Organisation,
führt gestreckte und gestauchte Reihen in Taléa,
auf dem mittelalterlichen isorhythmischen Modell basierend, quasi
enthäutet vor. Dabei geht es um die Entfaltung eines einzigen
Klanges in seinem Obertonreichtum.
Ein Ton ist ein Ton ist ein Ton heißt auch Georg
Katzers Credo, indem die vitalen Gesten seines Saxophonkonzerts
SaxophonMachine aus Umfärbungen und Umspielungen
erwachsen. An Radikalität jedoch konnten es die Uraufführungen
mit den älteren Werken meist nicht aufnehmen, höchstens
auf Kosten der Qualität. In akkor(d/t)anz des 34-jährigen
Wieners Clemens Gadenstätter prügelte Florian Müller
mit Clustern aller Arten auf das Klavier ein. Viel Klanggewalt auch
in This Fragile Vial, einer recht diffus anmutenden
Raumklangkomposition für Chor und 15 Instrumente des Ferneyhough-Schülers
Mark Randall Osborne. Wie man den Raum subtil zum Leuchten und Vibrieren
bringt, demonstriert Isabel Mundrys Ferne Nähe,
vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, dem Arditti-Quartett und
Teodoro Anzelotti unter Arturo Tamayo zu sehr geschlossener Wirkung
gebracht. Doch auch dieses Werk zielt fast zu perfekt gemacht
auf Überredung; die noch vor zwei Jahren geballt anzutreffende
Verweigerung durch leise Töne im Zeichen Luigi
Nonos scheint out zu sein. Überwältigendes
Pathos geht von Younghi Pagh-Paans monumentalem Werk für Solostimmen
und Orchester aus, das Dorthin, wo der Himmel endet
dicht gefügte koreanische und abendländische Text- und
Musikschichten zum Ausdruck von Entwurzelung bringt. Am originellsten
geht Misato Mochizuki, shootingstar bereits der vorigen Biennale,
mit dem großen Apparat und der von ihm ausgehenden Macht um:
In Homeobox wird in musikalischer Übersetzung neuester
Gen-Analysen, in der Klavier, Violine und Orchester ein einfaches
gemeinsames Erbgut aufweisen, genau dies zum Thema; von Peitschenknallen
angetriebene schlingernde Rhythmen münden in eine einzige dumpf
repetierende Massenbewegung, Kettenreaktionen von DNA im Laborversuch.
Doch auch die noch viel unsicherer tastende Slowenin Larisa Vhrunc,
ein Neuzugang der Biennale, entwickelt in ihrem Orchesterstück
Hologram, angeregt von der Mehrdimensionalität
eines Paul-Klee-Gemäldes, eine zunehmend eigene Klangwelt extremer
Ton-Geräusch-Kombinationen.
Die ultimative Sensibilität blieb diesmal dem doch eigentlich
so expansiven Musiktheater vorbehalten; Salvatore Sciarrino verpasst
Lohengrin nach einem seinerseits Wagner ironisch
deutenden Libretto von Jules Laforgue endlich erträgliche
Dimensionen und entfaltet daraus ungeahnte Poesie. Unter der behutsamen
Regie Ingrid von Wantoch Rekowskis singt Viviane de
Muynck die verlassene Elsa, in deren Kopf sich das gesamte Drama
abspielt; besser sie schnalzt, schmatzt, flüstert, kichert.
Drei Sänger sind der Chor, mit vielleicht dreimal drei Tönen
die missglückte Hochzeit bejubelnd. Im winzigen Orchester zirpt
und schnarrt es wie Grillen- und Libellenflügel, und genauso
zartfarbig schillernd. Dafür trug man bei einem anderen heftig
nachgefragten Highlight umso dicker auf: In seinen Sinfonien
für 21 Klaviere erzeugt Daniele Lombardi mit synchron im Diskant
klirrenden Fortissimo-Trillern und Cluster-Donner aus den Bässen
ein ödes Klang-Schlachtfeld, als würde man gleich mit
Militärstiefeln auf den 1848 Tasten herummarschieren. Nur auf
dem Gag aufgebaute Events gab es eben auch schon bei der nun zur
Historie erklärten Musik-Biennale Berlin.