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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 37
50. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Geistlos, gottlos, durchtrieben und brutal
Komische Oper von Detlef Glanert unter Roger Epple am Opernhaus
Halle uraufgeführt
Ein fröhlicher Weltuntergang sollte es werden: Die Bühnendekoration
zertrümmert, sämtliche Akteure (bis auf das obligatorische
Liebespaar Tenor-Sopran) über die Hinterbühne entschwunden
und das Orchester dreht im vierfachen Forte con tutta forza
nochmal so richtig auf! Doch plötzlich triumphiert ER: Gottliebchen,
das infantile Pseudo-Genie, ein Satansbraten der besonderen
Art, den nicht einmal der Teufel mit sich in die Hölle nehmen
will. Gottliebchen ist ein geistig unterentwickeltes, androgynes
Kindwesen, das einerseits permanent gequält, andererseits der
Öffentlichkeit als kommendes National-Genie verkauft
wird. Drahtzieher ist ein dem Alkohol verfallener Schulmeister,
dem seine Entdeckung jedoch letztlich entgleitet. Denn
am Ende der Oper ist es Gottliebchen, der die verlogen-schöne
Idylle des Provinznestes Lopsbrunn im Handumdrehen zum Einstürzen
bringt und sich mit einem bösartig-gekreischten Amen
verabschiedet.
Das versammelte Ensemble von
Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung beim
Finale I.
Foto: Gert Kiermeyer
Vorhang Licht Applaus. Dem Publikum aber bleibt das
Lachen buchstäblich im Halse stecken. Hatte man es nicht schon
längst geahnt? Das Böse, es ist allgegenwärtig und
mitten unter uns: Geistlos, gottlos, durchtrieben und brutal! Dem
sei nur mit Lachen eins auszuwischen, das jedenfalls meint Komponist
Detlef Glanert.
Glanert, Jahrgang 1960, hat sich frühzeitig mit Kompositionen
für das Musiktheater auseinander gesetzt. Den entscheidenden
Impuls gab Hans Werner Henze, der ihm auch das kompositorische Rüstzeug
vermittelte. Als Glanert dann 1998 vom Opernhaus Halle den Auftrag
erhielt, ein neues Werk für das hauseigene Ensemble zu schreiben,
da entschied er sich sofort für das komische Genre, wobei ihm
die scheinbare Unmodernität des Vorhabens zusätzlichen
Anreiz bot. Entgegen allen Trends hatte er nämlich schon seit
Jahren über die Musik zu einer opera buffa nachgedacht. Seine
Wahl fiel auf Christian Dietrich Grabbes Lustspiel Scherz,
Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Ein Werk, das auf Grund
zahlreicher gesellschafts-kritischer Anspielungen sowie verbaler
Angriffe auf Zeitgenossen des Dichters erst nach dem Tod Grabbes
(er starb am 12. September 1836) zur Uraufführung kam. Scherz,
Satire, Ironie und tiefere Bedeutung ist vermutlich auch das
einzige Stück Grabbes, das heute gelegentlich noch inszeniert
wird. Jörg W. Gronius unterzog es einer gründlichen Revision:
Er komprimierte, aktualisierte und erstellte gemeinsam mit dem Komponisten
das Opern-Libretto. Der Plot ist schnell erzählt: Da die Hölle
einer gründlichen Reinigung unterzogen wird, verschwindet der
Teufel lieber auf die Erde. Dort versuchen vier Naturhistoriker
vergeblich, seine wahre Identität zu lüften, also wird
der Teufel kurzerhand als Oberkirchenrat (!) in das Kleinfürstentum
vom Lopsbrunn eingeführt. In Lopsbrunn wiederum jubelt der
Schulmeister gerade der Gesellschaft sein neues National-Genie
Gottliebchen unter. Allein das Interesse der anwesenden Herren
gilt in erster Linie der attraktiven Baronesse Liddy. Vier Männer,
die um die Gunst einer Dame buhlen, das bietet dem Teufel eine wunderbare
Vorlage, nach Herzenslust zu intrigieren und dabei auch allerlei
menschliche Bosheiten bloßzustellen.
Wie schon bei anderen Bühnenwerken, so erprobte Glanert auch
diesmal Teile des musikalischen Materials der Oper zuvor im konzertanten
Bereich. So in seinem Klavierkonzert von 1994, in dem er mit Musik,
Figuren, Farben und Formen jongliert und dabei bereits an bestimmte
Szenen des Stückes gedacht habe. Das von ihm auf diese
Weise betastete und durchgewalkte Material ließ
sich im Nachhinein wunderbar für die Zwecke des Opernprojektes
umformen, so der Komponist. Zunächst aber stellte er sich ganz
grundsätzliche Fragen. Zum Beispiel die, wie man heute eine
moderne komische Oper schreibt und welches die adäquaten Mittel
dafür sein können. Glanert vertritt die Auffassung, dass
das Komische einer gewissen Schnelligkeit bedarf, das heißt
er setzte zunächst einmal auf Tempo: Die Szenen sind knapp
gehalten, abwechslungsreich instrumentiert und variieren im Hinblick
auf die sängerische Besetzung (zahlreiche Ensembleszenen inklusive).
Das ermöglicht einen straffen Einstieg ins Stück, hat
drive und einen hohen Informationswert, da Glanert den
rezitativischen Parlando-Ton bevorzugt und bis auf wenige Szenen
musikalisch für Transparenz, somit auch für Textverständlichkeit
sorgt. Aber im Verlauf des 1. Aktes geht diese Leichtigkeit zusehends
verloren, macht sich eine gewisse hektische Atemlosigkeit breit.
Es ist, als würde die uns alltäglich umgebende Informationsflut
auf die Opernbühne transformiert, und man vermisst schmerzlich
den einen oder anderen Ruhepunkt. Das Finale I schließlich
läuft vor allem dramaturgisch völlig aus dem Ruder: Es
ist zu lang, zu kompakt und zu dick instrumentiert.
Dennoch: Detlef Glanert ist ein Komponist, der offenbar spielerisch
mit ganz unterschiedlichen Formen wie Passacaglia, Fuge und Kanon
arbeitet, sich virtuos verschiedener musikalischer Idiome bedient
und die Figuren klar zu charakterisieren vermag. Jede Rolle hat
eine eigene klangliche Aura, indem ihr bestimmte Intervalle und
Instrumente zugeordnet sind. Der Baronesse zum Beispiel die Oboe,
dem Teufel die Orgel und Gottliebchen die Blockflöte sowie
Büchsen und Pappkisten (eine Geräuschebene, die allerdings
kaum zu identifizieren ist). Und doch wirken die Figuren merkwürdig
blass, bleibt musikalisch wenig im Gedächtnis haften. Einzig
Altus Axel Köhler, der mittels voice transformer als Teufel
mit gespaltener Zunge singt, schafft es, die (zugegeben
dankbare) Rolle des Bösen schärfer zu profilieren. Das
Gros des Ensembles aber schlägt sich wacker zwischen Karikatur
beziehungsweise bewusst überhöhten Rollen-Klischees und
wenig sängerischem Futter. Keine einfache Sache,
dieser musikalischen Vorlage szenisch zu begegnen. Regisseur Fred
Berndt gibt dem leicht überdrehten Spiel, was es braucht, indem
er das hohe musikalische Tempo aufgreift und szenisch benutzt. Er
siedelt die Inszenierung in der Entstehungszeit des Grabbe-Stückes
an, wobei das Bühnenbild eine Mischung aus Biedermeier und
surrealistischen Elementen bietet. Dass das Initial G
mehrfach in der Dekoration auftaucht, soll wohl nachdrücklich
auf die Dreieinigkeit (?) von Grabbe-Glanert-Gronius
verweisen. Deren im Proszenium verewigte Konterfeis jedenfalls betrachten
das Spektakel zwar allabendlich stumm, doch offenbar mit Vergnügen.