[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 36
50. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Simple Sinfonie
Münchener Kammerorchester mit Schneid-Uraufführung
Begeisterten Jubel und Applaus, aber auch Gehüstel, Füßescharren
und skeptische Pausenkommentare die Uraufführung der
Simple Symphony of Changes von Tobias PM Schneid durch
das Münchener Kammerorchester im Kongregationssaal zu Neuburg
an der Donau zeitigte beim Premierenpublikum der Kleinstadt durchaus
gemischte Reaktionen. Die Kommentare schwankten zwischen Ablehnung
und Anerkennung, Entsetzen und Faszination. Der als Komponist bereits
mehrfach ausgezeichnete Tobias PM Schneid, Jahrgang 1963, lebt seit
einiger Zeit in dem beschaulichen Renaissancestädtchen Neuburg
an der Donau, dessen Rat bei ihm zur Feier des Millenniums eine
Sinfonie in Auftrag gab. Dass bei der Uraufführung dann kein
hochrangiger Vertreter der Stadt anwesend war, gehört wohl
eher in das Kapitel der unerklärten Peinlichkeiten. Gleichwohl:
Das bestens disponierte Münchener Kammerorches-ter unter der
Leitung von Christoph Poppen blieb nichts schuldig, ließ die
Zuhörer im ausverkauften Haus teilhaben an einem hochdifferenzierten
Werk, das seinem Schöpfer und dessen Auftraggeber zur Ehre
gereicht.
Zum Aufgalopp der Premiere blies man mit einer beherzten Interpretation
von Beethovens erster Sinfonie frischen Wind durchs Gemäuer,
fegte allen Muff hinweg und erfreute Ohr, Herz und Hirn.
Der Brückenschlag gelang, die Uraufführung der Schneid-Sinfonie
ließ sich als folgerichtige Weiterführung des damals
Begonnenen ins Heute verstehen, weiterentwickelt über Spätromantik,
Expressionismus und Moderne. Ein spannungsvoll expressiver Auftakt,
der in wellenförmiger Bewegung immer wieder die Entladung sucht,
kontrastiert mit versammelter Ruhe. Alles fließt, wie schon
Heraklit wusste, nur ist das Tempo heute schneller, die Ruhe zunehmend
trügerisch.
In der Ruhe liegt am Ende nicht die Kraft, sondern nur mehr Erschöpfung.
Mit klar erkennbarem Grundkonzept, durchstrukturiert und insgesamt
nachvollziehbar kann die Simple Symphony of Changes
im Zusammenwirken einer eigenständigen Komponistenpersönlichkeit
und eines hervorragenden Orchesters ihre Wirkung nicht verfehlen.
Selten wohl dürfte im altehrwürdigen Neuburger Kongregationssaal
derart kompromiss-los die Moderne Einzug gehalten haben.
Wo sonst im Rahmen der Neuburger Barockkonzerte bei Kerzenlicht
und in gepuderter Perücke Bach und Mozart geboten sind, erklang
mit Schneids Auftragskomposition Musik auf der Schwelle zum 21.
Jahrhundert. Das Werk hat Qualität, ob es nun gefällt
oder nicht. Darauf schließlich kommt es an. Musik dient eben
nicht dazu, im biedermeierlichen Fauteuil zu lehnen, denn ebenso
eigen wie der Genuss ist ihr das faustische Suchen. Eine Aufhebung
dieses Gegensatzes konnte und wollte wohl auch Tobias PM Schneids
Simple Symphonie nicht gelingen.