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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 37
50. Jahrgang | April
Oper & Konzert
Über die Macht der Zuschreibung
Podiumsdiskussion über Frauenmusik Männermusik
beim Festival UltraSchall
Der kleine Unterschied bedeutet längst keine Zugangsbarriere
mehr, weder bei der Bundeswehr noch bei den Wiener Philharmonikern.
Hat sich also die Kategorie Geschlecht historisch erledigt?
Das UltraSchall-Festival Berlin will keinen Moden hinterher
laufen, aber doch Trends und Tendenzen aufzeigen. Da
irritiert eine Podiumsdiskussion zum Thema Frauenmusik
Männermusik durchaus, als tiefer Griff in die ideologische
Mottenkiste. Oder ist es vielleicht gerade umgekehrt, wie von der
Gender-Forschung verschiedentlich dargestellt: Frauen
und Männer sind zwar gleich-wertig, aber nicht gleich, vive
la difference? Grund genug für DeutschlandRadio-Redakteur Rainer
Pöllmann, neben Martin Demmler vom SFB künstlerischer
Leiter von UltraSchall, die Kategorie Geschlecht von
den alten Verkrustungen unbelastet, quasi voraussetzungslos beleuchten
zu wollen.
Um es vorwegzunehmen: Die meisten Fragen dieses Podiumsgesprächs
blieben offen, ja wurden kaum richtig gestellt. Klar war zum Schluss
lediglich eines: Diese Diskussion steht nicht am Ende, sondern fängt
jetzt erst richtig an. Nicht weil eine neue Generation alles von
vorne aufdröseln muss, sondern weil durch die Arbeit von Künstlerinnen
erst heute annähernd genügend Untersuchungsmaterial
bereitgestellt wird. Das Podium war konträr besetzt: Beatrix
Borchardt, einzige bundesdeutsche Professorin mit Arbeitsschwerpunkt
Kom-ponistinnen, und der Cage-Forscher Paul van Emmerick von der
Universität Utrecht plädierten engagiert gegen Frauendiskriminierung
und für sehr wohl wahrnehmbare Auswirkungen der Geschlechterdifferenz,
die für die Praktiker, die Kulturwissenschaftlerin
und ehemalige Dramaturgin der Berliner Staatsoper, Micaela von Marcard,
und den Manager des Wiener Festivals Hörgänge,
Thomas Schäfer, völlig unerheblich waren. Der erhoffte
Dialog kam da, von der Musikwissenschaftlerin Dörte Schmidt
als Diskussionsleiterin allzu zaghaft angeheizt, nicht recht zustande.
Doch auch Statements können aufschlussreich sein. Gewiss enthielt
Borchardts Darlegung der Grundsituation weiblicher Kreativität
von 50 Prozent Frauen an den Musikhochschulen entscheiden
sich ganze 6 Prozent für die Komponistenlaufbahn; jahrhundertelang
waren Frauen von der Entwicklung kultureller Symbolsysteme ausgeschlossen;
die geschlechtsspezifische Sozialisation bestimmt auch die ästhetische
Wahrnehmung nichts wesentlich Neues. Doch kann man sich der
konkreten Verortung unserer frei schwebenden Musikproduktion ruhig
wieder einmal vergewissern, die im Zeitgeist der Ent-Gesellschaftung
so schnell abhanden kommt. Der andere Blick der Frau
ließe sich am ehesten durch den Vergleich der Kategorie Geschlecht
mit derjenigen der kulturellen Herkunft erfassen, meinte Borchardt
das innere Raster, das alles andere bestimmt. Eigenartig
nur, dass die Zuordnung zu einer Kultur als weit weniger heikel
empfunden werde.
Wenn am Wochenende mit spezifischen Lautsprechern für House
Music ausgerüstete Wagen durch die Straßen fahren, ausschließlich
von Männern bedient, dann wird das ganze Fahrzeug zum Musikinstrument
dessen Lautstärke die Männlichkeit des Musikers
unterstreicht so entwickelte van Emmerick ein Gegenbild akustischer
Macht und Gewalt. Lässt sich das auf das Hören und Spielen
von Musik übertragen? Hören Frauen anders? Während
zum Sehen Publikationen vorliegen, fehlen Untersuchungen zur weiblichen
musikalischen Rezeption. Ein ganzes Forschungsgebiet tut sich da
auf. Neben Fragen nach der Funktion, politischen und gesellschaftlichen
Implikationen stellt sich hier die Frage nach der Musik selbst
Carl Dahlhaus zufolge klingt eine Bourdunquinte bei Grieg ebenso
norwegisch wie bei Chopin polnisch. Lassen sich aus all diesen Zuschreibungen
Hinweise auf eine weibliche Ästhetik auch in der Produktion
ableiten? Für Thomas Schmidt von keiner Relevanz: Von Kaja
Sariahoos jüngster Oper ließe sich kaum behaupten, dies
habe nur eine Frau schreiben können. Da zähle einfach
nur Qualität.
Sieht es in der Neuen Musik freier und offener aus, wie van Emmerick
meinte? Selbst bei UltraSchall kommen gerade einmal
fünf Komponistinnen zu Gehör, bei den letzten Berliner
Festwochen, Panorama des ganzen 20. Jahrhunderts, eine einzige,
Sofia Gubaidulina. Nachschlagewerke über die letzten 30 Jahre
wiederum entnehmen die aufgelisteten Komponisten den Festspielprogrammen.
Immerhin schrieb selbst ein John Cage für die Pianistin Grete
Sultan, die sich an ein David Tudor zugedachtes Klavierstück
wagen wollte, ein Stück für eine Frau. Erst
wenn Komponistinnen sich von einschlägigen Zuschreibungen befreit
haben, wird man der Frage nachgehen können, was an ihrer Musik
weiblich, was männlich, was individuelle
Wahl ist. Das grenzt wahrlich an Utopie.