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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 22
50. Jahrgang | April
Bücher
Entwicklung von Selbstempfinden fördern
Ein Beitrag zur praxisrelevanten Forschung in der Musiktherapie
Schumacher, K.: Musiktherapie und Säuglingsforschung.
Europ. Hochschulschriften, Reihe VI Psychologie, Bd. 630), Peter
Lang Verlag Frankfurt/M. 1999
Schumacher
versteht ihre Arbeit als einen Beitrag zur praxisrelevanten Forschung
(in der Musiktherapie), mit dem sie versucht, neben einem
neu entwickelten Evaluierungsinstrument (welches sie im 2. Teil
ihrer Arbeit vorstellt L. K.-S.) eine theoretische Grundlage
für eine entwicklungspsychologisch orientierte Musiktherapie
zu schaffen (S. 13).
Die theoretische Basis hierfür liefert das Selbst(entwicklungs)konzept
des Säuglingsforschers und Psychoanalytikers Daniel N. Stern,
mit dem sich der erste Teil des Buches beschäftigt. Stern unterscheidet
vier Stufen des Selbstkonzepts, wobei er drei Stufen der präverbalen
von der verbalen Zeit als vierter Stufe absetzt. Die drei Stufen
der präverbalen Zeit (015 Monate) nennt er das auftauchende
Selbst, das Kernselbst und das subjektive Selbst. Es geht Schumacher
nicht nur um die Darstellung der einzelnen Stufen des Konzepts,
sondern sie stellt die Normalentwicklung dem Krankheitsbild
Autismus als Selbstempfindungsstörung (S. 15) gegenüber.
Mit in dieses Beziehungsgeschehen einbezogen ist das Selbstempfinden
des Therapeuten, das sich als Gegenübertragung im therapeutischen
Geschehen bemerkbar macht. Einen vierten Aspekt bilden die Interventionen
zur Entwicklung von Selbstempfinden (S. 16), die Schumacher
als methodischen Wegweiser für eine Therapie in erster Linie
autistischer Kinder sieht.
Im zweiten Teil der Arbeit wird ein neues Evaluierungsinstrument
zur Beurteilung der Kontakt- und Beziehungsfähigkeit eines
(autistischen) Kindes zur Therapeutin, EBQ (Einschätzung der
Beziehungs-Qualität) genannt, vorgestellt. Diese hier untersuchte
Beziehungsqualität äußert sich im Umgang mit den
verschiedenen Musikinstrumenten. Sie, die Beziehungsqualität,
entwickelt sich über sieben verschiedene Modi (vgl. S. 116):
Modus 0 = Kontaktlosigkeit
Modus 1 = Kontakt-Reaktion
Modus 2 = Funktional-sensorischer Kontakt
Modus 3 = Kontakt zu sich/Selbstempfinden-Selbsterleben
Modus 4 = Kontakt zum Anderen/Intersubjektivität
Modus 5 = Beziehung zum Anderen/Interaktivität
Modus 6 = Begegnung/Interaffektivität
Vergleicht man die von Schumacher gewählte Begrifflichkeit
mit der von Stern, so lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen, die
durchaus gewollt sind (vgl. S. 117).
Die sieben Modi bedürfen einer Erläuterung: Kontaktlosigkeit
(Modus 0) zeigt sich sowohl hinsichtlich des Instrumentariums als
auch der Person des Therapeuten. Im Rahmen des Modus 1 kommt es
zu kurzfristigen Reaktionen auf dem Instrument, jedoch bleibt die
Person des Gegenübers weiterhin unbeachtet. Bei Modus 2 werden
sowohl das Instrumentarium als auch die Person des Therapeuten funktionalisiert.
Ein Selbst-Gefühl, Selbst-Empfinden und/oder Selbst-Erleben
tritt in Modus 3 auf. Mit der zunehmenden Hinwendung zum Instrument
beginnt sich auch das Gefühl für das Gegenüber zu
verändern. Erste Formen einer echten Intersubjektivität
treten jedoch erst bei Modus 4 auf. Schumacher beschreibt diese
Form als soziale Rückversicherung in einem weitgehend vom Kind
dominierten Spiel. Eine sich anbahnende Beziehung wird jetzt in
den Modi 5 und 6 weiter intensiviert, was sich in einem sich entwickelnden
klanglichen, rhythmischen, melodischen und dynamischen Spiel niederschlägt.
Es kommt letztlich zu einer echten Begegnung auf beiden Ebenen.
Die sich entwickelnde Kontaktaufnahme über die verschiedenen
Modi ist auf zwei Videofilmen festgehalten, die bei der Autorin
bezogen werden können. Erfreulich ist hier eine, man möchte
fast sagen, Rückbesinnung auf die Bedeutung tiefenpsychologischer
Ansätze, um Entwicklungsgeschehen, normales und von der Norm
abweichendes, zu verstehen. Frau Schumacher gibt hier einen verständlichen
und interessanten Einblick in die Theorie D. Sterns, die sie dann
in den zweiten Teil ihrer anregenden Arbeit integriert.