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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 54
50. Jahrgang | April
Dossier: Laienmusik
Pfeifen wir auf dem letzten Loch?
Funktionäre und die Politik nehmen vielen Musikern die Luft
zum Atmen
Etlichen Bereichen der Laienmusik hängt der Geruch von Vereinsmeierei
und Funktionärsmuff an. Und so gab und gibt es genügend
Kritiker, die über einen Leisten all die Millionen von Menschen
abqualifizieren, die sich in ihrer Freizeit mit Musik beschäftigen.
Fernsehkameras filmen aus der Froschperspektive über ein Bierglas
im Vordergrund hinweg die Probe eines Männergesangvereins oder
zeigen hochrote Köpfe von Blasmusikern, die ihre Instrumente
zwar in der linken Hand halten aber mit der rechten ihre Bierhumpen
stemmen. Alles polemische Fälschung oder zumindest doch einseitige
Bösartigkeit? In den meisten Fällen sicher aber...
Wie sieht es denn aus in unseren Vereinen und ihren Vorständen?
Wer besetzt die Präsidien und andere Schlüsselpositionen
in etlichen Verbänden? Musiker? Dirigenten? Musikpädagogen?
Nein, da tummeln sich unbestreitbar mehrheitlich (musikalisch gesehen)
Dilettanten! Nun ist nichts dagegen einzuwenden, wenn erfahrene
Juristen, Betriebswirtschaftler, Bänker, (Ex-)Politiker, Spezialisten
für Öffentlichkeitsarbeit die Bereiche der Vereinsarbeit
abdecken, in denen sie natürlich die besseren Fachleute als
die Musiker sind. Aber man möchte ihnen doch zurufen: Bleibt
bei euren Leisten! Und zugleich den Musikern: Lasst euch nicht die
Butter vom Brot nehmen!
Zugegeben wir haben harte Zeiten. Die Politik hat uns neue
Rahmenbedingen aufgezwungen, die nicht immer erfreulich sind. Wir
haben uns zu wehren gegen Auswüchse beim Künstlersozialversicherungsgesetz,
bei der Ausländersteuer oder beim Steuerrecht überhaupt.
Wir haben auch unsere Selbstdarstellung und Öffentlichkeitsarbeit
zu prüfen aber...
Wie stehts denn mit den musikalischen Fragen? Stimmt es,
dass die
Initiierung von musikalischen Projekten durch die Verbände
und Dachorganisationen nur Ergänzung nebenbei sind, wie kürzlich
zu lesen war? Ist es wahr, dass die Vereinsvertreter vor Ort den
Dienstleistungen auf musikalischem Gebiet nur geringeres Gewicht
beimessen?
Müssen wirklich die Leute in die Schlüsselpositionen,
die von Musik fast nichts wissen, dafür aber unbeeinflusst
(!) im hauptamtlich-professionellen Bereich arbeiten dürfen?
Eine Horrorvorstellung! Zum Glück gibt es ja auch hinreichend
genug Beispiele, die das Gegenteil beweisen: hervorragend besuchte
Chorleiterkongresse oder -kurse bei den Chorverbänden; die
Initiativen der Jeunesses Musicales für neue Formen der Kinderkonzerte;
das Projekt Komponisten schreiben für Kinder- und Jugendchöre
des AMJ, die rege internationale Begegnungsarbeit der Deutschen
Bläserjugend. Hier zum Beispiel blüht die Laienmusik.
Hier bringt sie sogar zukunftsweisende Früchte. Bezeichnend
aber eben: hinter diesen Projekten stehen als Initiatoren und Beförderer
Musiker oder doch zumindest Menschen, die zuerst an die Musik denken.
Organisation, Verbandsstruktur, ja auch die Öffentlichkeitsarbeit
haben nachrangige, dienende Funktionen. Wenns
mit den musikalischen Inhalten nicht stimmt so wissen sie
dann können wir auch auf Dauer nichts bewirken.
Aber Gefahr droht nicht nur von innen. Immer schlimmer wirkt sich
auch eine Veränderung in der (bundes-) deutschen Kulturpolitik
aus. Nach dem Regierungswechsel in Bonn und Berlin wird vor allem
in einem besonders empfindlichen Bereich die Luft immer dünner:
in der Kinder- und Jugendkultur. Für viele wichtige Bereiche
in der Musik sind hier bundesweite Organisationen zuständig
und tätig.
Sie sind angewiesen auf finanzielle Unterstützung aus dem
Kinder- und Jugendplan (KJP) des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend. Nun ist hier schon immer alles geregelt
im Kinder- und Jugendhilfegesetz und das denkt in erster
Linie nicht in kulturellen sondern natürlich in sozialen Kategorien.
Seit etlichen Jahren ist zwar die Kulturelle Kinder- und Jugendbildung
im KJP fest verankert, aber trotzdem gab und gibt es immer besonderen
Legitimationsdruck: soweit es nicht um eindeutig soziokulturelle
Projekte geht, ist oft eine Augenbraue oben, die signalisieren soll
Na, ist das nicht doch Kultur pur, was ihr da macht? Ist das
bei uns richtig? Und ganz ausdrücklich hieß es
jüngst Ihr macht ja nur Musik! als nach 19 Jahren
das Projekt Internationale Jugendmusiktage Sonnenberg
aus der Förderung gestrichen wurde, weil das entsprechende
Programm im KJP nur noch dort eingesetzt wird, wo interkulturelles
Lernen praktiziert wird. Als ob das in musikalischen Projekten
nicht ginge! Hier werden die nachweislichen Verdienste von kultureller
Kinder- und Jugendbildung schlichtweg geleugnet.
Zusätzlich wird immer deutlicher, dass ein neues Denken weg
von Verbandsstrukturen immer mehr hin zur Projektorientiertheit
um sich greift. Ständig neue Sonderprogramme, die kurzfristigst
bedient werden müssen, werden aus dem Boden gestampft. Oft
in einer solchen eiligen Hektik, dass von vornherein qualifizierte
Arbeit kaum noch möglich ist. Und die hier neu gebundenen Gelder
fehlen in den auf Dauer und Qualitätssicherung angelegten Abläufen
in den Verbandsstrukturen. Nichts gegen eine kritische Prüfung
der Arbeit der traditionellen Verbände! Inhalte und Organisationsformen
müssen hinterfragt werden. Aber alles gegen eine Zerschlagung
dieser Struktur. Den Kurzdenkern in den Ministeriums-Bürokratien
sei empfohlen, mal wieder über das alte Bild der Stand- und
der Spielbeine nachzudenken: nur wer festen Boden unter den Füßen
hat, kann den Blick heben und nach neuen Wegen schauen. Oder: wer
sich nur noch auf Spielbeinen herumtummelt, wird ins Stolpern geraten,
außer Atem kommen und am Ende auf die Nase fallen.
Ich wünsche mir, dass bei uns selbst die Musiker wieder mehr
das Sagen bekommen. Das setzt natürlich voraus, dass sie auch
den Mund aufmachen. Und ich wünsche mir bei denen, die unsere
Arbeit fördernd begleiten, dass sie sich genauer mit uns beschäftigen
und mehr über die wahren Gegebenheiten und Chancen unserer
Arbeit wissen. Es sollte keinem Mitarbeiter eines Ministeriums,
der sich vor Ort blicken lässt und sich wirklich über
uns informiert, vorgeworfen werden, er habe keine Distanz zu seinen
geförderten Trägern. Man sollte ihn vielmehr loben ob
seiner Bereitschaft, sich die Grundlagen für qualifizierte
Entscheidungen zu besorgen.