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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 52
50. Jahrgang | April
Dossier: Laienmusik
Chöre zwischen Kundenorientierung und Qualität
Überzeugende Öffentlichkeitsarbeit in Chorverbänden
· Von Peter Lamprecht, Deutscher Sängerbund
Am 17. März 2001 hatten Musikfreunde wieder einmal die Wahl.
Gotthilf Fischer und die Seinen im ARD-Samstagabendprogramm. Oder
für alle, die in Würzburg und Umgebung leben und
ebenfalls in den Zeitungen zeitig angeboten der music a viva-chor
Bamberg und die Berliner Cappella in der Würzburger Neubaukirche.
Also Laiensänger mit einem Medienstar am Taktstock hier, ambitionierte
Musik-Amateure mit Chorleitern der Sonderklasse dort. Letztere waren
live zu hören, ungefiltert und ungeschnitten. Sie brachten
Neues zu Gehör, Ergebnisse der Initiative Neue Chormusik, die
der Deutsche Sängerbund ins Leben gerufen hatte und die 60
neue Chorwerke aus der Quelle deutscher Kompositionsklassen hervorgezaubert
hat.
Madrigalchor des Maristen-Gymnasiums
Furth unter der Leitung von Niko Firnkees am ConBrio-Messestand.
Foto: Oswald
Natürlich hatte Vater Gotthilf am 17. März wieder die
Nase vorn, rein quotenmäßig auch in und um Würzburg.
Und das, obwohl die Fachleute vom 3. Chorleiterkongress des DSB
hinübergeströmt waren in die Neubaukirche. Ein Grund zur
Klage, Stoff, aus dem die Albträume deutscher Chorleiter sind?
Wieder sollen die Ernsthaften zweite Sieger geblieben sein? Wer
so klagt, klagt in die Irre. Denn die Rede ist von zwei Paar Schuhen.
Gotthilf Fischer, der geniale PR-Stratege in eigener Sache, hat
verkauft, was er immer verkauft: Chormusik, die (fast) alle kennen,
so schlicht reduziert, dass es (fast) alle verstehen und nachempfinden
können. Das ist Biedermeier pur, entsprechend auch die fernsehmäßige
Gestaltung. Die Bamberger und Berliner Choristen in Würzburg
hingegen haben sich mit schwieriger zeitgenössischer Tonkunst
auseinander gesetzt, sind das Risiko des Scheiterns eingegangen
und wussten dabei genau, dass sie dies Programm niemals vor Millionenpublikum
im Fernsehen wiederholen werden. Nicht wirklich Grund zur Klage
also. Was Engagierte in Reihen der Chöre und ihrer Verbände
an einem Tag wie dem 17. März dennoch so fuchst,
ist der scheinbar leichte Erfolg der vielen Gotthilfe mit der Massenware.
Stimmt es denn nicht: Mit den Millionen, die öffentliche Hände,
öffentliche wie private Sendeanstalten und private Sponsoren
immer eher dem leichten und dem Quotenrenner anvertrauen
was könnte man da alles an aufregend neuer Kunst produzieren?
Wie viele junge Menschen könnte man an ernst gemeinte Musik
heranführen, wie viel Positives könnte man anregen?
Der nächste Schritt führt uns zum hundersten Male zu
der Frage, ob und wie und womit denn wir unsere Öffentlichkeitsarbeit
verändern, verstärken, verbessern müssten, damit
am Ende auch die Engagierten und Mutigen etwas abbekommen von der
Begeisterung der Massen, die dann sogar die Kassen klingen ließe...
Bei derart emotionaler Betrachtungsweise gerät allerdings
leicht die eigene Identität ebenso aus dem Blick wie das Ziel,
das man mit ganz konkreten Veranstaltungen ins Auge gefasst hat.
Wer sind denn die Sängerinnen und Sänger? Was hat sie
bewegt, sich als Amateure aktiv mit Musik auseinander zu setzen,
sich den eigenen Platz in dem künstlerischen und sozialen Körper,
der ein Chor ja unzweifelhaft ist, zu ersingen und sich selbst dort
zu erleben? Und mit welcher Erwartung und welcher Ausgangshaltung
sind denn die Chorleiterinnen und Chorleiter einmal angetreten?
Für die nach wie vor rund 700.000 singenden Stimmen im Deutschen
Sängerbund gilt wahrscheinlich nichts anderes wie für
die Chorfreunde unter dem Dach eines der übrigen Verbände
oder für die rund acht Millionen Laienmusiker insgesamt, die
der Deutsche Musikrat zu den Seinen zählt.
Es gilt, nach allen Beobachtungen, sogar verstärkt für
den wider alles Erwarten in den letzten Jahren gewachsenen musikalischen
Nachwuchs (beim DSB beispielsweise sangen vor 15 Jahren rund 60.000
junge Menschen unter 27 mit, heute sind es in der Chorjugend des
Verbandes über 100.000): Sie treten an, um Musikalität
auszuweiten und auszukosten, Gemeinschaft im materiell uneigennützigen
Wettbewerb auszuleben, sich an eigene Grenzen heranzuwagen. Sie
leisten im besten olympischen Geiste etwas. Dabei sein
ist hier zwar nicht alles, hat aber einen hohen Erlebniswert. Manche
Jüngere meinen das Gleiche, wenn sie es Fun-Faktor
nennen. Unter diesen Voraussetzungen ist Beifall dann wirklich ein
hoher und erstrebenswerter Lohn.
Und die Chorleitungen? Nach allem, was man sehen und hören
kann, sind die künstlerischen Leiterinnen und Leiter, ob nur
Bewahrer oder auch Anreger, mit hohem Idealismus am Werk. In ihren
Händen liegt, was Bildungs- und Kulturpolitiker schmählich
vernachlässigt haben: die Pflege und Fortführung einer
der bedeutendsten europäischen Kulturtraditionen. Aber auch
sie nur einige Berufsmusiker, viel häufiger fleißige,
talentierte, teilweise hoch begabte Autodidakten geben sich
der Kunst zuerst hin, weil sie die eigene Erfüllung und den
Beifall der anderen erhoffen. Letztlich also finden sich unter dem
Dach der Chöre überwiegend Menschen, die Musik leben und
sich die Freiheit nehmen, Kunst um ihrer selbst willen nach Kräften
zu gestalten.
Wer die Entstehung von Projekten in diesem Umfeld beobachtet,
stellt fest: Da denkt (fast) keiner vom ersten Augenblick an mit
daran, wie man das Konzert, den Kongress, die Tagung publikumsgängig
und also öffentlichkeitswirksam oder gar populär machen
kann.
Kundenorientierung, die Spielregel Nummer eins in der Dienstleistungsgesellschaft,
hat da noch wenig Gewicht. Uns geht es immer zuerst um die eigene
Sache, das eigene innerverbandliche und künstlerische Interesse
und dann erst um das Bild, das sich die anderen davon machen. Wer
das verinnerlicht hat, dem fällt es leichter, zu akzeptieren:
Es gibt hochwertige und respektable Veranstaltungen, die nicht ohne
weiteres einem breiten Publikum vermittelbar sind. Zum Beispiel
den Chorleiterkongress und die Tage Neuer Chormusik des DSB in Würzburg.
Sie gereichen denen zur Ehre, die sie ausdenken, ausrichten und
ausführen. Im Vergleich dazu aber muss Gotthilf Fischer die
Popularitäts-Nase vorn behalten. Sonst hätten sich die
Veranstalter selbstkritische Gedanken zu machen.
Das gilt im Übrigen auch für viele andere Veranstaltungen,
die nicht vom Star im Scheinwerferlicht leben. Der Wettstreit der
disziplinierten Individuen im Chor ist selbstredend schwieriger
nach außen zu vermitteln als der Wettkampf zweier Fußballmannschaften,
das Match zweier Tennissolisten. Denn der Chor kennt keine Stars
in eigenen Reihen, das ist die eherne Regel. Gegen die kommt auch
der Hinweis auf einzelne erstklassige Solisten nicht an. Chor ist
Chor, ist Gruppe der Gleichen. Ich erinnere an den von allen Fachleuten
einmütig hoch gepriesenen Deutschen Chorwettbewerb.
Diese Veranstaltung des Musikrates findet außerhalb der Fachwelt
wenig öffentliches Echo. Ganz anders Jugend musiziert.
Da aber lässt sich das Bild von den aufstrebenden Stars der
Zukunft verbreiten...
Unter solchen Voraussetzungen geraten die Erfolgsrezepte leicht
außer Kraft, die sonst Werbung und Öffentlichkeitsarbeit
leiten. Es gibt zudem, behaupte ich, in unserer Laienmusik, besonders
im eigenständigen Chor-Kosmos, noch keine gemeinsame Corporate
Identity weder eine, die jeder von selbst erkennen
könnte, noch eine, auf die sich die Handelnden geeinigt hätten.
Wir in den Chören und in deren Umfeld vergessen bei allem Wachen
über eigene Positionen im Innenleben der eigenen Vereinigung
nur zu häufig, das wir alle zusammen als Gemeinschaft Unbezahlbares
für die Gesellschaft leisten. Dass Chöre und Chorverbände
Kindern und Jugendlichen den ganzen Himmel der Musik öffnen,
wo andere nur Abziehbilder davon liefern. Dass Singen und Musizieren
soziale und intellektuelle Begabungen wecken und fördern. Dass
eine Welt ohne Musik so trist wäre wie eine Wüste unter
grauem Himmel.
Mit der neuen Kampagne Hauptsache: Musik versucht der
Deutsche Musikrat exakt diese Erkenntnis nach außen zu tragen
und Konsequenzen daraus einzufordern. Auf das Echo in ARD, ZDF und
Bild müssen wir aber noch warten.
Wer mehr Öffentlichkeit will, mehr politischen Rückenwind,
auch mehr Sponsoring für die Chöre und ihre Musik, der
muss zunächst wohl doch noch stärker in die eigenen Reihen
hineinwirken. Der muss dem Ego der Choristen vermitteln, welche
Kraft hinter dem Wir steckt. Keine andere gesellschaftliche
Gruppe von der Kopfstärke der Chorverbände hat so wenig
Wir-Gefühl und erst recht Wir-Verständnis
entwickelt und geweckt. Und deshalb sind fast alle anderen wirkungsvoller.
Erst wenn sich dieser Wind gedreht hat, werden die Choristen bei
aller Wahrung der kulturellen Eigenart Bedingungen und Strukturen
entwickeln können, die auch Außenstehenden so leicht
zu vermitteln sind wie die Spielregeln beim Fußball oder beim
Tennis. Und erst dann sind für viele von uns Publikumserfolge
denkbar, wie sie heute Gotthilf Fischer allein einsammelt. Weil
er eben kundenorientiert arbeitet. Oder besser: Umsatzorientiert.
Nur kein Neid deshalb!