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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 55
50. Jahrgang | April
Dossier: Laienmusik
Cluster
Wir leben, massenmedial betrachtet, zugleich in einer Hochglanz-
und Abfallkultur. Da sind auf der einen Seite die Musikmatadore
mit ihrer hoch qualifizierten Elitenausbildung: befähigt, auch
im Kopfstand die verdrehtes-ten Violincapricen von Paganini zu spielen.
Das ist der reinste Musikzoo aus Tastenlöwen, Pultgiraffen
und Opernochsen und -gazellen. Dazu gesellt sich eine vorgeblich
ernsthafte Publizistik aus technikverstiegenen Musikmagazinen
mit ihrem Referenzaufnahmenfetischismus und Bayreuther Operngesülze.
Auf der anderen Seite der kulturelle Abfall aus Funk aber vor allem
aus Fernsehen: Die Jürgens, Zlatkos, Stefanies und Christians.
Popstars aus der Produzenten-Kloake von Big Brother oder anderen
endhohlen Gelddruckern. Jeder kann zum Popdepp werden, wenn man
ihn nur genügend mit dem Musiksandstrahl aus Kompressoren,
Depressoren und entsprechendem publizistischen Jugendmagazin- und
Fernsehgepopel aufbaut.
Aber schalten wir mal den Fernseher aus, legen die Phonomagazine
zur Seite und machen mal einen Bogen um die Philharmonien, Konzerthäuser
und Operntheater. Die Seitenstraßen der Musikkultur sind durchaus
nicht abbruchreif. Im Gegenteil, da lebt Musik in Wohnzimmern, Kellern,
Kirchen und Musikclubs. Gemacht von Menschen, für die Musik
etwas anderes ist als Spachtelmasse für die Hirnhohlräume.
Da ist das Musikmachen einerseits ein Selbstzweck, doch zugleich
auch Medium einer selbstbestimmten Lebens- und Kommunikationskultur.
Und die besten Profimusiker bewahren sich diese Haltung. Dieser
musikalische Sud aus Laien, Liebhabern und Dilettanten ist die Ursuppe
einer gelingenden Musikkultur. Wirtschaftliche Interessen verfolgt
man indes für gewöhnlich nicht.
Freilich: Zahlreiche Gegenwartskomponisten zum Beispiel sitzen
lieber auf den dünnen Subventionsästen der GEMA-Hochkultur
anstatt auf dem Boden der musikalischen Subkulturen sich neu bewegen
zu lernen. Kein Wunder, wenn sie dann flugs mit den abbrechenden
Ästen auf dem Komposthaufen der Musikgeschichte landen. Die
subversive Musikgeschichte der Seitenstraßen geht weiter
wenn es sein muss, auch ohne sie.