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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 52
50. Jahrgang | April
Dossier: Laienmusik
In Vielfalt musizieren mit einer Zunge sprechen
Von Joachim Conradi, Vorsitzender des Bundes Deutscher Liebhaberorchester
e.V.
Der Bund Deutscher Liebhaberorchester (BDLO) vertritt eine Musiziertradition,
die bereits vor 300 Jahren weitgehend ausgebildet war und die sich
einer ungebrochenen Allgegenwart erfreut. In ihm sind knapp 500
Streich-, Kammer- und Sinfonieorchester zusammengeschlossen. Weitere
gut 200 Orchester werden von der Arbeitsgemeinschaft Jugendorchester
der Jeunesses Musicales Deutschland betreut.
Ob damit und vereinzelten Mitgliedschaften in anderen Musikverbänden
die Mehrzahl der deutschen Liebhaberorchester in Dachverbänden
organisiert ist, lässt sich nur ergründen, wenn man klare
Kriterien für die Definition des organisationsfähigen
Orchesters vereinbart:
Sind Orchester an Musikschulen und allgemein bildenden Schulen
mitzuzählen? Nur, wenn sie sich mit Aufführungen in
der Öffentlichkeit zeigen? Nur, wenn sie eine gewisse Kontinuität
(über wieviel Jahre hinweg?) aufweisen? Nur wenn ihr Träger
keinem anderen Musikverband angehört?
Wie steht es mit den inzwischen recht zahlreichen Projektorchestern,
die sich (nur) ein- oder zweimal jährlich zu einer Probenphase
mit anschließendem Konzert oder einer Tournee treffen?
Ist ein Ensemble, das sich jährlich im Rahmen eines Orchesterkurses
oder einer -freizeit konstituiert, ein Orchester,
wenn was wohl die Regel ist mehr als 50 Prozent
der Teilnehmer über Jahre hinweg kontinuierlich mitwirken?
Kann ein Orchester, das für seine Aufführungen stets
eine komplette Profi-Bläsermannschaft heranzieht, überhaupt
als Amateurorchester gezählt werden?
Orchester aller dieser Kategorien finden sich in der Mitgliedschaft
des BDLO. Die traditionell als eingetragener Verein organisierten
Ensembles mit wöchentlicher Probe und ein bis vier Konzertveranstaltungen
pro Jahr bilden auch heute noch die Masse der Mitglieder. Der Trend
zur Musiziergemeinschaft mit klarer zeitlicher Eingrenzung oder
in einem weiter oder anders gesteckten Rahmen ist aber nicht zu
verkennen. Bund Deutscher Orchestervereine so
der Name bei der Gründung im Jahr 1924 könnte sich
der Verband heute nicht mehr nennen. Das wäre ein Ausgrenzungssignal
für inzwischen recht viele seiner Mitglieder. Schon ein Oratorienverein,
der einen Chor und ein Orchester unterhält und deshalb neben
seinem Chorverband auch dem BDLO angehört, hätte hier
Identifikationsprobleme. Die Vielfalt der Organisations- und Arbeitsformen
innerhalb der Mitgliedschaft des BDLO lässt die Aufgabe der
Repräsentation des typischen Liebhaberorchesters
in der Öffentlichkeit zugunsten der direkten Hilfestellung
für die Mitglieder zurücktreten. Die Anforderungen an
die Dienstleistungskompetenz des Verbandes sind enorm gestiegen.
Genügte es früher, eine e.V.-Mustersatzung für orientierungsbedürftige
Interessenten bereitzuhalten, sind heute Beratungsleistungen für
alternative Organisationsformen gefragt, deren klassifizierende
Pflege allein schon einen gestandenen Fachmann erfordert.
Aufklärungsarbeit vonnöten
Dem korrespondiert ein breit gefächertes Spektrum des Leistungsvermögens
und der künstlerischen Gestaltungsfähigkeit der heutigen
Amateurensembles und ihrer Leiter. Wenn auf der einen Seite
unbestritten vielen Teilnehmern am Deutschen Orchesterwettbewerb
professionelles Niveau zuerkannt wird, kann man diese Ensembles
nicht auf der anderen Seite als Dilettanten und Hobby-Musiker belächeln
und sie etwa aus dem Kulturteil der Tageszeitung verbannen oder
sie in Rundfunk und Fernsehen in die Volksmusik- und Freizeitgestaltungs-Ecke
abdrängen. Hier gilt es Aufklärungsarbeit zu leisten,
nicht nur für die Laienmusikverbände selbst. Vor allem
die Ausbildungsstätten und die Musikpädagogen sollten
es sich im eigenen Interesse angelegen sein lassen, auf die Anerkennung
dieser ihrer wohl spektakulärsten Erfolge der letzten Jahrzehnte
hinzuwirken.
Die künstlerische Wegweisung, etwa durch beispielgebende
Veranstaltungen oder Literatur-Empfehlungen (beziehungsweise Nicht-Empfehlungen)
hat demzufolge anders als früher keinen hohen Stellenwert in
der Verbandsarbeit mehr. Dass die Vorstellung der zwischen Bach
und Mozart/Haydn pendelnden stereotypen Programmgestaltung bei Liebhaberorches-tern
nicht mehr der Realität entspricht, zeigt allein die aus der
umfassenden Konzertdokumentation des BDLO belegbare Tatsache, dass
jedes achte von Liebhaberorchestern aufgeführte Werk innerhalb
eines Jahrzehnts nur dieses eine Mal gespielt wird.
Die verbandseigenen Orchesternoten-Bibliotheken und ein DV-gestütztes
Informationssystem über Dutzende weiterer Notenbestände
im In- und Ausland tragen zur Stimulierung der künstlerischen
Vielfalt heute offensichtlich mehr bei als früher die Hinweise
auf wertvolle Literatur oder Kompositionsaufträge und -wettbewerbe.
Notenverleih und -beschaffung ist ein recht prosaisches Geschäft,
aber elementar wichtig angesichts eines Marktes, der leider allzu
einseitig auf die Versorgung professioneller Nutzer Kulturorchester,
Ausbildungseinrichtungen, Opern- und Rundfunkhäuser
ausgerichtet ist. Der frisch gebackene Notenwart, der im Notengeschäft
erfahren muss, dass es die vom Dirigenten gewünschte Rarität
nicht zu kaufen, sondern nur nach feierlicher Vertragsunterzeichnung
bei dem (im Glücksfall dem Musikalienhändler auch bekannten)
Verlag zur leihweisen Überlassung gibt, was allerdings mindestens
so viel kostet wie der Kauf eines vergleichbaren anderen Materials,
wobei das Kopieren und das Verlorengehen von Stimmen mit drakonischen
Strafen bedroht sind dieser Musikliebhaber wird es zu schätzen
wissen, dass es vor ihm schon andere gegeben hat, denen dies missfiel
und die sich gemeinsam verbraucherfreundlichere Alternativen geschaffen
haben.
Funktionen des Verbandes
Fast ebensowichtig ist die Funktion, die der Verband als Interessenvertreter
gegenüber den öffentlichen Institutionen und auch bei
der Bündelung gleich gerichteter Interessen mit anderen Verbänden
hat oder haben könnte/sollte/müsste. Allein über
die Notwendigkeit, sich in einem internationalen Laienmusizierer-Verbund
gegenüber der Europäischen Gemeinschaft zu artikulieren,
ließen sich Bände schreiben wenns nur irgendjemanden
interessierte!
In Deutschland gibt es die Bundesvereinigung Deutscher Laienmusikverbände.
Mitglieder sind die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Chorverbände
(ADC), die Arbeitsgemeinschaft der Volksmusikverbände (AVV)
und der BDLO. Diese drei Verbände haben die Bundesvereinigung
als nicht eingetragenen Verein aus der Taufe gehoben.
Nach § 2 ihrer Satzung ist Zweck der Bundesvereinigung Deutscher
Laienmusikverbände:
a) Das vokale und instrumentale Laienmusizieren zu fördern
und die dafür erforderlichen Maßnahmen zu koordinieren,
b) die gemeinschaftlichen Interessen auf dem Gebiet des Laienmusizierens
insbesondere gegenüber dem Bund, den Ländern, den Gemeinden
und in der Öffentlichkeit zu vertreten.
Schon davon gehört? Man könnte in der Musikszene ein
Preisausschreiben veranstalten mit der Frage: Seit wann gibt es
diese Bundesvereinigung? Seit 1978, seit 1990 oder seit 2001? Richtig
und am unwirklichsten erscheinend ist: seit 1978.
Es fehlt weder am guten und kooperativen Willen der Träger
dieser Bundesvereinigung, noch an der Einsicht, dass es mehr als
genug gemeinsame Anliegen gibt, die auch gemeinsam am wirkungsvollsten
vertreten werden könnten. Geldmangel ist auch nicht der Hauptgrund
dafür, dass die Bundesvereinigung bisher kaum oder noch weniger
von sich reden gemacht hat. Nach Ansicht wohl der meisten Insider
lassen die ohnehin schon sehr tief gestaffelten Verbandshierarchien
keinen Platz, um der Pyramide noch eine echte Spitze aufzusetzen.
Ein Verband der Verbände der Verbände ist irgendwann nicht
mehr nachvollziehbar und nicht mehr glaubwürdig.
Spricht dieses Argument gegen eine Stärkung der Bundesvereinigung
Deutscher Laienmusikverbände oder gegen überkommene Verbandsstrukturen?
Immerhin haben sich die Verbände Anfang dieses Jahres auf einen
gemeinsamen Vorschlag betreffend die Entlastung gemeinnütziger
Tätigkeiten von der Künstlersozialabgabe geeinigt, nachdem
eine ähnliche in der Bundesvereinigung initiierte Aktion schon
1996 zur Herausnahme der meisten Laienmusikensembles aus der Abgabepflicht
geführt hatte freilich nicht so offenkundig und im Ergebnis
auch nicht so griffig, als dass es zur Erzeugung einer Aufbruchstimmung
gereicht hätte.
Die Liebhaberorchester können sich nichts besseres wünschen
als eine einheitliche und mit echter Funktionalität ausgestattete
Repräsentation des gesamten Laienmusizierens. Sie haben kein
Problem, sich in eine umfassende Verbandsstruktur einzufügen.
Der Weg dahin scheint aber noch weit zu sein. Geduld und Beharrlichkeit
sind angesagt. Leidensdruck? Nein, der sollte der Laienmusikbewegung
erspart bleiben.