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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 51
50. Jahrgang | April
Dossier: Laienmusik
Der Profi und das Ehrenamt in zeitgemäßer Kombination
Wer verbindet die Musikverbände? Eine Diskussionsrunde
auf der Frankfurter Musikmesse
Wenn ein Funktionär eines Laienmusikverbandes aus seinem Fenster
blickt, so sieht er vor sich einen gut bestellten Garten, in dem
sich viele verschiedene Gewächse tummeln: Neben zirka einer
Million Berufsmusikern bilden ungefähr sieben Millionen Laienmusiker
aller Stilrichtungen in Deutschland die Grundlage der Musikkultur
- und die Gärten der Verbandsfunktionäre gediehen bisher
nicht schlecht unter der liebevollen Bewässerung engagierter,
ehrenamtlich tätiger Vereinsgärtner.
Besonders die Jugend- und Laienorchester, die Blasorchester und
die Jazz-Bands hatten in den letzten Jahrzehnten einen erstaunlichen
Qualitätszuwachs zu verzeichnen. Doch wenn der Verbandsfunktionär
seinen Blick über den Gartenzaun hinaus über andere gesellschaftliche
Bereiche schweifen lässt und schließlich auf den Horizont
richtet, so gerät er ins Grübeln: Dunkle Wolken brauen
sich da zusammen, etwa in Form von Mittelkürzungen in öffentlichen
Kulturhaushalten, Novellierungen beim Künstlersozialversicherungsgesetz
und den 630-Mark-Jobs, steuerrechtlichen Problemen, zunehmender
Spezialisierung im vereins-, arbeits-, steuer- und sozialrechtlichen
Bereich, Musikunterrichts-Kürzungen an allgemein bildenden
Schulen und Sorgen um Verluste auf dem von Lobbyismus geprägten
politischen Terrain. Die kulturelle und allgemeingesellschaftliche
Wetterlage birgt viele Ungewissheiten und könnte schlimmstenfalls
in eine Art Wirbelsturm ausarten, der die bisher so ansehnlich gediehenen
Pflanzen aus den Verbandsgärten reißen und mächtig
durcheinander wirbeln könnte. Muss der Verbandsfunktionär
am Beginn des 21. Jahrhunderts fürchten, dass die althergebrachten
Vereinsstrukturen, die auf einem im Jahre 1900 in Kraft getretenen
Vereinsrecht basieren, nicht mehr zeitgemäß sind und
dass sich Musikvereinigungen aus ihren Verbandszusammenschlüssen
verabschieden und sich damit mangels gemeinsamer Kräftebündelung
Ausbildungsqualität und politische Interessenvertretung zurückentwickeln?
Werden die Vereine und Verbände zu Staubfängern
der deutschen Sozialgesellschaft? Mit dieser Frage
begrüßte Theo Geißler denn auch am Messestand der
von ihm herausgegebenen neuen musikzeitung die Teilnehmer der von
ihm moderierten Diskussionrunde Musikverein Musikverband.
Ziel war neben einer Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Verbands-
und Vereinssituation vor allem die Erörterung ihrer Zukunftsaussichten.
Gekommen waren Prof. Dr. Eckart Lange, Vizepräsident des Deutschen
Musikrates, Stefan Liebing, Vorsitzender des Lenkungsausschusses
der Bundesvereinigung Deutscher Blas- und Volksmusikverbände
und des Blasmusikverbandes Baden-Württemberg und Thomas Rietschel,
Generalsekretär der Jeunesses Musicales Deutschland.
Auch in Zukunft, soweit war man sich einig, sei eine Struktur aus
Bundes- und Landesverbänden notwendig, um die Interessen der
Mitgliedsvereine zu bündeln, sie nach außen vertreten
zu können und um Vereinen zu ermöglichen, überhaupt
untereinander zusammenarbeiten zu können.
Dazu muss sich nach Meinung Liebings jedoch bei Vereinen und Verbänden
eine Menge ändern. Wichtig sei unter anderem eine effizientere
Lobbyarbeit und die könne der Deutsche Musikrat nur
bedingt leisten, weil die unter seinem Dach befindlichen Gruppen
Profis, Laien und Musikwirtschaft nicht nur gemeinsame,
sondern zum Teil auch divergierende Interessen verfolgten und man
somit nicht mit gebündelten Kräften und der gebotenen
Nachhaltigkeit auftreten könne. Die Verfolgung verbandsspezifischer
Interessen solle deshalb besser auf Bundesverbandsebene erfolgen,
und zwar von professionellen, hauptamtlichen Mitarbeitern.
Eckart Lange verteidigte die Lobbyarbeit des Deutschen Musikrats
mit leiser, manchmal nur mühsam verständlicher
Stimme aufgrund und manche mochten darin vielleicht eine
Symbolik erkennen unglücklicher Mikrofon-Handhabung.
Zeitweise drohten seine Ausführungen inmitten der Messehallen-Geräuschkulisse
mit ihrem Gewirr mehrerer verschiedener, kurzatmiger, nervöser
und vorwärts treibender Schlagzeug- und Perkussionsrhythmen
unterzugehen. Er räumte zwar ein, dass trotz der Einrichtung
von Kontaktstellen, die eine engere Verbindung zu den
Kommunen und den Politikern herstellen sollen, die Lobbyarbeit des
Musikrats noch intensiviert werden könne, doch ein Dachverband
sollte durchaus versuchen, die unterschiedlichen Interessen der
im Musikrat zusammengeschlossenen Gruppen auszugleichen. Und
mehr noch: Auch mit dem Sport von Thomas Rietschel als einer
der Bereiche genannt, gegenüber dem sich die Musik bezüglich
ihres gesellschaftlichen Stellenwerts profilieren müsse
solle man eher kooperieren, als im Rennen um staatliche Gelder eine
Art Gegnerschaft zu entwickeln. So gibt es denn auch in Niedersachsen
und Bayern Kooperationsversuche zwischen dem Musikrat und dem Deutschen
Sportbund, denn, so Lange, wir sitzen da im selben Boot, obwohl
wir uns alle um das zu verteilende Geld bewerben. Grenzübergreifende
Kooperation auf möglichst breiter Basis so also das
Lobbying-Zukunftsmodell von Lange.
Stefan Liebing ist als PR-Fachmann in der Handhabung des Mikrofons
versierter: Allzeit mit gut verständlicher Stimme sprechend
und mit der Thematik gut vertraut führte er aus, dass er die
Zukunft eher in einer individuellen und dafür professionalisierteren
Lobbyarbeit der Verbände sieht. Überhaupt müsse man
sich angesichts des fortschreitenden Spezialistentums in der Gesamtgesellschaft
eingestehen, dass man Verbandsinteressen nicht mehr rein ehrenamtlich
durchsetzen könne. Arbeits-, steuer- und sozialrechtliche Fragen
würden immer komplexer und auch die Öffentlichkeitsarbeit
eines Verbandes benötige professionelle Vorgehensweise
und die könne nur hauptamtlich wirklich effektiv geleistet
werden. Besonders deutlich erfahre er dies in den Blas- und Volksmusikverbänden,
deren zum Teil noch vorherrschendes Bierzelt-Image ambitionierte
neue Mitglieder, insbesondere Jugendliche, abschrecke und mit der
Realität der kontinuierlich steigenden Qualität der musikalischen
Arbeit nichts zu tun habe. Die Gewinnung neuer Mitglieder und die
Anerkennung der musikalischen Arbeit sei auf Dauer nur mit professioneller
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zu erreichen.
Hierin erhielt er Zustimmung von Thomas Rietschel, der bei dieser
Gelegenheit einem gewissen Frust über den Verlauf des Kongresses
Kinder und Musik im 21. Jahrhundert von der Hochschule
für Musik und Theater Hannover und der Deutschen Phono-Akademie
Mitte Februar in Hannover veranstaltet Luft machte. Weltfremd
sei dieser gewesen, weil man die meiste Zeit eher wissenschaftlich
die ohnehin von niemandem ernsthaft bestrittene These, dass Musik
für Kinder wichtig sei, diskutiert habe. Es kommt aber
darauf an, ermahnte Rietschel, die gesellschaftliche
Realität zu sehen, auf die Kinder und Eltern gezielt
zuzugehen, sie dort abzuholen, wo sie wirklich sind, uns attraktiv
erscheinen zu lassen, um so auch die Konkurrenzsituation gegen MTV
und Big Brother zu bestehen. Man müsse nach außen
jungen Leuten klarmachen dass ein Verband eine Chance sein
kann, eigene Ideen zu verwirklichen.
Ein Verband könne in Zukunft, so Liebing, nur bestehen, wenn
er Ehren- und Hauptämter kombiniere: Grundsätzliche Richtungsentscheidungen
werden durch Ehrenamtliche, deren Umsetzung und die immer wichtiger
werdende Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit sowie die Serviceleistungen
durch Hauptamtliche erledigt. Die Ausweitungen von Serviceleistungen
hätten dabei mitnichten etwas mit der Kultivierung einer reinen
ADAC-Mentalität zu tun, denn Vereinsvorsitzende stellten mittlerweile
ganz einfache Nutzen-Überlegungen an: Welche Gegenleistungen
erbringt uns der Verband für unseren Mitgliedsbeitrag? Rentiert
sich das oder ist es billiger, wenn wir das im Verein selber machen?
Das heißt, folgerte der wortgewandte BDBV-Vertreter,
wir müssen genau diese Dienstleistungsfunktion ganz vergleichbar
einem Wirtschaftsunternehmen, das von einem Verein einen Auftrag
bekommt, stärken. Und das schließt nicht aus, dass wir
mit diesen Dienstleistungen auch als Verbände soviel Geld verdienen
und so kalkulieren, dass wir die Mittel haben, um auch professionell
für unsere Mitglieder vorzudenken. Der Verband
als enabler (Liebing), der nicht selber direkt musikalische
Arbeit macht, sondern dafür sorgt, dass die Vereine diese vor
Ort möglichst gut machen können. Zu Serviceleis-tungen
zählt er dabei auch durchaus von Rietschel angemahnte inhaltliche
Impulse wie etwa Fortbildungen in organisatorischen Themen.
Als Antwort auf den allgemeinen Trend der Spezialisierung und Professionalisierung
sieht Liebing nicht nur eine Professionalisierung, sondern auch
eine durchdachtere Aufgabenverteilung: Einzelne Verbände sollten
einzelne Themen wie etwa GEMA-Abgaben, die so genannte Ausländersteuer
oder das Sozielrecht bei Dirigenten-Engagements bearbeiten
und sich so zum Spezialisten machen, der andere Verbände beraten
und ihnen Informationen beschaffen könnte.
Das Vereins- und Verbandswesen kann sich also diverser konkreter
Vorschläge zur eigenen Reformierung annehmen. Was bleibt, ist
die Hoffnung auf eine kooperative und baldige Auseinandersetzung
zwischen den Verbänden. Und die Frage, warum im heutigen
demokratischen Staatswesen eine möglichst gerechte Güter-
und Lastenverteilung vor allem von effektiver Lobbyarbeit abhängt.