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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 1
50. Jahrgang | April
Leitartikel
Becken-Bauer
So ist es mit der Schulmusik: Eine Meldung könnte die Revolution
einläuten und sie geht unter, weil Beckenbauers Fußball-WM
oder die Maul- und Klauenseuche einfach wichtiger wirken. Im Unterschied
zu seinem Vorgänger bezieht Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin
ausgemacht pädagogische Positionen: Bei der Eröffnung
einer John-Lennon-Fotoausstellung forderte er eine Neuorientierung
des Musikunterrichtes. Jugendliche fänden den Zugang zur Musik
eher über Pop als über Klassik. Daher müssen
wir diesen Bereich verstärken, meinte Nida-Rümelin.
Generell sei die ästhetische Bildung gegenüber der kognitiven
in den Schulen zu schwach ausgebildet. Fächer, die nicht direkt
zum Beruf führten, würden immer stärker marginalisiert.
Junge Menschen müssten künftig ständig den Beruf
wechseln. Dazu brauchten sie Sensibilität und Ich-Stärke.
Dazu gehöre die ästhetische Erfahrung.
Nicht schlecht für den Anfang aber diskussionsbedürftig,
möchte man aus den lichtarmen Winkeln der Musikanten wenigstens
rufen hören. Doch die Propagandisten in den Musikverbänden
haben wenig Besseres zu tun, als über die Betonierung morscher
Transfer-Thesenteile einer allseits bekannten Studie im Bewusstsein
hinterbänklerischer Bundestagsabgeordneter nachzugrübeln.
Das betrifft Pädagogen wie Vertreter der Musikwirtschaft und
der Laienmusik. Auf die erheblich verzögerte
Erkenntnis, dass dem Niedergang der schulischen Musikerziehung die
Baisse im Musikmarkt zwangsläufig folgt, reagierten Mittelstand
und Industrie mit ebenso hektischem wie auf Eigenprofilierung bedachtem
Aktionismus. Plötzlich entdeckte die Schallplattenindustrie,
dass Schulen Musik brauchen. Die Musikinstrumenten-Hersteller schicken
eine Art Papamobil der populären Musik auf Animationstour und
sogar die Frankfurter Musikmesse investierte eine karge Messehalle
in dröhnende Music for Kids.
All diesen offensichtlich egozentrischen Initiativen ist mangelnde
Resonanz, mangelnde pädagogische Kompetenz und mangelnde politische
Glaubwürdigkeit gemeinsam. Statt eines Marketing-Sammelsuriums
wäre ein ernsthaftes Sammelbecken für all jene Kräfte
gefragt, die mit Geld, Engagement und Sachverstand für einen
angemessenen Stellenwert der Musik in unserer Gesellschaft eintreten
wollen aus welchen Motiven auch immer. Gibts
doch ist im Moment die falsche Antwort. Noch immer
fehlt der Aktion Hauptsache: Musik des Deutschen Musikrates
ein erkennbares Profil, das Feuer als Herzstück jeder Kampagne,
die intellektuelle Fasson. Mit einer Veranstaltungsaddition wird
man der schwierigen Aufgabe, die Nida-Rümelin recht deutlich
formuliert hat, kaum gerecht. Da hülfe dann schiene
es aus Marketing-Perspektive auch noch so opportun kein Beckenbauer,
geschweige denn ein Gorny, Herr Kulturstaatsminister.