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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 6
50. Jahrgang | April
Musikwirtschaft
Auch im E-Commerce ist Platz für das Seltene
Mit neuer Allianz in die Zukunft: der CD-Versandhandel jpc und
sein Klassik-Label cpo
Das ist natürlich eine Firmenhistorie, mit der sich kokettieren
lässt: Auf zwei Tapeziertischen vor den Unis Köln und
Göttingen fing 1970 alles an, 1973 eröffneten Gerhard
Georg Ortmann und Johannes Stuckenberg ihr erstes Ladengeschäft,
1976 begann der Verkauf per Versandhandel, mit dem jpc heute das
führende Unternehmen dieser Art in Europa ist. Doch nicht nur
diese Erfolgsstory ist es, die das Interesse an der in Georgsmarienhütte
bei Osnabrück ansässigen Firma mit rund 200 Mitarbeitern
weckt: Denn mit cpo, dem hauseigenen Klassik-Label, lebt der CD-Verkäufer
jpc mit dem CD-Produzenten in einer Symbiose, von der beide Seiten
profitieren. Die kürzlich erfolgte Fusion von jpc mit PrimusMedia,
einer Tochter der zu 51 Prozent von der Metro AG und zu 49 Prozent
von der Beisheim Holding Schweiz getragenen Internet Shopping Mall
PrimusOnline GmbH, wird an dieser erfolgreichen Unternehmenskonstruktion
nichts ändern.
Die Marktnische und die Perlen
unter den Raritäten im Blick: cpo-Chef Burkhard Schmilgun
steckt voller Pläne. Foto: jmk
Die Fusion, an der PrimusOnline, Deutschlands erfolgreichster E-Commerce-Multi-Channel-Anbieter
52 Prozent hält, bedeutet für jpc-Geschäftsführer
Ortmann einen erfreulichen Kapitalschub und die Möglichkeit,
die Kompetenz im Online-Versand auf einen zweiten, im Vergleich
zu jpc weniger spezialisierten Internet-Shop mit dem Namen PrimusMedia.de
auszuweiten: Wir sind technisch und personell darauf vorbereitet
und konnten das aus diesem Grund schnell entscheiden. Dieser
im Gegensatz zu jpc ausschließlich im Netz verfügbare
zweite Shop wird mit einer eigenen Datenbank in etwa einem Monat
in seiner neuen Form im Netz präsent sein. Hier sollen dann
die Titel, die auf den Hauptvertriebswegen in wenigen Tagen an den
Kunden verschickt werden können, angeboten werden, während
jpc weiterhin für die Tiefe des Repertoires zuständig
sein wird, die man über Jahrzehnte aufgebaut hat. jpc
wird der Liebhaber-Shop bleiben, wo man alles bekommt, versichert
Gerhard Ortmann im Gespräch.
Der CD-Verkauf an der Ladentheke steckt bekanntlich in der Krise.
Angesichts der Elektronik-Warenhäuser, die auch die Software
der Unterhaltungsindustrie in Massen und zu Schleuderpreisen verhökern,
haben es die kleinen, gut sortierten und kompetent beratenden Geschäfte
schwer, ihre Position zu behaupten. Das bekommt auch jpc zu spüren:
Von seinen sechs Einzelhandelsfilialen im norddeutschen Raum werden
in diesem Jahr zwei schließen. Und auch der Versandhändler
jpc blieb vom allgemeinen Abschwung im Tonträger-Geschäft,
der sich nach der Sättigung mit CDs vor einigen Jahren breit
machte, zunächst nicht verschont. Rechtzeitig erkannte man
aber die Perspektiven, die sich angesichts der neuen Vertriebs-
und Servicemöglichkeiten im Internet auftaten: mit einem umfassenden,
äußerlich unspektakulären Webangebot, das als Datenbank
an die 250.000 Artikel umfasst und umfangreiche Suchfunktionen bereithält.
20.000 Besucher aus aller Welt greifen täglich zu, virtuell
und eben auch als Besteller.
Durch die Zusammenarbeit mit über 500 Vertriebsfirmen hält
jpc auch solche Titel bereit, die sonst schwer zu beschaffen sind.
Die übersichtlich sortierten und mit Auszügen aus (freilich
nur wohlmeinenden) Rezensionen in einer Auflage von 30.000 Stück
jährlich herausgegebenen Gesamtkataloge gelten (auch auf CD-ROM)
als Standard-Nachschlagewerke und damit als sinnvolle und in vielem
komfortablere Ergänzung zum Bielefelder Katalog. Über
monatliche Neuerscheinungen informiert außerdem der auf Wunsch
zugeschickte monatliche jpc-Courier, der an die 125.000 Interessierte
erreicht.
Beeindruckend auch die rein technische Abwicklung der zahllosen
Anfragen und Bestellungen, die täglich bearbeitet werden: Ein
eigens für jpc entwickeltes und angefertigtes Warenerfassungssystem
scannt die eingehenden CDs oder Videos und etikettiert sie automatisch
auf die hausinterne Nummerierung um, ein Tag und Nacht besetztes
Call-Center nimmt die telefonischen Bestellungen entgegen.
Oft gehen die Anrufe aber über das einfache Bestellen hinaus,
wenn Kunden etwa nach der Deutschverzeichnis-Nummer einer Schubert-Komposition
fragen oder andere musikhistorische Auskünfte verlangen. Das
kann dann schon mal auf dem Schreibtisch von Burkhard Schmilgun
landen, der zunächst beratend für das ursprünglich
mit Neupressungen vergriffener Produktionen gestartete Label cpo
tätig war und es dann 1991 als Leiter übernahm. Für
den gelernten Geiger und Musikwissenschaftler, der sich auch heute
noch bisweilen an ein Pult der Nordwestdeutschen Philharmonie setzt,
ist die Philosophie des Labels mit einem Wort zu beschreiben: Neugier.
Das Faible für Raritäten, der Instinkt für lohnende
Ausgrabungen und die Qualität der Umsetzung machen in seinen
Augen das Profil von cpo aus. Die Erstproduktion einer unbekannten
Komposition versuche ich so zu machen, als sei es auch die letzte.
Man kann einem Kunstwerk keinen größeren Schaden zufügen
als so etwas schlampig zu machen. Dann fällt nämlich die
Beurteilung, die ich am meisten hasse: Zu Recht vergessen.
Diese Maßstäbe beziehen sich nicht allein auf die Interpretation
manchmal wartet Schmilgun so lange, bis er das richtige Ensemble,
den richtigen Musiker an der Hand hat sie reichen bis zu
den Booklet-Texten, die manchmal über 30 Seiten lang die oft
fundiertesten Kommentare darstellen, die über das eingespielte
Repertoire existieren.
So ist ein 1995 mit dem Cannes Classical Award für das beste
Label ausgezeichnetes Programm entstanden, das mit Namen und Werken
aufwartet, deren Entdeckung oder Wiederentdeckung cpo für sich
beanspruchen kann: Symphonien von Allan Pettersson und Ture Rangström,
sämtliche Violinkonzerte Louis Spohrs oder das ernste
uvre Franz Lehárs, für den Schmilgun eine besondere
Schwäche hat und dessen Kammeroperetten Frühling
und Der Sterngucker demnächst erscheinen werden.
Die Frage nach den Synergien zwischen CD-Vertrieb und Klassikproduzent
bejaht Schmilgun ausdrücklich: Ohne jpc hätten wir
nicht so schnell und organisch wachsen können. Für
das Label cpo bieten die Veröffentlichungen Courier und Katalog
erstens eine einmalige Werbeplattform und zweitens ermöglicht
der eigene Vertrieb (in Deutschland sind cpo-CDs ausschließlich
über jpc erhältlich) eine Preispolitik, die den unterschiedlichen
Aufwand einzelner Produktionen direkt widerspiegelt. So werden Kammermusik-
und Liedaufnahmen häufig zum Preis von unter 25 Mark angeboten,
was die Verkaufszahlen dieser heiklen Genres deutlich belebt. Wirtschaftlich
rechnen beide Unternehmensteile aber selbstständig. Alle cpo-Produktionen
werden so kalkuliert, dass sie über kurz oder lang ihre Produktionskosten
einspielen; eine Mischkalkulation, wie sie in Buchverlagen üblich
ist, findet nicht statt.
Das Engagement in Sachen Neue Musik ist, das gibt Schmilgun zu,
zurückgegangen. Es sei eben extrem schwierig, das zu verkaufen
und man beschränke sich deshalb auf Komponisten und Stilistiken
mit einem bestimmten Marktwert, demnächst etwa Rihm oder Schnittke.
Bei einem Versandhandel, der ein solches Label betreibt dies
dürfte das Signal sein, von dem seinerseits jpc profitiert
muss eine hohe Kompetenz vorhanden sein. So ist auch der
Anteil von über 40 Prozent Klassik- und Jazz-Kunden zu erklären,
der entgegen der Marktlage die Nische als offenes Feld erscheinen
lässt. Mit dem Rückenwind aus der neuen Allianz dürfte
hier weiteres Potenzial für die Zukunft liegen.