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nmz-archiv
nmz 2001/04 | Seite 48
50. Jahrgang | April
Nachschlag
Nachschlag
Kleider machen Laute
Vor kurzem ging ich mit einem Freund, der nicht gerade als Freund
der Klassik angesprochen werden kann, in ein Konzert. Sein Kommentar
war, dass die Musik ganz O.K. gewesen sei, dass er aber mit dem
Ritual, wie er es bezeichnete, überhaupt nichts anfangen könne.
Das Auftreten im Frack, der Drill beim Applaus, wo die Musiker einzeln
vom Dirigenten aufgefordert werden, ihren Diener abzuliefern, überhaupt
alles Gezwungene hätte er über alle Maßen abstoßend
gefunden. Junge Leute, so meinte er, brächte man so kaum ins
Konzert, allenfalls die brav Angepassten, die Uniformierten. Und
wenn man darauf aufbauen würde, dann könne man alles Innovative
sowieso in den Wind schreiben. Ein Konzert sei kein Kirchenbesuch,
keine Trauerfeier. Der schleichende Tod sei auf diese Weise vorprogrammiert,
wie alles, das in Konvention und Etikette erstarrt ist.
Das gab zu denken. Nun mag man einwenden, dass Musik, die emphatisch
interpretiert wird, ihr konservatives Ambiente zumindest ins zweite
Glied rückt. Eine packende Aufführung im Frack ist besser,
als eine lasche in Jeans. Lakonisch mag man auf Erscheinungen wie
Nigel Kennedy verweisen, der leger tut, weil er eben nicht besser
spielen kann. Und das durchsichtige Leibchen von Vanessa Mae wäre
argumentatitv gleich noch hinterherzuschieben. Doch das geschieht
bei genauerem Hinsehen doch mit einem schlechten Gewissen. Denn
so steht die Alternative nicht. Man erinnert sich an Auftritte etwa
des Ensemble Modern oder des Wiener Klangforums, bei denen man spürt,
dass das individuell Gekleidet-Sein offenbar auch auf die kommunikativen
Strukturen beim Musizieren zurückwirkt. Und bei einem Konzert
des Chores des Bayerischen Rundfunks unter Rupert Huber, wo die
Sängerinnen jüngst auch ein bunt vielfältiges Äußeres
darboten, glaubte man das auch wahrzunehmen auch die Struktur
des Huber-Stücks, das freie, individuell improvisatorische
Einwürfe integrierte, deckte sich mit diesem Erscheinungsbild.
Musizieren ohne Bekleidungszwang bringt augenscheinlich neue Formen
von Freiheit der künstlerischen Äußerung mit ins
Spiel.
Immer wird heute geklagt, dass den Konzerten mehr und mehr die
Jugend fern bleibt. Man schiebt es, gewiss zum Teil zu Recht, auf
die immer dürftigere musikalische Ausbildungssituation in den
Schulen, auf die permanente mediale Umhüllung mit Klangtapeten,
die das Entstehen von Geschmack schon im Ansatz ersticken. Beim
zur Zeremonie erstarrten Ablauf eines klassischen Konzerts setzt
man hingegen weit weniger an.
Verteidigt wird der Charakter des Festlichen, des Besonderen, der
sich eben auch, und sogar ganz besonders in der anständigen
Kleidung niederschlage. Was aber heißt eigentlich anständige
Kleidung? Ist es wirklich so vernünftig, wenn ein junger Musiker
auf dem Konzertpodium immer so aussehen muss wie ein Konfirmant
beim Fototermin? Kann es nicht sein, dass diese jungen Musiker wegen
ihres Erscheinungsbildes in ihrer Umgebung belacht und ins Abseits
gerückt werden? Dass sie gleich als Sonderlinge, als etwas
Besonderes im Sinne von Arroganz betrachtet werden?
Dass sie sich vielleicht selbst darüber klammheimlich schämen,
zu Einzelgängern werden und den Kontakt scheuen? Der aber wäre
so nötig, um der Musik den gesellschaftlichen Stellenwert zu
verleihen, den sie nicht nur verdient, sondern den sie aus sich
heraus auch mitbringt.
Mehr und mehr, so scheint es, wird die klassische Musik heute durch
konventionelle Zwänge verstellt. Bis man sie überhaupt
nicht mehr hört.