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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 40
50. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Ein ruheloser Humorist
Rudolf Hindemith als Komponist wiederentdeckt
Die beiden hochmusikalischen Brüder Paul und Rudolf Hindemith,
der eine 1895, der andere 1900 geboren, waren zunächst das
Aushängeschild der Familie; später musizierten die einstigen
Wunderkinder auch professionell zusammen, nämlich im Amar-Quartett,
einer der führenden Quartettvereinigungen in der Neue-Musik-Szene
der Zwanzigerjahre. Aber Rudolf Hindemith, der Cellist des Quartetts,
blieb nicht lange. Er floh den Schatten des immer berühmter
werdenden älteren Bruders, wechselte ins Blasmusik- und Jazz-Milieu,
fing an zu dirigieren, und als Paul emigrieren musste, blieb er
in Deutschland und landete, obwohl keineswegs ein Nazi-Parteigänger,
ausgerechnet am Dirigentenpult des Sinfonieorchesters des
Generalgouvernements in Krakau, dem Paradepferd des berüchtigten
Gauleiters Hans Frank, der als Schlächter von Polen
unrühmlich in die Geschichte einging und am Galgen eines polnischen
Militärgerichtes endete.
Nach dem Kriege führte Rudolf Hindemith ein unstetes Leben
als Dirigent, Komponist und Pädagoge, wechselte die Pseudonyme
wie die Hemden, um ja nicht als Hindemith tituliert
zu werden. Auf dem Grabstein des 1974 völlig vereinsamt in
der Nähe von München Verstorbenen steht der Name Hans
Lofer und damit schien das Kapitel Rudolf Hindemith
abgeschlossen zu sein. Aber wir leben im Zeitalter der Ausgrabungen:
es gibt Schüler, die sich an ihn erinnern nicht nur
an den skurrilen, manchmal grausamen Lehrer, sondern auch an den
Komponisten. Und es gibt Hans Gerd Brill, Musikwissenschaftler an
der Universität Münster, der eine Broschüre über
Rudolf Hindemith veröffentlichte (eine umfassende Monografie
ist in Arbeit). Eine der persönlichen Beziehungen führte
auch nach Bremen, und so gab es nun vom 18. bis 20. Februar ein
richtiges kleines Rudolf-Hindemith-Festival in der Hansestadt, veranstaltet
von der Philharmonischen Gesellschaft, mit Klavier- und Kammermusik,
einem Workshop und sogar einer Uraufführung: das in den 60er-Jahren
entstandene Klavierkonzert, oder, wie der Komponist es kauzig-originell
nannte, die Suite für Klavier und Orchester.
Kolja Lessing als Solist und George Alexander Albrecht am Dirigentenpult
des Philharmonischen Staatsorchesters Bremen präsentierten
eine nur etwa 16 Minuten lange, fünfsätzige und sehr kurzweilige
Komposition, die zwischen Bitonalität und dem Neoklassizismus
des älteren Bruders anzusiedeln ist, die Einflüsse von
spanischer Folklore und Jazz verrät und in allen unterschiedlichen
Genre- und Satztypen stets durch lakonische Kürze gekennzeichnet
ist. Wo der ältere Paul gelegentlich zum Pathos neigt, ist
bei Rudolf bezüglich Ausdruck so gut wie Fehlanzeige:
Er versteckt sich hinter Ironie und Sarkasmus, lässt sein Innerstes
nicht heraus, maskiert sich, springt innerhalb seiner ohnehin extrem
kurzen Sätze von einer Genre-Intonation zur kontrastierenden
anderen.
Man kann keineswegs sagen, dass Rudolf Hindemith ein schlechter
Komponist oder seine Musik ein Abklatsch sei; er offenbart
eine durchaus verblüffende Originalität und ein sprühendes
Temperament in den charakteristischen Grenzen, die seiner
Persönlichkeit entsprachen. Das betrifft auch die humorvolle
Kammermusik wie den gerade eine Minute dauernden Satz für Streichquartett
Der Spiegel oder Hin und zurück, der nur bis zu
einem gehaltenen Akkord notiert ist, weil danach die Musik exakt
krebsgängig zum Anfang zurückläuft. Die Solisten
des Staatsorchesters sowie die beiden Pianistinnen Mari Holló
und Jutta Müller-Vornehm boten ansprechende und spritzige Interpretationen.