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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 39
50. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Kulturpartisanen im Land von Freedom and Democracy
Osterfestival in Innsbruck mit dem Motto Das bessere Amerika
Das Innsbrucker Osterfestival hat sich seit nunmehr zwölf
Jahren einen guten Namen im Kreis der Veranstaltungen mit zeitgenössischer
Musik gemacht. Basierend auf christlichem Verständnis, sucht
es das Widerständige darin mit neuen musikalischen Denkformen
zu verbinden.
Im Innern der Freiheitsstatue:
Blick nach oben durch die Fackel.
Es ist kein Geheimnis, dass die Freiheitsstatue innen hohl ist.
Was ermöglicht, dass man von unten zu den spinnennetzartigen
Verstrebungen der Fackel blicken kann, durch die buntes Licht einfällt.
Hoffnung, eisern umzäunt, das wurde zum Logo des Innsbrucker
Osterfestivals 2001. Mit dem Motto Das bessere Amerika
war man den musikkulturellen Enklaven auf der Spur, die sich im
gesund geredeten Körper von Freedom and Democracy
einnisten. Es sind Kulturpartisanen, die dem insbesondere ökonomisch
verordneten Gleichschritt kritisch entgegentreten.
Namen? Es gibt viele. Da sind schon im 19. Jahrhundert die philosophischen
Freigeister wie Emerson oder Thoreau, der einst in die Wälder
bei dem Städtchen Concord zog, um am eigenen Leib experimentell
zu erkunden, wie wenig ein Mensch benötigt, ohne dabei Geist
und Würde zu verlieren. Auf musikalischem Gebiet schreibt sich
die Reihe fort mit dem Universaldemokraten Charles Ives, dem Zufalls-
und Zenmeister John Cage, dem Erkunder von verfließender Dauer
Morton Feldman, dem Konstrukteur von Freiheitsmustern Christian
Wolff... Die künstlerischen Modelle, die da vorgelegt wurden
und werden, entwerfen Visionen, die nur mit dem einfallenden Licht
durch das Fackelgerät der Freiheitsstatue zu vergleichen sind.
Konzept des Osterfestivals, das von der Familie Crepatz aufopferungsvoll
betreut wird, ist und am entschiedensten wird das in der
Osternacht verwirklicht , den ganzen Tagesablauf in liturgisch-künstlerische
Formen einzubinden. Bewusstes Leben und Erleben reichen sich die
Hand. Hierzu werden Kompositionsaufträge vergeben, die immer
wieder auf das Thema des Festivals bezogen sind.
Das bessere Amerika, das sind doch wir Mexikaner, hatte
der junge Komponist Arturo Fuentes auf Anfrage geäußert.
Und er schrieb ein Werk für vier Schlagzeuger, Flöte,
Erzähler, Licht und gefrorene Stimme, das direkt an der Mexiko
aufgezwungenen Grenze zu den USA spielt. Der große nationale
Schriftsteller Carlos Fuentes hatte hier seinen Roman Die
gläserne Grenze angesiedelt: hier die Heimat, drüben
die siegreiche Welt. Ein alter Patriot, gebrochen im Rollstuhl,
denkt über sein Leben nach, erinnert sich, weiß, dass
er vergessen muss, träumt. Carlos Fuentes hat selbst Passagen
für die Komposition von Arturo Fuentes (nicht verwandt) gesprochen.
Daraus entstand eine musikalisch inszenierte, fragmentarische Lesung;
das an vier Ecken aufgestellte Münchner Percussion Art Quartet
umzäunte das Publikum und spann flirrende Klanggewebe, aus
denen sich die Flöte (Burkhard Jäckle) immer wieder emphatisch
herauszuwinden suchte. Doch Arturo Fuentes Musik tat sich
schwer gegenüber den amerikanischen Werken des Abends, vor
allem gegen eine freche Version von John Cages Trivial-Collage mit
dem doppeldeutigen Titel Credo in US oder auch gegen
Georges Crumbs An Idyll for the misbegotten, das die
Verrottung und Zerstörung der Welt in einem musikalischen Prozess
schildert, der von lyrischer Gelöstheit in immer desaströsere
Regionen brutaler Klanggewalt schliddert.
Am nächsten Abend stand in der Innsbrucker Jesuitenkirche
die in den liturgischen Verlauf der Palmsonntagprozession integrierte
Lukas-Passion des in Liverpool lebenden Österreichers Norbert
Zehm an. Das 40-minütige Werk parzelliert den Bibel-Text, haut
ihn zu Schründen, integriert auf die USA bezogenes Gegenwärtiges:
70 Kinder! Warten derzeit in amerikanischen Todeszellen auf
die Korrekturmaßnahmen der Gesellschaft. Der Leidensgang
Christi ist auch heute nicht zu Ende, teilte das Stück emphatisch
mit. Diese Emphase freilich stieß sich nicht selten an zwar
prägnant gesetzten, aber zu Selbstläufern verblassenden
repetitiven Modellen die Nase wund. Zehm sucht Verbindliches (Verständliches?)
über den Zugriff rhythmisch-motivischer Wiederholungsmuster.
Modelle aber, die jeder sogleich begreift, die goutiert werden,
gehen oft einher mit der Gefahr des Beliebigen.
In der Osternacht gab es dann noch eine Uraufführung, die
dem Geist des Festivals umfassend entsprach. Es war Klaus Langs
der weisse pfirsich und der lallende quell: Leise mikrotonale
Klänge von im Raum verteilten Interpreten, ausgehaltene Schwebungen,
Stille aus der Ferne, hellhörig empfunden. So müssen die
Sirenen einst über das weite Meer herübergeklungen haben.
Langs Musik lässt den Hörer bei sich, lässt ihn sich
finden, und zugleich markiert das Insistierende seiner Musik die
Auflehnung gegen stumpfen Gleichlauf. Dass er von dem US-Amerikaner
Morton Feldman inspiriert ist, wird ebensowenig geleugnet, wie eine
Kopie versucht wird. Dafür ist die Musik Langs zu eigenwillig.
Das Innsbrucker Osterfestival Das bessere Amerika
bewies somit, dass im Gärkessel von ökonomischer Härte
und permanent propagierter Freiheitsideologie Modelle wachsen, die
unser abendländisches Dasein fruchtbar unterminieren können.
Ostern heißt ja auch, an die Möglichkeit des Besseren
zu glauben. Und woher dies Bessere kommt, spielt im global
village ohnehin kaum mehr eine Rolle.