[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 52
50. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Mit Politik garnierte Familiensaga
Alfred Hrdlickas und Christine Mielitz Ring des Nibelungen
in Meiningen
Einmal, ein einziges Mal, soll es das schon gegeben haben: 1876,
bei der Uraufführung von Richard Wagners Ring des Nibelungen.
Seitdem hat kein Theater der Welt mehr gewagt, die vier Werke der
Tetralogie an vier aufeinander folgenden Abenden herauszubringen
bis jetzt, bis zur Ring-Produktion des Meininger
Theaters, das keineswegs zu den großen und besonders potenten
Häusern zählt: es hat einen recht überschaubaren
Jahresetat von etwa 30 Millionen Mark und ist in einer Kleinstadt
mit knapp 25.000 Einwohnern angesiedelt.
Meininger Intendantin und
Regisseurin: Christine Mielitz. Foto: B. Fritz
Christine Mielitz, Regisseurin und Intendantin in Meiningen seit
1988, hat sich den Riesenkraftakt vorgenommen und mehr als zwei
Jahre lang geprobt; das war auch nötig, denn für nahezu
alle Sänger war dies die erste Begegnung mit dem Ring,
auch für Kirill Petrenko, den Dirigenten und musikalischen
Chef in Meiningen. Er hat es gleich mit zwei Orchestern zu tun,
mit dem aus Meiningen und mit der benachbarten Thüringischen
Philharmo- nie aus Gotha-Suhl; denn für ein Orchester allein,
ganz besonders für die viel beschäftigten Bläser,
wäre ein Ring ohne Pause einfach nicht zu schaffen.
Petrenko hat seit dem Beginn der Ring-Arbeit im Januar
1999 die unglaubliche Zahl von 150 Proben in die Orchesterarbeit
investiert, und die haben sich hörbar gelohnt. Natürlich
sind die beiden Orchester nicht die Berliner Philharmoniker, natürlich
muss man musikalisch gewisse Abstriche machen aber diese
Abstriche sind erstaunlich geringfügig. Die Musiker spielten
weit oberhalb ihrer Leistungsgrenzen, vor allem die Bläser
wären mühelos auch in anderen Orchestergräben vorstellbar,
das hatte rein gar nichts von einem wackligen Provinzorchester.
Überhaupt scheint dieser Ring Adrenalinstöße
ungeahnter Größenordnung auszulösen. In Meiningen
wurde eine reduzierte Orchesterfassung für etwa 65 Musiker
gespielt, mehr passen einfach nicht in den Orchestergraben; doch
was sich wie ein Mangel anhört, erwies sich als Tugend: Petrenko
musizierte mit forschen Tempi, mit großer Klangsinnlichkeit
und vor allem wunderbar kammermusikalisch, und das bedeutet: er
überdeckte die Sänger nie, er ließ ihnen Raum, auch
für sonst kaum mögliche Piani.
Es ist immer ein wenig unfair, aus einem weitgehend ausgeglichenen
Ensemble einzelne Namen herauszugreifen; aber Jürgen Müller
als himmelstürmender Jung-Siegfried, Franz Hawlata als absolut
souveräner Wotan und die beiden wunderbaren Brünnhilden
Ursula Prem und Anne Gasteen waren dann doch noch einmal eine Klasse
für sich.
Wagners Tetralogie bedeutet für jedes Theater eine Anstrengung
bis zum Äußersten, die Produktion in Meiningen aber ist
noch einmal eine eigene Kategorie. Christine Mielitz hatte sich
mit dem österreichischen Maler, Bildhauer und Querdenker Alfred
Hrdlicka einen besonders prominenten Bühnenbildner gesucht,
und sie war keineswegs immer mit ihm einer Meinung überraschenderweise
sehr zum Nutzen dieser höchst lebendigen, vielseitigen Produktion.
Hrdlickas Bühnenbild betonte nämlich den politischen Aspekt
der Tetralogie, Christine Mielitz stellte dagegen die persönlichen
Tragödien der göttlichen Familiengeschichte in den Mittelpunkt.
Der Göttersitz Walhall zum Beispiel ist ein Zwischending aus
Burgruine und den Revolutionsbarrikaden von 1848; die Rheintöchter
treten zunächst gar nicht in menschlicher Form in Erscheinung,
sondern ausschließlich als Objekt männlicher Begierde:
als Puppen, die selber aus purem Gold und außerdem mit einer
Unzahl von Busen, Schenkeln und Pos ausgestattet sind: Symbole für
Geld und gleichzeitig Symbole für Liebe. Die beiden Riesen
Fasolt und Fafner sind zum einen mit etwa 5,50 Metern Skulpturgröße
endlich einmal wirklich riesenhaft, zum anderen tragen sie die Züge
Ludwig II. und Wagners. Nach eigenem Bekunden mag Hrdlicka Wagner
überhaupt nicht aber immer noch mehr als einen König,
deshalb darf Fafner-Wagner Fasolt-Ludwig umbringen und eine Zeit
lang in Drachengestalt den Nibelungenhort bewachen. Politische Anspielungen
dieser Art gab es zuhauf, vergnüglich anzusehen sind sie allemal.
Das ist alles sehr schlüssig, sehr nachvollziehbar; und weil
es so geschickt umgesetzt ist, auch sehr kurzweilig da war
an größeren und höher dotierten Häusern nun
wirklich schon Ermüdenderes und weniger Schlüssiges zu
sehen. Und zu diesen größeren Häusern zählt
auch ausdrücklich das nahe gelegene Festspielhaus in Bayreuth.
Im Lauf der vier Abende verstärkte sich allerdings auch eine
Tendenz, die von Anfang an zu beobachten war: Die Inszenierun- gen
wurden immer sparsamer, die Bühne immer requisitenloser, die
Kostüme immer heutiger. Die dadurch angestrebte Verdichtung
und Aktualisierung erreichte Frau Mielitz nicht immer.
Aber auch, wo sie an ihren selbstgesteckten Zielen scheiterte,
tat Christine Mielitz das, was die Personenführung angeht,
auf hohem handwerklichen Niveau. Selbst im Scheitern ist dieser
Ring großes Musiktheater. Wenn das Opernprovinz
sein sollte, dann bitte mehr davon.
Weitere Ring-Zyklen: 3.6.5.; 1.4.6.; 5.8.7.
Karten: Tel. 03693/45 12 22 und 45 11 37.