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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 38
50. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Der klare Blick ins Innere der Musik
Zum Tod des Komponisten und Dirigenten Giuseppe Sinopoli
Zu seinem 50. Geburtstag dirigierte Mauricio Kagel die Uraufführung
seines Stücks Finale, in dem er gegen Schluss tot
vom Podium fällt der berühmte Dirigententod als
inszenierter Überraschungscoup. Der Herrscher über die
Musik bricht in der Ausübung seiner Macht vor aller Augen zusammen,
und noch in diesem finalen Akt weiß er sich der Sensationslust
des Publikums sicher. Doch während sich Kagel nach dieser ästhetischen
Überlistung des Todes lächelnd davonschleichen konnte,
war es für Giuseppe Sinopoli am 20. April blutiger Ernst. Im
dritten Akt von Giuseppe Verdis Aida erlitt er am Pult
der Deutschen Oper Berlin eine Herzattacke, an der er kurz darauf
starb.
Foto: Charlotte Oswald
Dem Schock fehlte nicht der makabre Hintergrund: Die Vorstellung
dirigierte Sinopoli zum Zeichen der Versöhnung mit seinem alten
Freund Götz Friedrich, dem kürzlich verstorbenen Intendanten
der Deutschen Oper Berlin. Er hatte sich mit ihm 1990 überworfen,
als er schon den Vertrag als Chefdirigent des Hauses in der Tasche
hatte.
Nun wurden Sinopolis Begleitworte im Aida-Programmheft
zur fatalen Vorahnung: Wenn Götz mich heute zum Pult
begleitet, wird es mir scheinen, als wiederhole er mit klarer überzeugender
Stimme die Worte des Ödipus von Sophokles, die er, bevor er
die Szene verlässt, an die Menschen von Kolonos richtet: ...
Du und diese Stadt ... das Schicksal sei euch gnädig, und im
Wohlergehen erinnert euch immer mit Freude an mich, wenn ich tot
sein werde.
An eben diesem Pult schaffte Sinopoli 1980 mit einer Aufsehen
erregenden Interpretation von Giuseppe Verdis Macbeth
seinen Durchbruch als international berühmter Operndirigent.
Schon 1978 in Venedig hatte er mit Aida eine neue Sicht
auf Verdi erschlossen. Auf der Basis kritischer Quellenstudien und
mit reduzierter Streicherbesetzung verhalf er dem Werk zu einer
fast kammermusikalischen Transparenz, die dem psychologischen Geschehen
der Oper ganz anders gerecht wurde als der gängige Monumentalklang.
Hinter diesem kritischen Blick auf die Tradition standen Erfahrungen
auf dem Gebiet der Neuen Musik und der Psychologie. Der am 2. November
1946 geborene Sinopoli hatte in seiner Heimatstadt Venedig Musik
und in Padua zugleich Medizin mit den Schwerpunkten Psychiatrie
und Anthropologie studiert, war mit Bruno Maderna befreundet und
bekam wichtige Anregungen von Franco Donatoni, bevor er 1972 bei
Hans Swarowsky in Wien das Dirigieren lernte. Er schien zuerst den
Weg eines Komponis-ten einzuschlagen, wurde aufgeführt bei
den Festivals in Royan, Graz und Donaueschingen und dirigierte daneben
Neue Musik. Die Schallplattenaufnahmen mit Werken von Schönberg,
Maderna und Manzoni, die er um 1980 unter anderem mit den Berliner
Philharmonikern veröffentlichte, zeigen ihn als kompetenten,
klangbewussten Dirigenten am Anfang seiner Karriere.
Schon früh fühlte sich Sinopoli angezogen von jener
Kultur der Erinnerung, die unter dem Stichwort Mitteleuropa
die italienischen Intellektuellen und Künstler in den 70er-Jahren
wieder einmal faszinierte und die mit Namen wie Nietzsche, Freud,
Kafka, Mahler und Schönberg verbunden ist. Eine Quelle psychologisch-ästhetischer
Introversion, die vor dem Hintergrund einer erlahmenden Avantgarde
auch Sinopoli neue Perspektiven eröffnete. Seine Klangvorstellungen
stehen der Musik eines Alban Berg näher als dem nüchternen
Materialverständnis der Nachkriegsavantgarde. Das zeigte sich
auch in der 1981 in München uraufgeführten Oper Lou
Salomé, die mehr durch ihre bisweilen dichten musikalischen
Momente als vom dramatischen Konzept her überzeugte.
Sie sollte den Schlusspunkt seiner kompositorischen Ambitionen
bilden, denn die Dirigentenkarriere schob sich nun unaufhaltsam
in den Vordergrund. Auch hier folgte der Italiener Sinopoli seiner
alten Sehnsucht. Er vertiefte sich in die österreichisch-deutsche
Tradition des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, darin seinen
Kollegen Giulini und Abbado ähnlich. Als gefragter Dirigent
für Konzertsaal und Schallplatte unterschrieb er 1983 einen
Exklusiv-Vertrag bei DGG und nahm erst als Hauptdirigent, dann als
Music Director des Philharmonia Orchestra London einen kompletten
Mahler-Zyklus auf. Dann produzierte er Bruckner, Schumann, die Chorwerke
von Brahms, Opern und sinfonische Dichtungen von Strauss, zunehmend
mit der Staatskapelle Dresden, deren Chefdirigent er 1992 wurde,
aber auch mit anderen internationalen Orchestern. Um die Klassik
machte er, von Ausnahmen abgesehen, eher einen Bogen.
Seine Interpretationen waren nicht unumstritten. Mahlers Siebte,
die er 1991 in München mit dem Sinfonieorchester des Bayerischen
Rundfunks dirigierte, war von stabilen Tempi und einer transparenten
Darstellung der komplexen orchestralen Schichtungen geprägt,
doch fehlten ihr etwas jene katastrophischen, auch berü-ckenden
Momente, die ein Bernstein in Mahlers Musik so kongenial aufzuspüren
verstand. Der klare Blick ins innere Gefüge der Musik, verbunden
mit strahlendem, schönem Ton, mag bei den Bruckner-Sinfonien
manchen an mystisches Sfumato gewohnten Hörer kalt gelassen
haben; dafür vermochte er der klanglichen Erscheinung der Werke
überraschende neue Facetten abzugewinnen. Ein intellektuell
kontrollierter Schönklang prägt auch die Serie der Aufnahmen
mit Orchesterwerken der Wiener Schule, die er vor kurzem noch mit
der Dresdner Staatskapelle begonnen hat.
Als Operndirigent erweiterte Sinopoli, ein ehrgeiziger und akribischer
Arbeiter, zielstrebig sein Repertoire. Der Verdi-Spezialist erschloss
sich Puccini, dann Strauss und schließlich Wagner. In Bayreuth,
wo er 1985 seinen Einstand mit Tannhäuser gab,
dirigierte er im letzten Jahr den neuen Ring. Sein unerwarteter
Tod kommt nun für Bayreuth, drei Monate vor Beginn der Festspiele,
im denkbar schlechtesten Moment. Angesichts der zunehmenden Anarchie
auf dem Grünen Hügel könnte das ganz nebenbei auch
der kraftlos gewordenen Herrschaft Wolfgang Wagners den Gnadenstoß
versetzen.