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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 40
50. Jahrgang | Mai
Oper & Konzert
Wo gehobelt wird, fallen Späne
Herbert Lauermanns Oper Die Befreiung in Ulm
Der Filmerfolg von Schindlers Liste hat auch das Opernszenario
wachgerufen. Zeitgeschichte, insbesondere im Umfeld des Nationalsozialismus,
garantiert zumindest ein großes Vorab-Interesse. Aufzuarbeiten
gibt es ja immer noch genug. Doch wie soll es geschehen? An der
fraglos großen Bürde jener unseligen Zeit ist im Ulmer
Theater der 1955 geborene Wiener Komponist Herbert Lauermann mit
einem deutschen Nachkriegsszenario gescheitert. Lauermann, der bei
Erich Urbanner in Wien studierte, sich dann zwanzig Jahre als Musikerzieher
durchschlug, ehe er vor gut fünf Jahren eine Professur für
Tonsatz erhielt, hat bisher auf internationalem Parkett mit seinen
Arbeiten noch relativ wenig Aufmerksamkeit erregt.
Markus Herzog (Veltlin), Petteri
Falck (Stephan) und Franzisak Stürz (Elisabeth). Foto:
Stadttheater Ulm
Das dürfte vorerst so bleiben. Seine Oper Die Befreiung
ging gleich auf mehreren Ebenen schief. Das begann schon beim Libretto,
das der heute in Düsseldorf lebende russische Lyriker Alexander
Nitzberg nach Vorlagen von Francisco Tanzer erstellt hat. Der Österreicher
Tanzer war 1938 emigriert und kehrte nach dem Krieg als amerikanischer
Offizier ins besetzte Deutschland zurück. Er machte auch bei
den Befreiern kritische Beobachtungen, notierte sie. Denn nicht
alles, was geschah, hielt den Prämissen eines propagierten
Humanismus stand (wen wundert es?). Ein bislang unveröffentlichter
Roman formte sich daraus, in dem Tanzer sich wohl auch eigenes Verschulden
von der Seele schrieb: ein Liebesverhältnis zu einem deutschen
Mädchen, das mit Abtreibung und letztlichem Scheitern der Beziehung
endete. Die Umstände hätten keine andere Lösung zugelassen
und Tanzer notierte später: Der Mensch ist machtlos gegen
die Menschheit.
Darauf versuchte Nitzberg zu fokussieren und er verfing sich schon
von Beginn an im reportagenartigen Gestrüpp des 400-Seiten-Romans.
Denn die Bühne ist eben ein anderer Raum und wenn pöbelnde,
grölende, saufende, lüsterne, aber auch philosophierende,
nachdenklich abwägende oder echt liebende US-Soldaten
im Verhältnis eins zu eins darauf übertragen werden, dann
ergibt sich ein Bilderbogen, der nach Klischee geradezu dürstet.
Theater, so wie Nitzberg und auch Lauermann es sehen möchten,
muss aber dramaturgisch stimmen, muss theatralen Sinn machen. Ein
grau geschminkter Trümmerzeitrealismus, in dem wie in einem
schlechten Journal als Einlage die scheiternde Liebesgeschichte
erzählt wird, kann da nicht genügen. Die Spanne zwischen
gut und gut gemeint, zwischen Erleben-Lassen und Vorzeigen tut sich
schmerzhaft auf. Im Grunde wird nur erzählt: Die hübsche
Elisabeth hasst und verachtet zunächst die American Soldiers,
dann tanzt sie, vielleicht um die eigene Widerstandskraft zu testen,
mit Stephan, erliegt ihm, erwartet ein Kind, treibt es auf Zureden
Stephans ab, schließlich trennt man sich halb desillusioniert,
halb liebend beim Abzug der Soldaten. Die Eltern von Elisabeth können
alles nicht fassen. Vermutlich war es so, aber eine Oper kann nicht
so sein. Sie bekommt kein Gerüst, keine psychologische Strenge
und Genauigkeit, sie verkümmert im Bebildern. Wo gehobelt
wird, fallen Späne, weiß der Text und übersieht
dabei den eigenen Hobel.
Schon beim Libretto also wäre Vorsicht angezeigt gewesen.
Ohne sie wurde eine ganze Lawine musiktheatraler Dürftigkeiten
oder gar Verfehlungen losgetreten. Lauermanns Musik kam nicht aus
der Reserve, blieb fleischlos, häufig bewegte sie sich in sparsamer,
konservationstonartiger Zweistimmigkeit, wobei dieser Sparsamkeit
beim besten Willen eine bewusste und dadurch tragfähige Reduzierung
zu attestieren war. Zitate schlüpften in der Art von Garnierungsvorschlägen
hinein, es waren nahe liegende: Gospel, Soldier-Song, Glenn-Miller-Geschmeidigkeit,
Jazzsequenzen. Im Wesentlichen blieben sie montierte Dekoration.
All dies wirkte holprig und abgegriffen und auch da, wo die Musik
sich mehr Massivität gestattete, zum Beispiel während
des Akts der Abtreibung (im Nebenraum), holte sie eigentlich nur
Standards, also schmerzhafte Tontrauben im Blech, hervor. Selbst
auf die Attrappe des lüstern und wissenschaftlich zynischen
Doktors, der mit seiner überdimensionierten Spritze ejakuliert
und dessen geisterhafte Doppelung mit blutiger Schüssel aus
dem Fötusmordzimmer tritt, wollte das Stück nicht verzichten.
Warum so grell, warum so krass demonstrativ in allen Mitteln, wo
es doch eigentlich um subtile Verschiebungen menschlichen Umgangs
miteinander gehen sollte?
Denn auch Regie (Bruno Berger-Gorski) und Bühnenbild (Klaus
Hellenstein) schlugen in diese Kerbe: Deutscher Putzfrauenlook,
rechts gescheitelter Vater, aufdringliche Tarnfarben der US-Soldiers.
Elisabeth wurde briefeschreibend gedoppelt zu einer Erscheinung
mit weißem, unten blutigem Kleid. Und bei der Abtreibung reißt
die Wand des kleinbürgerlichen Wohnzimmers entzwei. Drastisches
wird nicht drastischer, wenn es immer wieder in Musik, Regie und
Bild Ausrufezeichen setzt.
Was blieb, war eine solide musikalische Aufführung. Die Protagonisten
(Petteri Falck als Stephan, Franziska Stürz als Elisabeth)
bewältigten ihre Parts mit Anstand, die wenig herausfordernde
Partitur bot hierfür Raum. Auch dem Philharmonischen Orchester
Ulm unter Wolf-Michael Storz wäre Sicherheit und Engagement
zu bescheinigen. Doch es hätte um mehr gehen sollen, ja gehen
müssen. So aber lagen die dunklen Schatten dieser Zeit nebelhaft
über der Aufführung und die ließen kein aufklärendes
Licht wirklich tieferer Erfahrung zu.