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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 4
50. Jahrgang | Mai
Cluster
Der Fluch des Rings
Wolfgang Wagner hat es zur Zeit nicht leicht. Er verwaltetet einen
lebenslang vermachten Erbbesitz, den ihm so gut wie keiner mehr
gönnt. Wie der Drache Fafner behütet er in starr-sturer
Ruhe das Gesamtleitungs-Privileg der Bayreuther Festspiele, einen
neuzeitlichen Siegfried, der ihm einfach frech den Besitz raubt,
gibt es in den Tagen von Agreement und zum Firmenideal erhobener
Corporate Identity nicht. Die Tochter Eva als designierte und von
Wolfgang vorgeblich anerkannte Nachfolgerin macht derzeit das gleiche
wie der Vater, sie wartet. Wer das wohl länger kann?
Abzusehen ist, dass ausdauerndes Warten auch frisch erhält,
dass herbeigesehnte Alters-Halbwertszeiten allen physisch-physikalischen
Gesetzen trotzen und von den geistigen Verfallsdaten wollen
wir hier gar nicht sprechen. Was macht das Schicksal in der Oper
bei so schier ausweglosen Situationen? Es greift auf die Nornen
oder andere Göttinnen des ewigen Fatums zurück
und schlägt zu. Fafners Ruhe wird unterminiert von einer Seite,
mit der er nicht rechnete. Der Tod Giuseppe Sinopolis, der ab Ende
Juli in Bayreuth den Ring dirigieren sollte, ist so
ein Schlag, der nun wie ein Menetekel über dem Haupt von Wolfgang
Wagner schwebt. Hätte in besseren Zeiten sich solches ereignet,
dann wären die Beteiligten zusammengerückt und hätten
eine Lösung auf die Bühne gewuchtet, der, wenn schon nicht
umfassend künstlerisch, so doch zumindest von organisatorischer
Seite höchstes Lob gezollt worden wäre.
Und da Kunst ohne Organisation nicht funktioniert, hätte auch
sie profitiert. Nun aber ist alles anders. Ist es nicht ein Fingerzeig
der Götter, so mag mancher klammheimlich denken, dass Wolfgang
Wagner, der alles um sich hortet und festschmiedet, nun die Künstler
wegsterben? Wenn er nicht abtritt, dann treten seine Mitstreiter
unwiederbringlich ab, fallen wie die letzten Scharen der Nibelungen
im neuen Reich Etzels. Ob ein Herr Thielemann wie der schier unverwüstliche
Recke Hagen hier noch zur Seite springt, ob ein Barenboim die Pfründe
zu wahren versucht wir wissen es noch nicht. Aber eines ist
klar: Die Zeit, die Wolfgang Wagner so lange für sich arbeiten
ließ, kehrt sich nun gegen ihn. Sie wird enger. Und Bayreuth
lässt sich noch nicht zu Tode trotzen. Auch wenn es in das
Weltbild des Großvaters wohl passen würde. Aber vielleicht
wird einst Wolfgang Wagner als letzter Heroe die Festspiele ganz
allein bestreiten. Neue Sampling-, Delay- und Hall-Technologien
machen es ja möglich, dass eine Stimme zum ganzen Chor oder
zum Orchestersound hochgefahren wird. Wäre das nicht sogar
das letzte und reinste Ideal des Gesamtkunstwerks?