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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 56
50. Jahrgang | Mai
Dossier: Musikschulen
in Bedrängnis
Nun müssen den Absichtserklärungen Taten folgen
Kommunale Arbeitstagung des Verbandes Bayerischer Sing- und Musikschulen
Flotte Rhythmen, intoniert auf Waschbrett, Gitarre und Klavier,
markierten den Beginn der Kommunalen Arbeitstagung Musik braucht
Qualität im ganzen Land. Sing- und Musikschulen: Ein
öffentlicher Auftrag. Knapp 200 Repräsentanten der
Gemeinden, Städte und Landkreise hatten sich in der Kreismusikschule
Erding versammelt, um die politische Standortbestimmung und Willensbildung
zum Thema Musikschulen in Bayern voranzutreiben. Landrat Hanns Dorfner
aus Passau, Präsident des Verbandes Bayerischer Sing- und Musikschulen,
hatte zu dieser besonderen Tagung eingeladen.
Es referierten am Vormittag der Bayerische Staatsminister für
Wissenschaft, Forschung und Kunst, Hans Zehetmair, der Präsident
der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, Prof. Dr. Holger
Magel, und aus Oberösterreich Landeshauptmann a.D. Dr. Josef
Ratzenböck. Am Nachmittag diskutierte man unter Leitung des
Initiators der Tagung, Landrat Hanns Dorfner, mit so hochkarätigen
Persönlichkeiten wie den Präsidenten der drei bayerischen
kommunalen Spitzenverbände, Josef Deimer, Städtetag, Heribert
Thallmair, Gemeindetag, und Theo Zellner, Landkreistag. Der Landtag
war durch Petra Guttenberger (CSU) und Dr. Hildegard Kronawitter
(SPD) vertreten, die Elternschaft durch Heidi Sperber, Vorsitzende
der Landeselternvereinigung Bayerischer Musikschulen e.V.
Staatsminister Hans Zehetmair, der seinerzeit die Kreismusikschule
Erding ins Leben gerufen hat, zitierte in seinem Vortrag einschlägige
Forschungen, die die positiven Wirkungen des Musizierens auf Intelligenz,
Kreativität und soziales Verhalten beweisen, und forderte,
man müsse sich nach bes-ten Kräften dafür einsetzen,
dass noch viel mehr Menschen zur Musik finden, und das möglichst
früh. Angesichts des Auftrags, der in der Bayerischen
Verfassung in Art. 140 festgeschrieben ist (Kunst und Wissenschaft
sind von Staat und Gemeinde zu fördern), sei die Frage,
ob die örtliche Kulturpflege eine Pflichtaufgabe
oder eine freiwillige Leistung sei, nachrangig oder
nur akademisch. Die heiklen Punkte im bayerischen Musikschulwesen
sind laut Zehetmair:
erstens die weitere Entwicklung des Musikschulwesens in seiner
Breite; zweitens die falsche Forderung nach Privatisierung; drittens
die zunehmend schwierige Finanzierung sowie viertens der Ausbau
von Ganztagsschulen, der nicht auf Kosten der Musikschulen gehen
darf.
Prof. Dr. Holger Magel, Präsident der Bayerischen Akademie
Ländlicher Raum, referierte das Konzept der Aktiven Bürgergesellschaft,
nach dem der einzelne Mensch Verantwortung übernehmen soll
für sich, für das Gemeinwesen und damit auch für
die Zukunft.
Musikerziehung spiele eine entscheidende Rolle dabei, dass sich
der einzelne Mensch in seiner Lebensumgebung verwurzele und in der
Folge dann auch bereit sei, diese mit zu gestalten. Denn die Ausrichtung
der Menschen werde sich von den materiellen Werten eines hohen Lebensstandards
immer mehr hin zu emotionalen Qualitäten verschieben, die Fragen
nach dem Lebenssinn würden mehr Bedeutung erlangen. Eine Gesellschaft
ohne Kultur sei seelenlos und werde den Anforderungen der Zukunft
nicht gewachsen sein, da ein stabiles Wertesystem fehle. Da sein
Dorf dem Bürger näher ist als der Staat (Roman Herzog),
biete der Staat nach dem Subsidiaritätsprinzip Hilfe zur Selbsthilfe.
Kulturarbeit sei in diesem Sinne Beheimatungsarbeit,
und infolgedessen habe sie eine übergeordnete Bedeutung. Genau
hier arbeiteten die Musikschulen mit großem Engagement und
gestalteten so in vorbildlicher Weise die Gesellschaft der Zukunft
mit. Interessante Zahlen referierte Landeshauptmann a.D. Dr. Josef
Ratzenböck aus Oberösterreich. Mittels eines Musikschulgesetzes
sei es gelungen, innerhalb von gut 20 Jahren eine blühende
Musikschullandschaft aufzubauen, in der heute fast vier Prozent
der Bevölkerung unterrichtet würden, in Deutschland seien
es 1,1 Prozent, ebenso in Bayern. Das Land Oberösterreich trage
die Personalkosten, die Kommunen stellten die Räume und die
Ausstattung.
In der Podiumsdiskussion kamen die Eltern, die in Bayern rund 43
Prozent der Kosten tragen, durch die Vorsitzende der Landeselternvereinigung
Bayerischer Musikschulen e.V., Heidi Sperber, zu Wort. Sie wies
auf die positive Arbeit der Musikschulen hin, legte aber auch den
Finger auf wunde Punkte. Hohe Kosten hielten viele Eltern davon
ab, die Kinder in die Musikschule zu geben, ebenso die teilweise
sehr hohen Auswärtigenzuschläge, deshalb sollte der Staatszuschuss
unbedingt auf 25 Prozent erhöht und das Angebot flächende-ckend
in ganz Bayern eingerichtet werden.
Der Präsident des Bayerischen Gemeindetages, Heribert Thallmair,
gab ein Bekenntnis zur Quasi-Pflichtaufgabe der Gemeinden
ab, eine Musikschule zu betreiben und forderte bei der Finanzierung
eine Kostenaufteilung zwischen Staat (Personal) und Kommune (Sachaufwand).
Der Vorsitzende des Bayerischen Städtetages, Josef Deimer will
die Musikschulen als Erziehungsaufgabe verankert wissen, damit das
bayerische Musikschulsystem nicht gefährdet werde durch Anpassungstendenzen
in der EU. Er riet aber davon ab, ein Musikschulgesetz zu erlassen.
Der Präsident des Bayerischen Landkreistages, Theo Zellner,
sieht eine wichtige Aufgabe der Musikschulen darin, eine emotionale
Bildung aufzubauen, die es jungen Menschen ermögliche, Gefahren
wie etwa des Drogenmissbrauchs zu widerstehen. Insofern sei Musikschularbeit
eine staatliche Aufgabe.
Die Landtagsabgeordnete der CSU, Petra Guttenberger, regte ein
Musikschulgesetz an. Die Landtagsabgeordnete der SPD, Dr. Hildegard
Kronawitter, forderte die Spitzenverbände zu mehr politischer
Aktivität auf, um dadurch weitere Unterstützung geben
zu können. Auch sie forderte die Diskussion um ein Musikschulgesetz.
Die Sorgen der Bürgermeister artikulierten sich in zahlreichen
Wortmeldungen aus dem Plenum. Eine bessere kommunale Zusammenarbeit
müsse dringend angestrebt werden, da sonst die Schüler
in der Luft hängen. Der Freistaat wurde aufgefordert,
er möge den Lippenbekenntnissen endlich Taten folgen lassen
und die Bezuschussung auf 25 Prozent anheben. Da dies den Haushalt
nur im Promillebereich belaste, sei dies reine Willenssache. Sorge
macht den Bürgermeistern, dass die kommunale Musikschulbezuschussung
zu den freiwilligen Leistungen gehört und somit
in Krisensituationen disponibel sei. Die Einführung der Ganztagsschule
bereitet ebenfalls Sorge, da einerseits der von den Musikschulen
erteilte Unterricht im Nachmittagsbereich nicht zu Las-ten der Kommunen
gehen dürfe und andererseits die Schulen nicht ihrer Pflichtaufgabe
Musikunterricht enthoben werden dürften. Man wird
die Ergebnisse der Unterrichtsversuche der acht Musikschulen in
öffentlichen Schulen abwarten müssen.
Landrat Hanns Dorfner fasste die Ergebnisse der Tagung zusammen.
Demnach sind die Musikschulen eine öffentliche Bildungsaufgabe,
verankert in der Bayerischen Verfassung, geführt in kommunaler
Basisverantwortung. Die Spitzenverbände stehen mit Überzeugung
zu den Musikschulen und fordern die staatliche Mitverantwortung
in Höhe von 25 Prozent der Lehrpersonalausgaben. Die Umlandversorgung
muss durch vernetzte Systeme verbessert werden, auch in den bisher
nicht erfassten Gemeinden muss ein finanziell für die Eltern
tragbares Angebot geschaffen werden. Im allgemeinen Bildungswesen
müssen die Musikschulen eine klar definierte Stellung bekommen,
sowohl hinsichtlich gesamteuropäischer Entwicklungen als auch
in Bezug auf die entstehende Ganztagsschule. Landrat Dorfner hofft,
dass von der Tagung eine Signalwirkung für die weitere Entwicklung
der Musikschulen ausgeht. Ich möchte, so schloss
er die erfolgreiche Tagung mit einem deutlichen Blick auf den Freistaat,
nicht noch einmal zehn Jahre warten, bis sich in der Finanzierung
etwas verbessert.