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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 53
50. Jahrgang | Mai
Dossier: Musikschulen
in Bedrängnis
Das Vorbild Ostberlin hat ausgedient
Berliner Musikschulen bald Auslaufmodelle? Die Bezirksreform
und ihre Folgen
Was war das für ein Enthusiasmus 1990 nach der Wende, auch
unter Musikschulleuten! Hier in Berlin gab es nicht die vermeintliche
Chance, im eigenen Ghetto Ost oder West zu bleiben. Die Gegensätze
prallten ohne Verzögerung aufeinander: die biografischen, die
sich etwa in unterschiedlichen Sprachen darstellten aber auch die
strukturellen, bei den Musikschulen besonders krass und ausgeprägt.
Jeder der elf Bezirke aus dem Ostteil brachte eine Musikschule ein,
mit leider nicht sehr vielen Schülern, aber fast ausschließlich
fest angestelltem Personal, und in jedem der zwölf Bezirke
im Westteil gab es eine Musikschule mit hoher Schülerzahl aber
leider mit wenigen festen Stellen und überwiegend Honorarlehrer/-innen.
Der Wille zum Aufbruch, zum Ausgleich einte und beflügelte
damals die Akteure in Musikschulen, Verwaltung und Politik. So gab
es bis zirka 1995 einen hoffnungsvollen Transfer feste Stellen
in den Westteil, dafür Honorarmittel in größerem
Ausmaß in den Ostteil der Stadt. Heute klingt ein Satz aus
der Koalitionsvereinbarung von 1991 zwischen SPD und CDU im Berliner
Abgeordnetenhaus schon fast wie Hohn: Die Berliner Musikschulen
werden nach dem Vorbild der Musikschulen im Ostteil der Stadt strukturell
verbessert.
Einsparquoten, Haushaltssperren, mehr oder weniger laute Überlegungen
von Politikern und Schubladenpläne der Senatsinnenverwaltung
zu Privatisierungsmöglichkeiten überziehen die Musikschulen
in den letzten Jahren wellenartig. Die Entgelte klettern auf inzwischen
zirka 1.800 Mark im Jahr bei 60 Minuten Einzelunterricht, sind also
kaum noch steigerbar. Die ganz aktuellen Zeichen zeigen Sturm an.
Berliner Haushaltslöcher, auch selbst gemachte, vernebeln langfristige
Überlegungen, lassen Fragen nach Inhalten nicht mehr zu. Was
wird aus Kindern und Jugendlichen, die wir der Straße überlassen,
ist eine Frage, die den schulterzuckenden Verweis mancher Politiker
auf den akuten Geldmangel nach sich zieht. Das Selbstverständnis
einer Musikschule mit langfristiger kultureller Verantwortung in
Deutschland zu begründen erzeugt müdes Lächeln. Vor
diesem Hintergrund ist die am 01.01. 2001 vollzogene Berliner Bezirksreform
abgelaufen. Aus den 23 Bezirken wurden 12 mit durchschnittlich je
300.000 Einwohnern. Ziel dabei war eine Verkleinerung der Landes-
und Bezirksverwaltungen bei Erhöhung der Effizienz. Die Reform
hatte, trotz aller Warnungen der Fachleute und Expertenkommissionen,
auch die entsprechende Fusion der Berliner Musikschulen zur Folge.
Seit dem 01. 01. 2001 sind für Berlin also Musikschulen mit
zirka 4.000 Schüler/-innen und 200 Lehrer/-innen pro Bezirk
typisch. (Bei Gymnasien oder Grundschulen ist auch in Berlin niemand
auf diese Idee gekommen.) Die Strukturen zur künstlerischen,
pädagogischen und administrativen Steuerung solcher Rieseneinheiten
müssen noch entwickelt werden, heißt es dazu lapidar
im Bericht einer Strukturkommission. Gespart werden einige Leiter/-innen-
und stellv. Leiter/-innenstellen. Ins geradezu Absurde wird diese
Berliner Musikschulstrukturorgie bei der augenblicklich stattfindenden
Diskussion zum Entwurf des Berliner Schulgesetzes getrieben. Der
Schulsenator möchte darin für die jetzigen Bezirke die
Verpflichtung zum Betreiben einer Musikschule nicht festgeschrieben
haben.
Er hält es auch für ausreichend, wenn mehrere Bezirke
(mit Großstadtformat) gemeinsam eine Musikschule betreiben.
Der Verdacht liegt nahe, dass damit der Ausstieg Berlins aus der
kommunalen Verantwortung für die Musikschulen vorbereitet werden
könnte. Und ganz ins Gegenteil verkehrt wird der oben zitierte
Satz aus der Koalitionsvereinbarung von 1991 durch ein vor wenigen
Tagen beschlossenes Modell des Berliner Innensenators zur Ausstattungsangleichung
der Berliner Verwaltung zwischen den Bezirken. Musikschulen werden
darin mit Verwaltung gleichgesetzt. Statt eines Ausgleichs kommt
so eine weitere Verschärfung der Disproportionen heraus. Die
Kürzungen treffen besonders den Ostteil mit seinem niedrigen
Musikschulversorgungsgrad von 7,3 Jahreswochenstunden pro 1.000
Einwohner, während der Westteil bereits bei 10,8 liegt.
Werden die Berliner Musikschulen zu Auslaufmodellen? Obwohl in
den meisten Berliner Musikschulen lange Wartelisten existieren,
ist diese Frage keine rhetorische mehr. Die Hoffnung auf eine dennoch
erträgliche Musikschulentwicklung über das lange Tal der
leeren Kassen hinweg in den nächsten Jahren begründet
sich weniger auf ein Umdenken in der Landespolitik, sondern vielmehr
auf so manchen Bezirkspolitiker in Praxisnähe und viel mehr
auf 50.000 Berliner Musikschüler/innen, deren Eltern, Tanten,
Onkel... Freunde, die alle auch Wähler sind.