[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 12
50. Jahrgang | Mai
Forum
Jagdszenen in Deutschland Mut gegen rechte Gewalt
Eine Tourmanagerin berichtet in einem sehr persönlichen
Bericht von den Eindrücken einer Konzertreise
Hallo liebe Leute, ich schreibe euch heute allen zusammmen
ein Mail, weil ich euch allen etwas berichten möchte, was
ich erlebt habe... Derart harmlos begann die E-Mail, die
der Redaktion über eine PR-Agentur am 26. April zugegangen
war. Doch was dann geschildert wurde, wühlte auf. Meike,
die Verfasserin des Briefes, die aus Furcht vor Gewaltandrohung
ihren Nachnamen nicht nennen möchte, berichtete von einem
HipHop-Konzert in Wurzen, einer Ortschaft in Sachsen, die in Skinheadkreisen
zu den so genannten national befreiten Städten
gezählt wird. Was da über rechtsradikalen Terror und
Geheimbundmentalität in einer deutschen Kleinstadt zu lesen
war, ließ einem den Atem stocken. In der Redaktion wurde
sogar die Frage laut, ob man nicht einer besonders gelungenen
PR-Aktion aufsitze. Einige Telefonate später war klar: Was
da stand, war bis auf ein, zwei Ungenauigkeiten korrekt. Laut
Jörn Menge von der Agentur Büro LÄRM hatte Meike
die E-Mail nur an einen internen Freundeskreisverteiler gesandt.
Doch wie ein Lauffeuer hätte es sich ausgebreitet, so dass
mittlerweile einige deutsche Rundfunksender und Zeitungen bei
ihm angerufen hätten. Und er gab zu, er freue sich über
das unverhoffte Presseecho, versicherte aber gleichzeitig, dass
es eine private Aktion von Meike gewesen sei. Die nmz hält
das Thema für so wichtig, dass sie Meikes Brief in Auszügen
abdruckt.
Der Hintergrund des Briefes ist folgender: Meike ist
Tourleiterin im Auftrag von Büro LÄRM und begleitet
eine Gruppe von HipHop-Musikern auf einer Tournee durch Neustadt
an der Orla, Wurzen, Eberswalde, Dessau und Bad Salzungen, alles
Städte in Ostdeutschland, in denen das Problem Rechtsradikalismus
und Ausländerfeindlichkeit akut ist. Die Tour ist ein Benefiz-Projekt
zugunsten der Stern-Aktion Mut gegen rechte
Gewalt. Die Erlöse der Konzerte gehen unter anderem
an die Amadeu-Antonio-Stiftung. ak
Ich möchte euch hier von unserem Aufenthalt in Wurzen am 21.
April 2001 erzählen, weil ich das Gefühl habe, dass viel
mehr Menschen darüber informiert werden müssen, was in
dieser Stadt abgeht.
Wurzen ist die erste Stadt, die sich national befreite Zone
genannt hat, demzufolge gibt es dort auch keine Ausländer.
Es gibt keine Dönerbude, es gibt kein italienisches Restaurant.
Das einzige China-Restaurant, dass es dort gab, wurde so lange terrorisiert,
bis die Inhaber flohen. Die Anfangsbuchstaben vom Happy House
(Name des Restaurants) wurden stehen gelassen und stehen heute für
Heil Hitler. Die Nazis haben dort einen ihrer Treffpunkte
eingerichtet, an dem sie so genannte Heimatabende verbringen. Als
wir in Wurzen ankamen, war sofort klar, dass wir dort alles andere
als willkommen sind. Wir wussten zwar, dass Wurzen mit der härteste
Termin auf unserem Plan war, doch was uns dort erwarten sollte,
übertraf jede Vorstellung.
Vor Ort organisierte das Konzert eine Gruppe von Antifa-Leuten,
die (man kann es gar nicht glauben) in Wurzen und Umgebung wohnen.
Diese Menschen sind alle um die 20 Jahre und wollen nicht aus Wurzen
wegziehen, da sie sagen, dass sie den Kampf dann endgültig
verloren haben.
Unsere Sprüher, die fester Bestandteil der Tour sind, fingen
um 14 Uhr an, eine Mauer, die gegenüber des Geländes an
einer Strasse lag, zu bemalen. Von Anfang an wurden sie von vorbeifahrenden
Nazis bedroht (Heute nacht krieg ich dich. Ich töte euch.
et cetera). Von der vorher abgesprochenen Polizeistreife zu unserem
Schutz war nichts zu sehen. Um zirka 15 Uhr hielten zwei Polizeiautos
vor der Mauer. Die Polizisten stiegen aus und verlangten von den
Sprühern die Sprüherlaubnis. Reine Schikane, wenn ihr
mich fragt, denn logischerweise war die ganze Veranstaltung (also
auch das Sprühen) genehmigt und angekündigt. Von Anfang
an trat die Polizei sehr unfreundlich und äußerst unkooperativ
auf. Einer der Sprüher, der chinesischer Abstammung ist, filmte
die ganze Aktion mit seinem Camcorder. Plötzlich nahmen die
Polizisten ihn und wiesen ihn an, ihnen ins Polizeiauto zu folgen.
Es gab überhaupt keine Erklärung beziehungsweise rechtliche
Grundlage zu dieser Aktion. Ich versuchte herauszufinden, was dem
Sprüher vorgeworfen wurde, aber schon bald war klar, warum
gerade er ausgesucht wurde. Ich bekam keine Antworten auf meine
Fragen. Daniel (Sprüher) musste seinen Film löschen und
seine Personalien angeben. Dafür gibt es ebenfalls keine rechtliche
Grundlage. Reine Schikane! Als mir einer der Polizisten dann sagte,
dass der Sprüher dort festgehalten wird, weil er ja erst einmal
seinen Namen buchstabieren müsse (Oder können Sie
etwa Vietnamesisch?), war die Situation kurz vor dem Eskalieren.
Deshalb und natürlich auch, weil wir die Presse hinter uns
haben (Stern und Focus waren anwesend),
wurde Daniel schließlich wieder frei gelassen. Von da an war
klar, dass die Polizei, die uns eigentlich beschützen sollte,
nicht wirklich auf unserer Seite steht. Ein Einsatzwagen stellte
sich dann eine Zeit lang neben die Mauer, und tat so, als würde
er aufpassen. Einer der Polizisten in diesem Auto war der Vater
des NPD-Vorsitzenden dieser Stadt. Ein weiteres Beispiel für
die Parteiorientierung der Polizei: ein einzelner Nazi geht an zirka
30 Sprühern vorbei und sagt ganz selbstbewusst, dass er heute
Nacht alle tötet. Dann geht er um die Ecke und begrüßt
die schon erwähnten Polizisten.
Das Konzert verlief reibungslos. Uns wurde so viel Dankbarkeit
entgegen gebracht und wir merkten wie in Neustadt, dass es so wichtig
ist, etwas für die Menschen zu tun, die gegen diese Nazis kämpfen.
Ich habe tiefsten Respekt, vor diesen Leuten, die dort täglich
verprügelt oder aus Bussen geschmissen werden und den Kampf
trotzdem nicht aufgeben!!!
Als das Konzert zu Ende war und der Großteil des Publikums
zu Hause und die Bands im Hotel waren, tauchten plötzlich zirka
50 Glatzen auf dem großen Parkplatz vor dem Konzertgelände
auf. Von der Polizei war zunächst nichts zu sehen. Unser Sicherheitschef
konnte die Nazis mit seinen Leuten einkesseln und eine Straße
hochtreiben. Dann tauchte auch die Polizei auf, die
sich (mal wieder) äußerst unkooperativ verhielt. Doch
nach einem Gespräch des Einsatzleiters mit Anetta Kahane von
der Amadeu-Antonio-Stiftung, die während der ganzen Tour dabei
ist, gaben die Polizisten ein Versprechen, dass sie auf dem Parkplatz
blieben, bis alle Beteiligten den Ort verlassen hätten. Immer
wieder tauchten Nazis aus der Dunkelheit auf. Im Fünfer-Konvoi
fuhren wir (Stiftung, Sprüher, Focus-Fotograf und ich) dann
mehr oder weniger fluchtartig mit unserem Sicherheitschef in unser
Hotel, dessen Besitzer übrigens einen der NPD-Jugendclubs durch
Geldspenden unterstützt. Auf dem Weg bekamen wir dann noch
zum Abschied den Hitlergruß. Ich finde es sehr wichtig, dass
ich möglichst vielen Menschen mitteile, was in dieser Stadt
abgeht. Man glaubt üblicherweise, das sind doch nur so ein
paar Vollidioten, die so denken. Man kann sich das aber nicht vorstellen,
wenn man es nicht erlebt hat oder jetzt hört. Es ist wirklich
so schlimm. Egal wohin du guckst, es leben dort nur Nazis (bis auf
die Handvoll Antifa-Leute). Der Stadtrat, Polizei egal was
Nazis! Und die, die keine Glatze oder Hitlerfrisur tragen,
verschließen die Augen, genau wie vor 60 Jahren.
Auch wenn ich in meinem ganzen Leben noch nie solche Angst vor Menschen
gehabt habe, bin ich sehr froh, dass ich diese Tour mitmache. Die
Menschen, die dort gegen die Nazis kämpfen, müssen viel
mehr unterstützt werden. Ich würde immer wieder bei dieser
Aktion mitmachen.
Bei dem Konzert übrigens waren zirka 400 Leute, die richtig
gefeiert haben. Denen war es im Prinzip auch total egal, wer auf
der Bühne steht. Hauptsache, es wird was für sie getan.
Meike, Tourleitung Büro LÄRM
Meike bat die Redaktion um folgende Anmerkung: Der Polizeichef
von Wurzen stand von Beginn an auf der Seite der Musiker und versuchte
den sicheren Ablauf der Organisation zu gewährleisten. Die
ausführenden Polizisten schienen dazu jedoch eine eigene Meinung
zu haben.