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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 31
50. Jahrgang | Mai
IG Medien
Fachgruppe Musik
Tauchfahrt durch die populäre Triebabfuhr
Pop im Strudel deutscher Leitkulturen rechts- oder linksdrehende
Walküre? · Von Udo Feist
Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden,
argumentierte schon Paulus, als man ihn wegen einer Kollekte Schmarotzer
nannte. Und ganz ähnlich wehrt sich bis heute, wer beruflich
vom Wohl der Menschheit lebt. Ob Pfarrer oder Funktionär, Guru
oder Entertainer. Sogar die Musikindustrie (vorgeblich im Überlebenskampf
mit Napster-Adepten und Schulhofpiraten) benutzt zur Rechtfertigung,
was der Apostel den mosernden Korinthern schrieb: Niemand
zieht in den Krieg und zahlt sich selbst den Sold. Logisch
oder doch bloß Tränen der Krokodile?
Nun ging es dort ums Seelenheil, während am Popmarkt schnödes
Diesseits interessiert. Aber weil auch das mitunter Erlösung
braucht sei es durch psychedelische Instant-Utopien (Yellow
Submarine) oder akustische Gemütsmassagen, die den Alltag
transzendieren , scheint die Argumentation dennoch triftig.
Erst recht, wenn neben triebabführender Sozialbefriedung auch
identitätsbildende Pop-Aspekte gewürdigt werden. Dann
wirds nämlich unmittelbar gesellschaftlich und somit
politisch. Sollte es zumindest, wie etwa MdB Monika Griefahn mutmaßt:
Der geschichtliche Fundus wie auch aktuelle Statements der
Popkultur liefern genügend Material, um unsinnigen Leitkultur-Debatten
zu begegnen und deren völkischen Kern zu entlarven und
dadurch wiederum auch Perspektiven für eine wirksame Bekämpfung
derartiger Rollback-Versuche. Denn: Vielfalt ist der
größte Feind der Einfalt.
Ob Griefahns implizite Dreisatz-Didaktik (Mein Hit vereint
schwarzen Soul, britischen Beat und Samples aus Brasilien
also respektiere ich die Menschen) wirklich verfängt
und nicht bloß Hoffnungspfeiffen im braunen Walde ist, scheint
indes sogar bei jenen zweifelhaft, die den Sound des gottbegeisterten
Mannheimers Naidoo mögen. Schließlich jubelt so mancher
Rassist, wenn der Nigerianer seines Fußballclubs
erfolgreich war und beteiligt sich gleichwohl an mörderischem
Nigger-Klatschen.
Eindeutig ist wohl nur, dass Griefahns Popverständnis auf
einer Sicht beruht, die gemeinhin mit den geschmähten 68ern
verbunden wird wonach Pop (damals noch Rock genannt) für
Aufbruch und Jugend stehe, libertär, konstruktiv-antiautoritär,
egalitär und demnach links sei. Es spricht indes
für Weitblick, dass sie ihre Ausführungen zu Pop
& Politik mit dem Untertitel Licht, Schatten, Leitkultur
relativiert zwingender aber werden sie darum nicht. Denn
so sehr Pop auch zu Herzen gehen mag, so wenig erreicht er zumeist
das, wofür es schlägt. Am Beispiel: Die Hymne We
are the Champions des durchweg integren schwulen Rock-Impressario
Freddy Mercury bedeutet und transportiert sofort ganz Anderes, wenn
sie eine chauvinistische Horde anstimmt. Popverwirrung oder doch
inhärent martialische Differenzmarkierung à la Wir und
Ihr?
Apokalyptisches Szenario
Für schonungslose Selbstversuche scheinen gegenwärtig
die jüngsten Erfolge von Joachim Witt geeignet: Immerhin konnte
der Neue-Deutsche-Welle-Star (Goldener Reiter) sein
Apokalyptik-Szenario Die Flut (1998) gleich 700.000-mal
verkaufen. Ein Gänsehautstück über Helden auf verlorenem
Posten, in schwülstigen Heroik-Sound gekleidet wie die Sänger
in schwarzes U-Bootfahrer-Leder, wenn sie im Video der Bedrohung
mit Gitarrengewittern entgegenraunen (Auflösung als soldatisches
Urangst-Motiv, siehe Klaus Theweleits Männerphantasien).
Und ganz ähnlich taumelt das Witt-Album Bayreuth 2
(2000) mit Soundbombast zwischen Empfindsamkeit und Schicksal: Musik
mit Kammersängervibrato und Schlageranleihen unter heftigen
Attacken von StuKa-Gitarren.
Kulminationspunkt ist das vertonte Nietzsche-Gedichte im Song Jetzt
und ehedem: So schwer mein Herz/so trüb die Zeit/und
nie Genügen/es zieht mich in den Strudel weit/Wehmut, Schmerz
und Vergnügen/ich kann den Himmel kaum mehr sehn/den maienblauen/so
überstürmen wilde Wehen/mich jetzt mit Lust und Grauen.
Rezitiert in einer Stimmlage, die sonst nur HNO-Ärzte von ihren
Patienten hören. Und dann wirds zu losgaloppierenden
Gitarrenloops brachial herausgerotzt: Jetzt und ehedem
Jjjja! Ein Sturmangriff auf die Pathos-Rezeptoren, dem man
sich trotz aller political correctness kaum entziehen kann
ergeben, weinerlich wie das Streicherarrangement und doch entschlossen.
Hier triumphiert Existenzialismus als Pflichtgefühl.
Event-vernarrte Schwermut im Gewand euphorischer Melancholie,
wie Fallschirmjäger vor dem Absprung (Kreta, Normandie, Dien
Bien Phuh) endlich wieder spüren, lebendig zu sein.
Noch Pop? Pfiffige Gefühlssimulation allemal, die Triebabfuhr
durch Erschütterung übers eigene Ergriffensein garantiert.
Man muss das nicht gleich verdammen. Die Ambivalenz eigener Empfindsamkeit
sollte man jedoch sehr wohl im Auge behalten. Und die prinzipielle
Offenheit, die Käuflichkeit von Pop nicht minder,
denn wo die Erregung stimmt, legt der sich mit jedem ins Bett. Seine
Unschuld verliert er trotzdem nicht, schließlich kann man
von einem formalen ästhetischen Prinzip (Pop als die überraschende
Mischung von artikulierten Bedürfnissen, Medien und Präsentationsformen;
Diedrich Diederichsen) kaum anderes erwarten.
Dass Monika Griefahn und andere das trotzdem tun, ist ehrenwert,
zugleich jedoch heikel: Zwar funktioniert Pop auf der (Kauf-)Plattform
Musikmarkt durchaus global und stets mit globalen Ingredenzien,
was nicht nur der anhaltende Weltmusik-Boom eindrucksvoll illustriert
(siehe Buena Vista Social Club). In seiner Aussage-Tendenz beziehungsweise
deren Rezeption ist er darum aber noch lange nicht internationalistisch,
wie das früher hieß (im Sinne von Respekt für alle
Menschen und Kulturen), also gut so sehr das
auch zum dreschenden Ochsen und dessen Selbstbild passte.
Vielleicht ist es aber bezeichnend, dass Monika Griefahn ihren
Beitrag für das gerade erschienene Pop-Jahrbuch Pop &
Kommunikation 2001 geschrieben hat, das Auskunft über
den Musikmarkt in Deutschland geben soll (state of the art), doch
vermutlich eher über erwünschte Selbstbilder der hiesigen
Musikindustrie informiert (state of the mind). Wie schon in den
Vorjahren herausgegeben von VIVA-Chef Dieter Gorny (den Zimmer
frei-Götz Alsmann erst unlängst zum kommenden Wirtschaftsminister
Nordrhein-Westfalens erklärte), versammelt das Jahrbuch dazu
so ziemlich alles, was derzeit zwischen Absatzzahlen und gesellschaftlichen
wie zeitgeistigen Debatten branchenrelevant erscheint. Und zwar
hinreichend und erfreulich deutlich, wie besonders Rudolf Augsteins
Essay Meine Leitkultur war jüdisch unterstreicht.
Aber der Gegenstand, um den es geht eben Pop , wird
damit trotzdem allenfalls beschworen.
Links wird Pop dadurch noch lange nicht. Im Gegenteil,
in die bemühte Spaß-Unschuld mischt sich Ambivalenz,
die so vermutlich niemand bedachte, als Stefan Raab, Nonsens-Superstar
und TV-Mann der Stunde (VIVA, PRO 7), ein kokett gefaketes Interview
geben durfte (Raab total: ,Wenn ich Kanzler von Deutschland
wär...). Schließlich lebt gerade sein aktuelles
Fernseh-Format TV Total von einer Überhöhung
der Schadenfreude-Kultur, die nur vorgeblich ironisch oder liebmeinend
ist. In Wirklichkeit praktiziert er Fernseh-Pop als Differenzmaschine,
die Lustgewinn aus dem Sieger-Verlierer-Gegensatz via Erniedrigung
produziert (We are the Champions ihr aber nicht).
Nun mag Raab ansonsten durchaus integer sein, relevant ist er
hier nur als Beispiel für Pop als offenes Prinzip, was von
ganz anderer Seite auch Trivial-Autor Johannes Mario
Simmel
illustriert. Seine Bücher waren immer so etwas wie Der
Spiegel in expliziter Romanform: Zeitkritische Mixturen aus
bewegenden Schicksalen und aktueller Bedrohungschronik, die er vor
dem Hintergrund penibel recherchierter Stoffe entfaltete. Unterhaltungsliteratur
mit aufklärerischem Anspruch, so eingängig wie eindringlich.
Eingetragen hat es ihm Millionen Leser, das Lob der Feuilletons
aber nur selten. Seinem jüngsten Buch Die Bienen sind
verrückt geworden mit einer Auswahl auch von einigen
noch unveröffentlichten Reden und Artikeln aus den vergangenen
20 Jahren könnte es ähnlich ergehen. So wenig Simmel nämlich
zur ästhetischen Innovation im ernsten Romanfach
beigetragen hat, so wenig spitzfindig blieb er im gesellschaftskritischen
Diskurs; auch dort eher Erfolgsautor als Stichwortgeber, mehr Pop-
als Ariensänger. Zeugnisse eines kämpferischen Humanisten,
der gegen Unmenschlichkeit, Rassenwahn und zügellosen Kapitalismus
antritt: ob mit biografischer Reminiszenz, intimen Texten (über
Willy Brandt, Stefan Heym und Marlene Dietrich) oder fulminantem
Aufschrei, etwa gegen die Asylpolitik oder die unselige Leitkultur
(der jüngste Text der Sammlung). Im Mittelpunkt steht letztlich
aber immer jene unselige Nazi-Zeit, der Simmel selbst als ,,Halbjude
aus sozialdemokratischem Haus nur knapp entkam und die zu seinem
allergrößten Entsetzen wieder mordende Gegenwart geworden
ist. Trotzdem: Auch wenn er mit einer Deutlichkeit spricht, die
man bei Politikern oft vermisst (Verflucht, schlagt die Faschisten,
wo ihr sie trefft!), über die Orientierung von Trivial-Literatur
sagt das genauso wenig aus wie globale Ingredenzien oder libertäre
Grundhaltungen über Pop. Zunächst sind beide nichts weiter
als leere (mehr oder weniger gelingende) Formen, die ihre Inhalte
anderswoher beziehen und Unterschiede artikulieren oder produzieren.
Eben Differenzmaschinen.
Nazis sind Pop
Das ist auch der Grund, weshalb Burkhard Schröder in seinem
streitbaren Essay Nazis sind Pop (2000) die These vertritt,
dass die Flut staatlicher Maßnahmen, Bündnisse und Initiativen
gegen Rechts ins Leere zu rauschen drohe. Denn nicht
zuletzt, so Schröder, bemühen sie allesamt die Fiktion,
dass es im Gefolge der siegreichen linken Popkultur
einen aufgeklärt-liberalen Gesellschaftskonsens gebe, der
zumindest tendenziell so antirassistisch wie internationalistisch
sei. Doch leider kann er wenn auch mitunter störend
moralistisch triftige Gründe, Beispiele und Analysen
des primitiven Alltagsrassismus gegen diese Sicht anführen.
Bezogen auf Pop bleibt insofern also immer entscheidend, wen und
was der Ochse drischt. Nur manchmal muss er wohl (frei nach Simmel)
etwas kräftiger dreschen. Auf die Tenne gehört dann aber
nicht bloß der Pop gewordene Rassismus in Bomberjacke und
mit Skinhead-Frisur, sondern zunächst und vor allem die berüchtigte
Stammtischmitte der Republik. Die haben wir alle in unserem verrotteten
Herzen. So würde Paulus formulieren.
Literatur Dieter Gorny/Jürgen Stark (Hgg.): jahrbuch pop & kommunikation
2001, München 2001, 352 Seiten, mit CD-ROM, 98 Mark Johannes Mario Simmel: Die Bienen sind verrückt geworden.
Reden und Aufsätze über unsere wahnsinnige Welt, Becksche
Reihe 1419, München 2001, 210 Seiten, 19,90 Mark Burkhard Schröder: Nazis sind Pop, Berlin 2000, 160
Seiten, 24,90 Mark