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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 42
50. Jahrgang | Mai
Jazz, Rock, Pop
Björnstads Erzählungen
Doppelt begabt: Geschichten mit und ohne Worte
Wer dem norwegischen Pianisten, Komponisten und Schriftsteller
Ketil Björnstad begegnet, bekommt es mit einem ungemein gelassenen,
ausgeglichenen und sehr reflektierten Menschen zu tun. Nichts deutet
zunächst auf die Schaffenswut des 49-Jährigen hin.
Kunst befreit: Ketil Björnstad.
Foto: Ssirus W. Pakzad
Doch dessen Vita ist die eines Getriebenen: Bereits mit zarten
16 Jahren führte er als Klaviersolist mit dem Philharmonischen
Orchester Oslos Béla Bartóks Piano Concert No.
3 auf, studierte in Oslo, Paris und London, gründete
früh eigene Jazzgruppen. Bei uns ist er vornehmlich durch seine
ECM-Aufnahmen bekannt, etwa die Duos mit dem Cellisten David Darling,
oder seine Gruppe The Sea (mit Darling, Terje Rypdal
und Jon Christensen). In Norwegen kennt man ihn zudem als fleißigen
Autor, aus dessen Feder bislang die Zeilen zu gut zwanzig Büchern
flossen, darunter Aufsehen erregende Roman-Biografien über
den Maler Edvard Munch und den Komponisten Edvard Grieg, beides
Landsleute. Auch der Tonsetzer Ketil Björnstad weiß um
seinen Stellenwert in der Heimat. So erhielt er vom norwegischen
Königshaus den Auftrag, ein Stück zur Jahrtausendwende
1999/2000 zu schreiben. Auch hier zu Lande ist er omnipräsent.
Mit Early Years (Emarcy/Universal) erschien gerade ein
Werk, das die Frühphase seines musikalischen Schaffens dokumentiert
und einen schönen Kontrast zu seiner heutigen Klangwelt bildet,
dann gibt es mit Grace (Emarcy/Universal) ein aktuelles
Album, das auf wunderbar elegische Weise die Texte des englischen
Metaphysikers und Lyrikers John Donne (15721631) in fast schon
symphonische Songs umsetzt; und schließlich kann man in hiesigen
Buchgeschäften Erlings Fall (Insel Verlag, ISBN
3-458-17054-5) erstehen. Der Roman, der Elemente eines Thrillers
besitzt und doch keiner ist, erzählt die tragische Geschichte
eines Mannes, der mitten in der tiefsten Midlife Crisis steckt,
von der Frau verlassen, die mit einem Jazzmusiker (!) durchgebrannt
ist, vom Job als Amtsrichter beurlaubt.
Er sucht sein Heil an der Seite eines Abenteurer-Freundes, doch
auch sein Selbstfindungstrip endet in der Katastrophe. Alles läuft
auf das fatale Ende zu, das man nach dem ersten Absatz schon erahnt.
In der Literatur ist es möglich, einen Satz zu lesen,
das Buch abzusetzen und über das gerade Gelesene zu reflektieren.
Musik hingegen kann man nicht aufhalten, sie ist viel direkter,
sagt Ketil Björnstad über die beiden Gebiete, denen seine
ganze künstlerische Aufmerksamkeit gilt. Kunst bedeutet
Gnade, Hilfe, Trost. Auch das traurigste Buch kann wie die Hand
sein, die einem gereicht wird. Als ich das Buch über den Maler
Edvard Munch schrieb, hatte ich es mit einer Person zu tun, die
voller Einsamkeit, Trauer, Tragik und Ängste war. Trotzdem
hatte meine Beschäftigung mit der Person Munchs etwas Befreiendes,
hat mich die Auseinandersetzung mit ihm stärker gemacht. Kunst
vermag Dinge zu kommunizieren, die mit Worten nicht möglich
sind.