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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 8
50. Jahrgang | Mai
Kulturpolitik
Der Mensch steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung
Der neugewählte Vorsitzende des Deutschen Kulturrates, Max
Fuchs, im Gespräch mit der neuen musikzeitung
Im März dieses Jahres wählte der Deutsche Kulturrat einen
neuen Vorsitzenden. Nachfolger von Franz Müller-Heuser, Präsident
des Deutschen Musikrats, wurde Max Fuchs, Direktor der Akademie
Remscheid für musische Bildung und Medienerziehung sowie Vorsitzender
der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (BKJ). Dem Kulturrat
gehören mehr als 200 Bundesverbände an. Seine Aufgabe
ist es, spartenübergreifende Fragen in die kulturpolitische
Diskussion einzubringen. Außerdem will der Rat den Kontakt
zwischen den Mitgliederverbänden und der Politik unterstützen
und kulturelle Projekte anregen. Andreas Kolb sprach mit dem neuen
Vorsitzenden.
Will sich stärker auf
Europa einlassen: Max Fuchs.
Foto: BKJ
neue musikzeitung: Während ihre Vorgänger eher
der Hochkultur (August Everding) oder der Musik (Franz Müller-Heuser)
zuzurechnen waren, wurde mit Ihnen erstmals ein Vertreter der Sektion
Soziokultur und kulturelle Bildung zum Vorsitzenden des Deutschen
Kulturrates gewählt. Was waren die Gründe für dieses
Votum?
Max Fuchs: Der Deutsche Kulturrat ist demokratisch organisiert
und ohne dass es in der Satzung festgelegt wäre, ist es eine
gute Tradition, dass der Vorsitz rotiert. Alle Kunstsparten sollen
die Möglichkeit haben, ihre Interessen und ihren Hintergrund
verstärkt einzubringen. Soziokultur und kulturelle Bildung
sind im Moment gesellschaftspolitisch wichtige Themen: Die letzte
kulturpolitische Debatte im Deutschen Bundestag war die Debatte
zur großen Anfrage Soziokultur und Bildungsfragen stehen
zurzeit zu Recht im Mittelpunkt des Interesses.
nmz: Bisher stand eher klassische Lobbyarbeit im Vordergrund.
Wollen sie sich in Zukunft mehr in den kulturpolitischen Diskurs
einschalten?
Fuchs: In der Tat ist es so, dass der Deutsche Kulturrat
sich in den letzten vier Jahren natürlich ganz stark
vorangetrieben durch die Fachausschüsse und die qualifizierte
Geschäftsstelle, also durch Olaf Zimmermann und seine Mitarbeiterin
Gabriele Schulz konzentriert hat auf die kulturelle Ordnungspolitik,
auf Fragen der Rahmenbedingungen. Dem Kulturrat ist es gelungen,
genau in diesem Feld eine große Kompetenz und Reputation
zu erwerben. Wenn man die letzte kulturpolitische Debatte im Bundestag
zur Künstlersozialkasse gehört hat, hat man festgestellt,
dass fast jeder der Rednerinnen und Redner sich auf die Vorschläge
des Kulturrates und insbesondere auf die Ergebnisse der Fachausschüsse
bezogen hat: Einfach weil dort fachliche Qualität produziert
worden ist.
nmz: Was soll sich ändern?
Fuchs: Jetzt ist es allerdings an der Zeit, dass man
versucht, diese Stärke in der kulturellen Ordnungspolitik
ein Stück weit auf inhaltliche Themen auszudehnen.
nmz: Welche konkreten Themen stehen in den nächsten
Wochen und Monaten an?
Fuchs: Wir hatten noch keine konstituierende Vorstandssitzung.
Deshalb kann ich im Moment nur sagen, was mir persönlich
vorschwebt. Es gibt Entwicklungen, in denen es notwendig wird,
dass Kulturpolitik und eine kulturelle Sichtweise sich einmischen.
Das betrifft Fragen wie Wie geht der Mensch mit sich selbst
um?, dazu gehört etwa die Frage der Gentechnologie.
Kultur ist die Art und Weise wie sich der Mensch selbst geschaffen
hat. Damit muss der Mensch selbst auch im Mittelpunkt der Kulturpolitik
stehen. Daher kann es der Kulturpolitik nicht egal sein, wie der
Mensch ins Innerste dessen eingreift, was ihn ausmacht. Die Künste
haben sich fast mit nichts anderem beschäftigt als mit der
Art und Weise wie sich der Mensch selbst definiert und sieht.
An der Stelle wäre es daher wichtig, deutlich zu machen,
welche Rolle Künste in diesem gesellschaftlichen Diskurs
spielen können, nämlich diese Themen für die Menschen
bearbeitbar zu machen.
nmz: Kann ein Vorsitzender aus dem Bereich Soziokultur
mit Neigung zu Themen, mit denen sich der neue Kulturstaatsminister
profiliert auseinander setzt bessere Lobbyarbeit betreiben
wie beispielsweise ein ausgewiesener Vertreter einer mit dem Image
des Luxuriösen behafteten Hochkultur das könnte?
Fuchs: Diese Frage muss ich zurückweisen! Ich kann
mich nicht auf die parteipolitische Orientierung einlassen. Außerdem
kann ich mich nicht auf diese Gegensatzpaare Hochkultur und Soziokultur
einlassen. Das stellt sich inzwischen anders dar.
nmz: Dennoch ist festzustellen, dass Themen aus Ethik und
Philosophie in der gesellschaftlichen Diskussion immer größeren
Raum einnehmen...
Fuchs: Die Auseinandersetzung mit dem Thema Mensch hat
auch in meiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit eine lange Tradition,
mein letztes Buch, Mensch und Kultur (Westdeutscher
Verlag 1999), ist eine anthropologische Grundlegung von Kulturarbeit
und Kulturpolitik. Das Thema Mensch berührt zudem die kulturelle
Kinder- und Jugendbildung schon seit vielen Jahren. Die Frage
Wie definiert sich der Mensch selbst? rückt in
den Mittelpunkt des Interesses. Diese Besinnung auf Grundlagen
unserer Arbeit drückt sich quasi unabhängig voneinander
einmal in der Wahl von Julian Nida-Rümelin und in unserer
Schwerpunktsetzung aus, ohne dass das eine ursächlich mit
dem anderen zu tun hat.
nmz: Man könnte beinahe den Eindruck gewinnen, die
Kunst denkt zehn Jahre voraus, die Politik ist dann die Exekutive
künstlerisch-kultureller Vorgaben.
Fuchs: Das wäre eine schöne Vision. Die Kulturpolitik
sollte sich allerdings auch nicht übernehmen, und auch die
Künste nicht, wo diese Diskussionen ja geführt werden
müssen. Allerdings wäre es schön, wenn eine Form
kultureller Politikberatung zustande käme, indem man das
Reflexionspotenzial der Künste auch dafür nutzt.
nmz: In den Künsten sind nicht nur unterschiedliche
Ausdrucksformen, sondern auch unterschiedliche Interessen vorhanden.
Diese reichen vom Kunst machen bis zur Verwertung derselben...
Fuchs: Da ist der Kulturrat ein sehr gutes Modell, wie
man unterschiedliche Interessen im Kulturbereich über Jahre
hinweg moderieren kann. Das Spezifikum des Kulturrates besteht
darin, dass die Künstler als Produzenten vorhanden sind,
aber auch die Kulturwirtschaft und die Verwerter. Da hat sich
eine Kultur des Miteinander-Aushaltens von Differenzen
ergeben. Das ist ein Modell, das man vom Kulturrat auf die Gesellschaft
übertragen kann. Genau in der Situation stehen wir auch in
der Gesellschaft. Wir haben eine Vielzahl von Kulturen
Kultur ist ein Pluralitätsbegriff und es geht nicht
darum, diese Kulturen auf einen Nenner zu bringen, sondern es
geht darum, die Pluralität lebbar zu machen, also Formen
zu finden, Differenzen lebbar zu machen.
nmz: Wir haben heute einen starken Kulturrat, aber schwache
Landeskulturräte. Ist das Modell mit einem Bundeskulturrat,
unter dessen Dach sich Landeskulturräte konstituieren
analog zum deutschen Musikrat zum Beispiel , ein vorstellbares
Modell?
Fuchs: Die Frage, ob der Deutsche Kulturrat sich mit neu
zu gründenden oder schon vorhandenen Landeskulturräten
zusammentut, ist eine Frage, die noch diskutiert werden müsste.
In der Tat ist der richtige Begriff, mit dem man in Deutschland
die Situation der Kulturpolitik beschreibt, der Begriff des kooperativen
Kulturföderalismus. Solche Strukturen gibt es beim Kulturrat
noch nicht. Das erklärt sich aus seiner Entstehung heraus:
Vor 20 Jahren ist er von Bundeskulturverbänden gegründet
worden, um bundesweit der Kultur eine Stimme zu geben. Auch mit
dem Erfolg, dass es jetzt einen Bundeskulturminister gibt, er
also einen Partner auf Bundesebene hat. Weiter existiert auch
ein wieder errichteter Kulturausschuss im Deutschen Bundestag,
so dass man auch auf der parlamentarischen Ebene einen Partner
hat.
nmz: Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Ländern aus?
Dort liegt schließlich jeweils die Kulturhoheit.
Fuchs: Der deutsche Kulturrat versucht schwerpunktmäßig
auf der Bundesebene mit allen politischen Organen in Kontakt zu
treten. Das betrifft die Organe der Bundesregierung, es betrifft
die Spitzenverbände der Kommunen, etwa den deutschen Städtetag,
es betrifft natürlich auch die Zusammenschlüsse der
Länder. Die Kontakte sind unterschiedlich tief. Es gibt nach
unserem Grundgesetz die Kulturhoheit der Länder. Der jetzige
Kulturstaatsminister versucht, mit einem Vorstoß, eine Änderung
des Grundgesetzes an einem ganz winzigen Punkt, die gemeinsame
Verantwortung des Bundes in Verbindung mit den Ländern auch
im Grundgesetz zu verankern. Man wird damit rechnen müssen,
dass Nida-Rümelin mit dieser Initiative keine offenen Türen
bei den Ländern einrennt. Von Hans Zehetmair gibt es schon
entsprechende Entgegnungen.
nmz: Welche Position vertritt der Deutsche Kulturrat in
diesem Zusammenhang?
Fuchs: Wir hatten das zur Kenntnis genommen. Wir haben
noch keine Positionierung als einvernehmliche Stellungnahme. Ich
bin der Meinung, ein Grundgesetz muss immer wieder an Realitäten
angepasst werden.
nmz: Stichwort Europa: Welche Rolle will der Deutsche Kulturrat
innerhalb Europas spielen? Sind Kooperationen zum Beispiel mit dem
deutsch-französischen Kulturrat beabsichtigt?
Fuchs: Der Deutsche Kulturrat ist in dieser Frage insofern
schon engagiert, als es einen internationalen Ausschuss gibt und
wir im Moment ständig EU-Politik auch im Hinblick auf Förderung
und Wettbewerbsrecht diskutieren. Der Deutsche Kulturrat ist auch
Mitträger des Cultural Contact Points, der nationalen Außenstelle
von EU-Förderprogrammen zusammen mit der Kulturpolitischen
Gesellschaft.
Wir müssen uns aber noch stärker auf Europa einlassen.
Der Deutsche Kulturrat war zusammen mit der BKJ die einzige Organisation
aus der so genannten Zivilgesellschaft, die offiziell Mitglied
in der deutschen Delegation beim UNESCO-Weltkongress zur Kulturpolitik
in Stockholm war. Europa ist die nächstgrößere
internationale Sichtweise, aber wir müssen beachten: viele
Themen müssen in weltweitem, in globalem Maßstab gesehen
werden. Ich gebe mich hier gern als Fan der Europarat- und UNESCO-Programmatik
zu erkennen.
nmz: Bonn oder Berlin? Welche Meinung haben sie zu diesem
Thema?
Fuchs: Inzwischen hat der Kulturrat auch ein Büro
in Berlin. Die Geschäftsstelle agiert im Moment fast stärker
von Berlin aus als von Bonn. Das Problem ist zur Zeit eher: wie
bekommt man eine ähnliche Lobbyvertretung in Brüssel?
Das Spezifikum unseres Dachverbandes besteht allerdings darin,
dass wir weitgehend von öffentlicher Förderung abhängig
sind. Das setzt uns Grenzen im Hinblick darauf, was politisch
wünschenswert wäre.
nmz: Im Sprecherrat des Kulturrates sind drei Landesmusikratsvorsitzende
zu finden: Karl-Jürgen Kemmelmeyer (Niedersachsen), Christian
Höppner (Berlin) und Eckart Lange (Thüringen). Wer Nachfolger
von Franz Müller-Heuser wird, steht noch nicht fest. Wie ist
das Verhältnis zu sehen zwischen der Sektion Deutscher Musikrat
(DMR) und dem Dachverband? Wie kann eine konstruktive Zusammenarbeit
in Zukunft aussehen?
Fuchs: Die guten Beziehungen zwischen dem DMR und dem
Kulturrat kommen allein dadurch zum Ausdruck, dass der DMR in
der letzten Legislaturperiode den Vorsitzenden gestellt hat. Auch
August Everding kam zwar formell aus dem Theaterbereich, war aber
auch ein anerkannter Musikfachmann.
Insofern sehe ich da überhaupt keine Konkurrenzen sondern
Zusammenarbeit, so produktiv, wie sie überhaupt nur sein
kann.
nmz: Mit welchen kulturpolitischen Fragestellungen werden
Sie sich als Nächstes auseinander setzen?
Fuchs: Nachdem die Steuerfragen rund um das Stiftungsrecht
schon einen ersten wichtigen Fortschritt erzielt haben, geht es
jetzt um das zivile Stiftungsrecht. Das ist ganz wichtig, damit
auch die Finanzstrukturen im Kulturbereich zukunftsfähig
werden. Wir werden uns weiterhin damit beschäftigen, welche
ordnungspolitischen Fragen auf internationaler Ebene rund um die
Verwertungsrechte von Kunst gestellt werden. Und natürlich
versuchen wir die angesprochenen inhaltlichen Fragen voranzubringen.