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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 1
50. Jahrgang | Mai
Leitartikel
Wo aber Gefahr ist ...
Man braucht gar nicht Hölderlins trutzig zuversichtlichen
Satz, wo aber Gefahr sei, wachse das Rettende auch, zu bemühen,
um neuere Entwicklungen des kulturellen Angebots zu beleuchten.
Gefahr herrscht wirklich auf dem klassischen Sektor und auf der
Seite der Vermittlung sind heute neue Akzente festzumachen, die
den Begriff der Kreativität nicht nur als Hülse belassen.
Längst stürzt man sich nicht mehr blind wähnend auf
die Leernummer des Entertainments.
Denn dort, wo Spaßkultur zum Selbstzweck verkommt, hört
der Spaß schnell auf. Das wurde begriffen. Die drei Tenöre
haben ihre Stimmen so hoch getrieben, dass sie Alt aussehen.
Kulturelle Präsentation ist eben kein Selbstläufer, der
von der Stange zu kaufen ist, auch wenn man bereit ist, jeden Preis
zu bezahlen. Es ist nicht der in der Tat lange etwas unterbelichtete
Begriff der Unterhaltung, der am Pranger steht. Denn Kunst, die
ihre Unterhaltspflichten vernachlässigt, drängt sich unwillkürlich
ins Abseits. Im emphatischen Sinne gute Unterhaltung aber verlangt
das Instand-Setzen geistiger Bewegung.
Dass heute kaum mehr ein Festival, kaum mehr die Planung einer
Spielzeit ohne diese Komponenten kreativen Nachschubs auskommt,
ist ein gutes Zeichen. Salzburg wurde unter Mortier aus einem einsetzenden
Dämmerzustand aufgeweckt, Münchens musica viva
befreite sich aus dem herbeigeredeten Klischee, dass Neue Musik
heute keinen Nachholbedarf mehr hätte, Donaueschingen löste
sich vom Zustand der nackten Neu-Präsentation hin zur diskursiven
Auseinandersetzung mit innovativen Strömungen und, und, und...
Der aus der Retorte gezüchtete Kulturmanager, der vom Management
viel, von Kultur wenig versteht, hat nach kurzem Boom bereits wieder
abgewirtschaftet. Die Blödheit des vertalkten (verkalkten?)
Fernsehens lässt sich nicht eins zu eins übertragen. Gott
sei Dank! Ein Kulturbetrieb, der dümmer ist als das Publikum,
greift nicht.
Zeichen also sind gesetzt, vermutlich um Hölderlin
ins Gedächtnis zu rufen war die Gefahr groß genug.
Alles also roger? Das wäre zu euphorisch. Denn dem Elan kultureller
Präsentation vermag derzeit die Ästhetik der Produktion
kaum Schritt zu halten. Trotz der Pauschalisierung eines Rundumschlags
muss man konstatieren, dass sich viel kompositorisches Wirken heute
um die Umorientierungen des Denkens noch wenig schert. Da bewegt
man sich immer noch in den Elfenbein-Gemäuern subjektiver Selbsterfüllung.
Den neuen sozialen Netzen kultureller Vermittlung stehen viele,
vielleicht aus Angst vor der Aufgabe eines romantisch geprägten
Ich-Begriffs, skeptisch gegenüber. Zu vermissen ist ein Ruck,
der in erster Linie von jüngeren Komponisten ausgehen sollte.
Eines könnte cum grano salis zuversichtlich stimmen: Hier ist
Gefahr.