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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 12
50. Jahrgang | Mai
Medien
Staatsmusik für einen Sonnenkönig
Louis XIV, Molière, Lully und die Musica Antiqua Köln
Am 26. April kommt der Film Le Roi Danse des belgischen
Regisseurs Gérard Corbiau in Deutschland in die Kinos. Die
Premiere wird in der Kölner Philharmonie gefeiert. Musik spielt
in dem Film die eigentliche Hauptrolle. Es spielt (unter Leitung
ihres Chefs Reinhard Goebel) die Musica Antiqua Köln, die in
diesem Jahr zum zweiten Mal für den Grammy nominiert wurde.
Die Musik steht im Zentrum des Films, und im Zentrum der
Musik steht der Körper des Königs. Das ist der Kern des
Films: die Beziehung von Macht und Musik so Gérard
Corbiau. Nach Farinelli il castrato von 1995
(mit dem Golden Globe ausgezeichnet und für den Oskar nominiert)
zeichnet Corbiau in Le Roi Danse ein Porträt des
Sonnenkönigs Ludwig XIV. und seines Hofs.
Hauptdarsteller Benoît
Magimel als Sonnenkönig. Foto: Helikon
Der Plot: Jean-Baptist Lully (Boris Terral), Hofkomponist und Tanzlehrer
von Louis XIV. (Benoît Magimel) ist seinem König bedingungslos
ergeben. Louis, Thronfolger in politisch bewegten Zeiten, ist ein
schüchterner junger Mann von gerade einmal 14 Jahren, als sich
der gebürtige Italiener Lully in dessen Dienst stellt. Der
König wird zum absoluten Mittelpunkt von Lully wie auch von
Molière, dem königlichen Komödiendichter. Louis
bringt die beiden zusammen; künstlerisches Ergebnis ist die
ganz eigene Gattung des Comédie-Ballet mit einer
Reihe von Werken wie Les Amants magnifiques und Le
Bourgeois gentilhomme. Zutiefst verletzt ist Lully, als der
König seine Zuneigung nicht erwidert und nur noch Musik von
ihm erwartet. Die Beziehung zwischen Louis und Lully zerbricht,
als der König auch den göttlichen Tanz, die letzte intime
Verbindung zu seinem Hofkomponisten, einstellt. Molière (Tcheky
Karyo) tritt so in Konkurrenz zu seinem Freund Lully. Und die höfischen
Intrigen blühen.
Unter seinem König bricht Lully mit allen Traditionen
er kann es, er darf es, er muss es. Oder wie Reinhard Goe-bel es
formuliert: Der bedingungslose Wille des jungen Königs,
sich als unabhängiger Herrscher und frei von traditionellen
Bindungen zu präsentieren, ermöglicht es Lully, ja zwingt
ihn geradezu, einen Stil zu kreieren, der keinerlei Rücksicht
auf gesamteuropäische Traditionen nimmt. Lullys Musik
zelebriert Macht. Sie ist Politikum: Staatsmusik für den Sonnenkönig,
tönende Propaganda. Propaganda eines Königs, der
seinem Adel vorflunkert, er selbst sei zwischen den widerstrebenden
Mächten von gloire & amour eingebunden
(Goebel).
Wie kommt der belgische Regisseur Corbiau auf Reinhard Goebel
und die Musica Antiqua Köln? Er hört alte Platten und
neue CDs mit Werken von Lully; einfach alles, was er finden kann.
Viel gibt es nicht und nichts kann ihn überzeugen. Meine
Figur des Lully sollte viel kraftvoller, wahnsinniger, leidenschaftlicher
sein als die schwülstige Musik, die ich fand. Dann entdeckt
Corbiau die Musica Antiqua Köln und ist begeistert. Musikalität,
Risikofreude, unbändige Lust am Rhythmus so stellt er
sich die Figur des Lully vor und in Goebels Interpretationen sieht
er seine Ideen verwirklicht. Man nimmt Kontakt auf, und es beginnt
eine in jeder Hinsicht ungewöhnliche Zusammenarbeit. Denn die
Produktion eines Soundtracks (erschienen bei der Deutschen Grammophon
Gesellschaft, bei der die Musica Antiqua Köln exklusiv produziert)
ist nicht Alltagsgeschäft für ein Ensemble, das sein tägliches
Brot auf den Konzertpodien der Welt verdient.
Die Musica Antiqua Köln: eines der ersten Ensembles der Generation
nach Nikolaus Harnoncourt oder Gustav Leonhard, die frischen Wind
in die Szene der Alten Musik gebracht hat. Über 25 Jahre ist
sie alt, groß geworden unter ihrem Gründer und Leiter
Reinhard Goebel. Die Radikalität, die früher so mancher
als reine Provokation empfand, ist heute zum Inbegriff für
Interpretationen der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts geworden.
Rund 100 Konzerte im Jahr gibt die Musica Antiqua heute, dabei höchstens
20 in Deutschland; das Ausland, besonders Frankreich, Spanien und
auch die USA, ist ein wichtiger Markt. Im Ausland arbeitet das Ensemble
mit Agenturen, im Inland kümmert es sich selbst um Auftritte;
bewusst hat man sich vor einigen Jahren entschieden, das General
Management selbst in die Hand zu nehmen.
Die juristische Form ist eine Gesellschaft des bürgerlichen
Rechts (GbR) mit sechs Gesellschaftern: fünf Musikern und dem
Geschäftsführer. Darüber hinaus arbeitet die Musica
Antiqua Köln für größere Besetzungen mit einem
festen Stamm von 25 bis 30 Musikern.
Finanziell steht die Musica Antiqua Köln fest auf eigenen Füßen,
buchstäblich spielend finanziert sie sich über
Konzerthonorare und zum Teil auch über CD-Einspielungen. Drittmittel,
aber auch öffentliche Zuschüsse gibt es nicht. Einzige
Ausnahme in jüngster Vergangenheit: ein Zuschuss für ein
Projekt mit den beiden Labèque-Schwestern vom Land Nordrhein-Westfalen.
Die Unterschiede in der Szene der Alten Musik, gerade was öffentliche
Gelder angeht, scheinen groß, nicht nur im Vergleich der verschiedenen
Bundesländer, sondern auch im europäischen Vergleich.
Seit nunmehr über 20 Jahren nehmen die Musica Antiqua Köln
und Reinhard Goebel exklusiv für die Archiv-Produktion der
Deutschen Grammophon Gesellschaft auf. Die CDs sind inhaltlich bemerkenswert,
sind mit internationalen Preisen überhäuft und verkaufen
sich zudem noch ausnehmend gut. Der jüngste Silberling mit
Telemanns Streichkonzerten wurde im Januar für den Grammy nominiert.
Le Roi Danse. Corbiau stellt Musik in das Zentrum
seines Films. Kino und Musik, ein ungleiches Paar? Das Bild,
sagt er, hat eine enorme Wirkung. Manchmal muss man dafür
sorgen, dass sich ein Bild verflüchtigt, damit die Musik hörbar
wird. Hörbar wird sie, die Musik Goebels und seiner Musica
Antiqua mit ihrem untrüglichen Gespür für Qualität.
Nie aber kann Musik die Macht des Kinobilds verdrängen
verändern und intensivieren jedoch kann sie es. Natürlich
beeinflussten die Auswahl der Stücke und die Musikaufnahmen,
die fast ein Jahr vor den Dreharbeiten entstanden, die Arbeit am
Drehbuch und selbstverständlich auch die Inszenierung. Wenn
man eine passende Musik für eine Szene findet, verändert
sich der Entwurf dieser Szene (Corbiau).
Kathrin Hauser-Schmolck
CD-Tipps
Jean-Baptiste
Lully: Der König tanzt (Original Motion Picture Soundtrack)
DGG 471 142-2 Georg
Philipp Telemann: Konzerte für Streicher
DGG 463 074-2 (Grammy Award 2001)