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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 6
50. Jahrgang | Mai
Musikwirtschaft
Handel mit Kulturgütern als Dienstleistung verstehen
Über die Unternehmensphilosophie des KulturKaufhauses Dussmann
in Berlin
Was führt einen Mann der weltweiten Dienstleistung
von der Ur-Idee der Wohnungsreinigung für Junggesellen über
Wachdienst, Gebäudetechnik, Büroservice, Seniorenbetreuung,
U-Bahn-Security bis zum Catering im Flugzeug dazu, just ein
Kulturkaufhaus zu betreiben? Die Rede ist von Peter Dussmann (62),
dem Chef eines Unternehmens mit rund 56.000 Mitarbeitern in 27 Ländern
von Aserbaidschan über Russland und die USA bis nach Vietnam,
mit mittlerweile rund 2,4 Milliarden Mark Jahresumsatz.
Ein Blickfang: Der 230 Millionen
Mark teure Neubau vermittelt den Eindruck mehrerer Hausfassaden.
Foto: Dussmann
Jenes Kaufhaus gibt es seit Oktober 1997 im Herzen Berlins, in
der wieder erwachten Friedrichstraße in Linden-Nähe,
direkt neben der Unternehmenszentrale, die durch die Restaurierung
von Altbauten in der Dorotheenstraße entstand. Das Kaufhaus
ist ein Neubau, entworfen vom tschechischen Architekten Miroslav
Volf (Gesamtkosten: 230 Millionen Mark). Seitlich in den Nebenstraßen
entsteht der Eindruck, als gliedere sich das Ganze in mehrere kleine
Häuser mit eigener Fassade. Dabei gehen die vier Etagen lang
gestreckt durchgängig von der Friedrichstraße aus in
die Tiefe des Hauses, das seitlich Passagen und Arkaden enthält.
Der Lichthof weist seit Mitte März eine 30 Meter hohe und 15
Meter breite Wasserwand auf, inspiriert vom New Yorker Trump-Tower.
Die Gesamtnutzungsfläche beträgt 16.000 Quadratmeter,
von denen nur 5.000 zu den Kultur-Etagen gehören.
Und der Umsatz mit der Kultur macht nur 1,4 Prozent
des Gesamtumsatzes aus (1999 immerhin 30,5 Millionen). Aber
das weiß Dussmann das KulturKaufhaus erregt den Großteil
der öffentlichen Aufmerksamkeit von Deutschlands größtem
Dienstleistungs-Unternehmen.
Das ist die erste Antwort auf die Eingangsfrage. Die zweite: Eigentlich
ist es mehr ein Zufall, Notbehelf gewesen, dem Neubau diese Funktion
zu geben. Regulär war an Vermietung gedacht. Damals, bei hohem
Leerstand von Büro- und Ladenräumen in der Friedrichstraße,
ein frommer Wunsch. Dabei hätte andererseits das Beispiel der
bald wieder geschlossenen Filiale des Pariser Kulturkaufhauses Fnac
in der Friedrichstraße warnen können, an das KulturKaufhaus,
sprich an sich selbst zu vermieten.
Aber der nüchterne Rechner, der Pragmatiker Dussmann ist ein
Schöngeist. Man siehts an dem liebevoll restaurierten
Schlösschen im Berliner Villenvorort Zeuthen, in dessen Nähe
sich auch ein Schulungszentrum für die Mitarbeiter befindet,
an seinen Antiquitäten, an seinem Engagement mit der Dussmann-Stiftung
für sächsische Bauten, zum Beispiel die Wiedererrichtung
von Dresdens Frauenkirche, an seiner Liebe zur Oper und speziell
deren Spielstätte ein paar Häuser weiter Unter den Linden,
was er sich jährlich zirka eine Million Mark aus der Privatschatulle
und mitunter noch mehr kosten lässt. Dazu kommt der Unterhalt
eines Fundraising-Büros für Sponsoring-Gelder für
die Staatsoper unter Daniel Barenboim.
Und: Dussmann, der aus dem kleinen schwäbischen Rottweil ins
große Berlin kam, ist der Sohn eines Buchhändler-Ehepaares,
und hat diesen Beruf selbst gelernt. Die Schwester führt das
elterliche Geschäft weiter. Und der Filius verbindet den Buchhandel
(120.000 Bände in drei Etagen) mit der Musik- und Opernliebe:
Die Klassikabteilung mit CDs von Adam bis Zemlinsky und auch Noten
ist die größte Europas.
Damit nicht genug: Es existiert eine Jazz-Abteilung, eine sich
zunehmend vergrößernde Weltmusik-Angebots-Palette und
das Bestreben, Country und weiteres immer umfassender anzubieten.
Das Besondere: Es gibt mehr als 100 CD-Abspielstationen. Alles in
allem sind 140.000 CDs im Sortiment, dazu 6.000 Hörbücher.
Zum Gesamtangebot gehören außerdem rund 6.500 Filme auf
Video und DVD, verschiedene Software (Spiele, Lernprogramme und
manches mehr), CD-Roms, neuerdings auch feine Papiere und Schreibwaren
in der Papeterie.
Es gibt immer mal wieder Verkaufsausstellungen bildender Kunst,
jüngst sogar die Möglichkeit, sich das Gekaufte sogleich
rahmen zu lassen. Problemlos kann man die Ware über das Internet
bestellen. Und es gibt die deutschlandweit günstigsten Öffnungszeiten:
Montag bis Samstag von 10 bis 22 Uhr. Dussmann macht sich auch für
Sonntagsöffnungszeiten stark, nutzt dafür jede Möglichkeit,
zum Beispiel Grüne Woche, Ärztekongress, Oster- und Pfingstsonntag.
Die übers Übliche hinaus gehenden Zeiten haben ein Umsatz-Plus
von 30 Prozent gebracht den damit befassten Mitarbeitern
Umatzbeteiligung, die etwa 1.000 Mark auf dem Gehaltszettel ausmacht.
Der Trick: Dussmann beförderte 30 Abteilungsleiter in den Prokuristen-Status.
Unter den 100 Mitarbeitern befinden sich Künstler, Komponisten,
Musikwissenschaftler, Mitarbeiter abgewickelter (vor allem Ost-)
Berliner Kultureinrichtungen. Das sichert professionelle Beratung.
Pressesprecherin Barbara Hüppe zur Firmen-Philosophie: Wir
übertragen den Dienstleistungs-Gedanken konsequent auf den
Handel mit Kulturgütern.
Darüber hinaus steht das Haus offen für viele Begegnungen
mit Musikern und Autoren. Etwa zehn bis zwölf Veranstaltungen
gibt es hier im Monat, alle bei freiem Eintritt. Bei unserem Besuch
war im Untergeschoss gerade die Nachwuchs-Stargeigerin Hilary Hahn
aus den USA zu Gast. Wenige Tage später erhielt die Chansonsängerin
Tanja Ries hier ein Podium. Eis-Star Katharina Witt hatte für
ihre Buchpremiere einen Exklusiv-Termin. Gregor Gysi las, und auch
Genscher und von Weizsäcker beide wie Dussmann große
Opernfreunde kamen zu Buch-Vorstellungen. Einmal im Monat
überträgt KlassikRadio von hier Live-Interviews von Holger
Wemhoff.
Auch Neue Musik hat ihren Platz, zum Beispiel mit Filmen von Uli
Aumüller und Hanne Kaisik, unter anderem über Helmut Lachenmann.
So ist KulturKaufhaus-Chefin Martina Tittel mit ihren Mitarbeitern
ständig eine gute Gastgeberin. Übrigens soll es bei diesem
einen KulturKaufhaus bleiben. Alle Angebote aus anderen Städten
hat Dussman bis jetzt abgelehnt.