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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 52
50. Jahrgang | Mai
Nachschlag
Bayreuth absurd
Ein starrsinniger, hinterwäldlerischer,
verbockter Greis olle endlich das Feld räumen;
die Häme, mit der Stimmen aus der Presse und Politik dies fordern,
hat den Boden des Anstands, des Respekts und der Würde verlassen.
Hat er seinen Etat überzogen, wie es namhafte Staats- und
Generalintendanten tun? Hat er das Publikum aus seinem Theater vergrault,
worauf manche Theaterleiter auch noch stolz sind? Hat er bei seinen
zahllosen Bau- und Renovierungsmaßnahmen jeden Kostenüberblick
verloren, wie es einem weiland Münchner Kulturreferenten, jetzt
Berliner Kulturstaatsminister, unterlaufen ist? Verfällt sein
Theater, funktioniert die Betriebsorganisation nicht mehr, bleibt
auch nur eine Eintrittskarte unverkauft liegen? War er womöglich
Stasi-Informant oder gibt gar die Kantine im Festspielhaus Anlass
zur Kritik?
Die Atriden von Oberfranken sind anonymen Bürokraten
aus München bei weitem vorzuziehen, schrieben wir 1984.
Der Stiftungsrat der Bayreuther Richard Wagner-Festspiele hat mit
seiner Entscheidung vom 29. März 2001, Eva Wagner-Pasquier
als Nachfolgerin des Festspielleiters zu nominieren, die Nominierte
und sich selbst in eine absurde Situation manövriert. Der Bayreuther
Festspielleiter kann nicht abberufen werden wie ein landläufiger
angestellter Intendant eines staatlichen oder städtischen Theaters;
der Satz träfe selbst dann zu, wenn Wolfgang Wagner nicht auf
Lebenszeit vertraglich verpflichtet wäre.
Die Bayreuther Festspiele feiern heuer ein Doppeljubiläum:
125 Jahre Festspiele, 50 Jahre Neu-Bayreuth. Die Lebensleistung
des bis 1967 zusammen mit seinem Bruder Wieland, seither allein
verantwortlichen Festspielleiters Wolfgang Wagner ist es, das
wie Hans Mayer formulierte 1945 an der Kulturbörse
unter Null gehandelte Werk Richard Wagners in all seiner Größe
und Verrücktheit, in seiner visionären Unzeitgemäßheit,
auch mit seiner zweideutigen Kunstreligion am Leben erhalten zu
haben. Helfer hatte er viele neben den Künstlern seien
nur Ernst Bloch, Karl Dahlhaus, Hans Mayer, Wolfgang Schadewald
erwähnt doch der genial-sturköpfige Macher
hieß seit 1951 stets Wolfgang Wagner.
Wenn Wagners Opern heute selbst in der Provinz viel gespielt und
interessant interpretiert werden, ist das auch Folge der Werkstatt
Bayreuth. Und wer dem Alten vorhält, Inszenierungen
außerhalb Bayreuths überträfen das Vorbild, der
preist ihn, hat Wolfgang Wagner doch mit den Festspielproduktionen
Götz Friedrichs, Patrice Chéreaus, Dieter Dorns, Harry
Kupfers, Werner Herzogs oder Heiner Müllers den beinahe wettbewerblichen
Reigen in Gang gesetzt. Selbst der mäkelnde Hinweis auf den
nur teilweise gelungenen Ring des Jahres 2000 besagt
nichts: Bayreuths Ringe waren im Premierenjahr oft nachbesserungsbedürftig;
Peter Halls romantischem Ring des Jahres 1989 half selbst
die Nachbesserung nichts.
Die zur Begründung des Wechsels in der Festspielleitung zum
1. Oktober 2002 vorgebrachten Anwürfe sind ebenso an den Haaren
herbeigezogen, wie die flugs im gleichen Atemzug geäußerte
Anerkennung geleisteter Arbeit verlogen ist. Die Konfliktlinie verläuft
anderswo. Meinen die einen, um mit Theodor Fontanes Stechlin
zu reden, das Alte müsse fallen, weil es alt ist, selbst
wenn das Alte besser ist, als das Neue, so meint Wolfgang
Wagner, das bessere Alte müsse und ließe sich fortsetzen.
Und er, der erfahrene 81-jährige Erbe der Festspielidee seines
Großvaters, habe das entscheidende Wort mitzureden, wenn es
um den künftigen Hüter des Erbes gehe. Er will kein modernes
Festival, sondern den Fortbestand der unzeitgemäßen,
geradezu anachronistischen, gerade deshalb so einmaligen und erfolgreichen
Richard Wagner-Festspiele.
Uns kann es hier nicht um Personen gehen, sondern nur um die Frage,
ob die Vorstellungen Wolfgang Wagners denn gar so abwegig sind.
Und ob es nicht an der Zeit ist, die Nachfolgefrage wieder fair
zu verhandeln, in der Einsicht, dass sie nur mit Wolfgang Wagner,
aber nicht gegen ihn gelöst werden kann. Andernfalls drohen
nicht nur Personen, sondern auch die Festspiele Schaden zu nehmen.