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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 25
50. Jahrgang | Mai
Pädagogik
Konsequenz, Besessenheit, und die Liebe zum Klavier
Der Klavierpädagoge aus der Sicht seiner Schülerin
zum 70. Geburtstag Karl-Heinz Kämmerlings
Wer kann sie zählen, all die Pianisten, die Jahr für
Jahr die Preise von Jugend musiziert oder danach bei
professionellen Wettbewerben einheimsten und größtenteils
aus einer Werkstatt kamen, angesiedelt zwischen Braunschweig, Hannover
und Salzburg? Waren es die begabten Kinder, die sich den Lehrer
suchten oder suchte der Lehrer sie? Ein wenig geheimnisumwittert
dünkt Außenstehenden diese Meisterwerkstatt doch, aus
der alljährlich Dutzende von hoch talentierten, technisch durchtrainierten,
musikalisch selbstsicheren Musikern die Podien erobern. Und das,
obgleich der Meister ganz ungewöhnlich nie selbst
sich konzertierend hören ließ und lässt. Eine seiner
Schülerinnen, die wohl am längsten seine Betreuung genoss,
fragten wir. Konstanze Eickhorst, heute selbst renommierte Klavierprofessorin
in Lübeck, fasst zusammen, erinnert sich an ihr eigenes Wachstum,
an ihre Begenungen mit dem Lehrer Karl-Heinz Kämmerling, der
jüngst seinen 70. Geburtstag feierte.
Karl-Heinz Kämmerling,
hier mit der Pianistin Julia Bartha, bei seinem schon traditionellen
Klaviermeisterkurs im Rahmen des Internationalen Klavierfestivals
junger Meister in Lindau. Foto: Internationaler Konzertverein
Bodensee
Schreiben Sie etwas über das Besondere in Kämmerlings
Unterricht... Das Besondere? Es wäre interessant, diese
Frage den vielen, vielen Pianisten und Pianistinnen dieser Welt
zu stellen, die durch Herrn Kämmerlings Hände gegangen
sind und noch gehen. Ich kann nur für mich sprechen, und ich
bin lange Jahre von ihm betreut worden, quasi mit ihm groß
geworden, von meinem 11. bis zum 24. Lebensjahr. Kleine Unterbrechungen
waren dabei, ein Studienaufenthalt in Paris, aber der Kontakt ist
nie abgebrochen.
Das Besondere... Ist es der Instinkt, die Stärken und Schwächen
eines Schützlings sofort zu erkennen? Ist es die Hartnäckigkeit,
Problemlösungen zu suchen? Ist es der Wunsch, einer Musikästhetik
zu dienen? Ist es die Neugier, das Verlangen, Grenzen auszureizen?
Auf der Suche nach dem Besonderen sah ich meine alten Noten durch,
Werke, die ich monatelang mit Professor Kämmerling studierte.
Es steht viel darin, sehr viel... Die Ränder sind voll mit
Eintragungen. Stützen, Strom, jeden Ton fühlen,
gerade sitzen, Ellenkopf lösen, sauber, Kern, an der Taste...,
Eintragungen, die sich mit technischen Dingen beschäftigen.
Wie viel verschiedene Übearten gingen wir bei Chopin-Etüden
durch, wie viele Metronomangaben, Hilfen zum effektiven Üben,
zieren die erste Seite! Ich erinnere mich, wie oft eine Unterrichtsstunde
mit Übearten begann, ganz langsam, über jeden Ton Rechenschaft
ablegend. Und wie konzentriert war er bei der Sache bei diesen,
für viele unmusikalischen, Arbeiten, die andere
wohl gerne in die Hände eines Assistenten oder einer Assistentin
legen würden!
Was die Technik angeht, so war ein wichtiger Baustein die Grundübung,
Übungen vorwiegend im Fünftonraum, die neben dem Muskeltraining
verschiedene Anschlags- und Klangerzeugungen zum Inhalt hatten und
den ganzen Spielapparat einbezogen. Auch hier wurde mit unglaublicher
Geduld und Liebe zum Detail gearbeitet. Viele von uns Ehemaligen
bewahren diese Grundübung und geben sie, mit kleinen,
persönlichen Änderungen versehen, ihren eigenen Studierenden
weiter.
Weite, innere Ruhe, zerbrochenes Glas, Quartett, im Nacken,
organisch, schwingen, nervig, Intensität, atmen, fliegen....
Auch diese Eintragungen finden sich. Zur Beschreibung musikalischer
Abläufe und Charaktere konnte sich Herr Kämmerling einer
ungeheuer bildhaften Sprache bedienen. Noch heute fallen mir bei
bestimmten Stellen diese damals geprägten, griffigen Umschreibungen
ein.
Es war faszinierend, wie er nach dem Vorspielen eines Werkes eine
scheinbar zufällig herausgegriffene Stelle als Beginn seiner
Korrekturen nehmen konnte. Diese Korrektur aber beeinflusste das
ganze Werk in einer so logischen Weise, das mir die Interpretation
auf einmal klar und einfach erschien.
Es gab keinen unwichtigen Ton, keine Phrase die irgendwie
gestaltet wurde. Jeder Anschlag sollte Strom haben,
Entwicklung, und in Relation gesetzt werden zum vorhergehenden und
nachfolgenden. Mit einer großen Beharrlichkeit konnte er hier
fordern und war schwer zufrieden zu stellen. Seine Gestik, sein
Mitdirigieren, seine Begeisterung all das konnte mich während
des Unterrichts zu Höhenflügen animieren und war wirksam,
um mich mit vielen Bildern und angereicherter Fantasie dem heimatlichen
Üben zu überlassen.
Während meiner Studienzeit gab es einen starken Klassenzusammenhalt.
Jeden Montag um 14 Uhr fanden Klassenstunden statt.
Werke in der Entwicklung und in der Konzertreife wurden Herrn Kämmerling
und der Klasse vorgestellt.
Viele, teils schon gestandene Pianisten und Pianistinnen haben
hier gezittert, aber der Erfahrungswert dieser harten Schule war
unersetzbar. Knapp, aber treffend waren Herrn Kämmerlings Kommentare,
und am Ende forschte man in den Noten nach hinzugekommenen Eintragungen.
Ausgleich zu diesen Anstrengungen wurde aber auch geschaffen:
Gemeinsame Wanderungen oder heiße Silvesterfeiern
sind uns aus dieser Zeit kostbare Erinnerungen.
Vielleicht nehmen Studierende der nächsten Generation andere
Erfahrungen und Erinnerungen mit in ihr Berufsleben das Leben
verläuft in Phasen. Die Phase in Prof. Kämmerlings Pädagogenleben,
an der ich teilhaben durfte, war gekennzeichnet von Konsequenz,
Besessenheit und Liebe zum Klavier.