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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 43
50. Jahrgang | Mai
Jazz, Rock, Pop
Sinnsucher auf Never-Ending-Tour
Songwriter Bob Dylan wird am 24. Mai sechzig Jahre alt
Seinen Fans und Kritikern ist er ein ewiges Mysterium geblieben
ein Sinnsucher, der trotz immer neuer Häutungen
stets er selbst geblieben ist: Bob Dylan. Sein Aufstieg begann Anfang
der 60er als Idol der gesellschaftlichen Gegenkultur. Seine Protestsongs
gegen Krieg, Rassismus und Ausbeutung machten ihn populär.
Als er sich Mitte der 60er kritisch-subjektiven Rocksongs mit surrealen
Texten zuwendete, warf man ihm zum ersten Mal Verrat und Ausverkauf
vor. Eine Situation, die sich über die Jahre noch mehrmals
wiederholen sollte.
Beständig im Wechsel
Jung gebliebener Jubilar:
Bob Dylan. Foto: Jens Winter
Heute ist Halloween und ich habe meine Bob-Dylan-Maske aufgesetzt,
sagte der junge Dylan einmal während eines Konzerts. Und brachte
die Sache damit auf den Punkt. Denn während seiner ganzen Karriere
schlüpfte er in immer wieder neue Verkleidungen. Stets eignete
er sich neue Masken und Musikstile an. Dylan ist einer, der fühlt,
dass es etwas anderes, besseres als das Hier und Jetzt gibt. Daher
ist er auf der ständigen Suche und erfindet sich selbst dabei
stets wieder neu. Es langweilt ihn, wenn die Leute immer wieder
das Gleiche von ihm hören wollen. Bob Dylan schlägt ständig
Haken, weil er die Erwartungshaltungen seiner so-called friends
an die Legende Bob Dylan nicht erfüllen will. Immer
wieder im Laufe seiner Karriere provozierte er, um sich künstlerische
und persönliche Freiheit zu erhalten. Und erntete meist bittere
Vorwürfe.
So 1969, als er plötzlich Country Music machte. Er trat in
Johnny Cashs Fernsehshow auf und beide zusammen verschnulzten sein
Girl From The North Country. Dann wieder Vorwürfe,
als er sich Anfang der 70er nur noch mit Familie und Landleben beschäftigte.
Dann 1978, als er seine Protestsongs in BigBand-Arrangements steckte
und 1979, als er zum Christentum übertrat. Zuletzt in den 90ern,
als er seine Hymne The Times They Are A Changin
für Werbezwecke verkaufte, auf Firmenfesten und beim Papst
spielte. Dylan wurde so nicht nur zur Mysteriösesten aller
Sixties-Ikonen, sondern auch zur Umstrittensten.
Dabei ist Bob Dylans Bedeutung sowohl für das Seelenleben
der 68er-Generation als auch für die populäre
Musik enorm. Er hat den Soundtrack zum Lebensgefühl der kritischen
Jugend in den Sixties und den Seventies geschrieben. Er hat
den RocknRoll vor dem Verblöden bewahrt (Wolfgang
Niedecken). Und es gibt keinen anderen Musiker der Populärkultur,
über den so viele literaturwissenschaftliche Abhandlungen geschrieben
worden sind wie über den Sänger und Liederschreiber Bob
Dylan. Seit einigen Jahren wird er regelmäßig für
den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen.
Fahrender Sänger
Bob Dylan, der Prototyp des Songwriters, ist heute vor allem ein
Live-Künstler, ständig auf Konzertreise. Es ist
mein Beruf, mein Handwerk, mein Gewerbe. Auf einer Bühne zu
stehen ist für mich genauso natürlich wie atmen,
sagt er selbst dazu. 1988 begann er seine Never-Ending-Tour,
die er bis heute fortsetzt. Das Prinzip ist, mit einer kleinen Band
(Gitarre, Bass, Schlagzeug) fast das ganze Jahr über on
the road zu sein.
Am Anfang der Tour standen Garagenrock und eine chaotische Lust
am Experimentieren. Jede Setlist war anders und geprobt wurde selten.
So wechselten sich Sternstunden und Abstürze ab. 1991 in Europa
versiebte er regelmäßig wegen Trunkenheit das erste Drittel
seiner Konzerte, spielte sich dann aber nüchtern, um dann doch
noch ein großartiges letztes Konzertdrittel abzuliefern.
Erst im Laufe der 90er-Jahre wurde die Qualität seiner Live-Acts
beständiger. Ob Woodstock II 1994 oder Jahrhunderthalle Frankfurt
2000: Dylans Auftritte sind faszinierend und machen Spaß,
bleiben wegen der stets wechselnden Songauswahl spannend, sind aber
keine kräftezehrende Tour de force mehr für
Künstler und Publikum. Als Dylan im Herbst 1997 nach jahrelanger
Schreibhemmung die CD Time Out Of Mind veröffentlichte,
erregte er wieder einmal großes Aufsehen: Ein großes
Alterswerk und Er ist wieder da, jubelte die Presse
als wäre er je wirklich weg gewesen. Im Gegensatz zum
Touren fällt ihm die Produktion von Platten aber anscheinend
immer noch schwer: Seit Time Out Of Mind sind auch schon
wieder vier Jahre vergangen. Dylan nervt die Arbeit im Studio: Ich
mache nur Platten, weil die Leute kommen, um mich live zu sehen,
so seine Einstellung.
Gefeierte Legende
Zum Sechzigsten wird ihm natürlich umfassend Tribut gezollt.
Etliche neue Bücher und CDs kommen auf den Markt. Hier zu Lande
wird kräftig getrommelt für Willi Winklers Dylan-Biografie.
Aber sie gehört leider zu den schlechteren. Zu penetrant ist
der Blickwinkel des enttäuschten Fans, zu verkrampft die betont
lässige Sprache, zu dünn die Faktenlage, zu kalkuliert
das ganze Projekt. Da sollte man lieber die CD Bob Dylan
Live 19612000 (Sony Music) hören. Eine gelungene
Retrospektive auf den Performing Artist Dylan. Leider
ist sie in Deutschland nur in limitierter Auflage erschienen.
Und was wünschen wir Bob Dylan zum Geburtstag? Dass
er so bleibt wie er ist, nämlich immer anders und doch er selbst.
Man kann gespannt sein, womit uns der immer noch kreative alte Junge
aus Minnesota noch überraschen wird.