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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 43
50. Jahrgang | Mai
Jazz, Rock, Pop
Nachschub
Frauen
Geschichten über Frauen im Pop-Business sind immer noch Opfer-Geschichten.
Aber sie enden nicht mehr so oft und vor allem nicht mehr so leicht
und selbstverständlich tragisch wie in der Ära der großen
Jazz-, Blues- und Soul-Queens, die über kurz oder lang in der
Gosse oder im Grab landeten. Die Opfer-Geschichten werden jetzt
von den Frauen selbst erzählt und sie sind nur das Vor-Spiel
einer vertrackten Erfolgsgeschichte, bei der man nicht so genau
weiß, ob sie tatsächlich der Emanzipation und geänderten
Geschlechts- und Geschäfts-Verhältnissen dient oder doch
nur den Renditewünschen der renovierten Traum-Fabriken des
21. Jahrhunderts. Sind die Frauen im Pop souverän geworden
oder wurde Cinderella nur ein neues Outfit verpasst?
Früher waren Frauen nur Puppen an Fäden, selbst wenn
sie für die Fans Göttinnen waren, Ikonen unerreichbaren
Glamours und einer glücksverheißenden Gratis-Erotik.
Erst Madonna begann selbst an den Fäden zu ziehen; nicht als
Bohème-Aschenputtel im sozialen Abseits, sondern als Shareholder-Value-Prinzessin
eines entfesselten Mainstreams, der selbst noch Avantgarde-Experimente
und radical chic massenkompatibel zu machen schien. Bei Aimee Mann
liegt der Fall anders: Sie hat eine lange Karriere als Til
Tuesday-Frontfrau hinter sich, während der sie sich scheinbar
auf die überoptimalen Auslöser helle Stimme und blonde
Haare reduzieren ließ. Renitent wurde sie erst, als man sie
zu sehr auf ihren Popstar-Bildauftrag festzulegen versuchte (vermintes
Terrain, wo sie sich schwach und unsicher fühlte) und ihre
Stärken, Texte schreiben und Songs basteln, vernachlässigte
und torpedierte. Aimee Mann ist nicht Madonna; sie konnte aus ihrem
Willen zur Selbstständigkeit nicht Kapital schlagen. Aber sie
war bereit, Verzicht zu leisten. Sie kaufte sogar ihre eigenen Songs
zurück und wurde darüber zum Mega-Star. Denn genau
so lesen sich ja die all american Erfolgsgeschichten, in deren Zentrum
immer einer steht, der auf seiner Identität besteht und an
sich glaubt. Aimee Manns Songs sind der passende Soundtrack zur
Chronik der laufenden Ereignisse; kein Wunder also, dass Hollywood,
von Jerry Maguire bis (ganz und gar triumphal!) Magnolia
sie entdeckt hat und dass ihr wiederangeeignetes Meisterwerk
Bachelor No. 2 (V 2) zum role-model für die neueste
Identitäts-Produktion wurde. Zu Recht! Denn die Lieder sind
nicht so querköpfig, wie ihre Geschichte es vermuten ließe.
Sie sind brüchig, aber auch strahlend: Melodien für Millionen,
die sich in ihnen wieder erkennen. Dass nichts gut genug sei, dieser
hymnische Protestsong ohne klaren Adressaten spricht vielen gerade
deshalb aus der Seele, weil er sich in ermüdenden Beziehungsschlachten
genauso verwenden lässt wie als ultimatives Argument im Berufsalltag.
Aimee Mann führt vor, wie man gerade dadurch, dass man keine
Kompromisse macht (und das lautstark verkündet!) mitten im
Herzen der Gegenwart ankommen und dabei ganz wunderbar bleiben
kann.
Die drei Country-Damen aus Albuquerque, New Mexico, die sich Mitte
der 90er-Jahre den Namen Hazeldine gaben, hat es härter
getroffen. Sie wurden im Minenfeld einer Mega-Fusion so gründlich
zerzaust, dass womöglich selbst die späte, reuige Rückkehr
zur Indie-Heimat Glitterhouse, wo einst die Karriere begann, nichts
mehr nützt.
Double Back, das dritte Album, sofern man bereit ist,
das in Industrie-Tresoren verschollene zweite mitzuzählen,
trägt schwer an der eigenen Geschichte. Das Schicksal hat sich
in den Arrangements sedimentiert, die zum Teil bleischwer wirken.
Die Melodien schielen auf Zustimmung und der Sound leidet unter
der Art von Intensität, wie man sie von heftig
muggenden Alt-Rockern kennt, die an ihrer juvenilen
Vitalität auch nicht den mindesten Zweifel aufkommen lassen
wollen.
Goldfrapp, das Darling-Duo der Saison, geht da einen anderen Weg.
Alison Goldfrapp hatte lange TripHop- und Techno-Acts wie Tricky
und Orbital ihre Stimme geliehen, Multi-Instrumentalist Will Gregory
sein hartes Brot mit funktionalen Filmmusiken verdient. Jetzt wollen
sie, so die geniale Geschäftsidee, nur noch das machen, was
ihnen selbst gefällt. Das klingt dann so unzeitgemäß,
dass es hysterische Trendforscher nur unverschämt trendy finden
können. Und wie klingt es? So out of time, dass
man Schwierigkeiten hat zu sagen, in welchem Jahrzehnt man sich
befindet. Alison schwärmt von Marlene Dietrich, klingt aber
auch ganz ungeniert wie Björk. Schräg-glamouröse
und sinister-erotische Duos der Pop-History wie Lee Hazlewood/Nancy
Sinatra oder Serge Gainsbourg/Jane Birkin werden en passant als
Vorbilder genannt und der Zuhörer fühlt sich auf die smootheste
Weise in eine schwüle Hotel-Lounge oder in einen weichen Kino-Sessel
gebeamt. Alles ist möglich, nur kein Druck: Der hypnotische
Goldfrapp-Sound (Felt Mountain/Mute) bezeichnet eine
garantiert Bassdrum-freie Zone.
Das unterscheidet ihn von Jill Scott, bei der die tiefen rhythmischen
Töne das strukturelle Fundament für die berü-ckende
Wiederbelebung eines Genres bilden, das schon mit allen Ehren zu
Grabe getragen wurde: RnB ist hier der etwas heftigere
schwarze Soul, strotzend nicht nur von überbordendem Gefühl,
sondern auch von einem Selbstbewusstsein, das nichts Geringeres
versucht als eine wüste Definition der Gegenwart jenseits aller
Sexismen und Rassismen. Dabei bleibt Jill Scott jedoch im Bann all
der Unausrottbarkeiten, die ihnen zugrunde liegen. Nenn es
Glück, nenn es Schmerz, nenn es Sex oder einfach
die Dinge des Lebens. Who Is Jill Scott (Epic/Sony)
ist nicht mehr ganz taufrisch, aber immer noch so etwas wie das
Album des Jahres. Jedenfalls im Kontext überwundenen Opfer-Raps:
Jung, schwarz, weiblich, selbstbewusst sucht...