[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 16
50. Jahrgang | Mai
Portrait
Pamina ist bei mir ne Zicke
Regisseurin Corinna Palm in einem Gespräch über ihre
Arbeit
Biberach an der Riß. 30.000 Einwohner, ein Stadttheater
aus den 70er-Jahren mit knapp 600 Plätzen und einer mäßigen
Musikakustik. Betreiber ist das Kulturamt der Stadt Biberach. In
fünf Minuten fährt man mit dem Auto durch die Stadt, nach
weiteren fünf Minuten über Land kommt man in das Dorf
Attenweiler. Niemand würde erwarten, dass hier der bundesweit
tätige Bühnenbildner Hanns Dieter Schaal wohnt. Der ist
natürlich nie da, sondern auf Arbeit zwischen Essen,
Frankfurt, Leipzig, Ulm und Berlin. Doch er ist auch nicht mein
Ziel. Ich fahre zum Interview mit Corinna Palm, einer jungen Regisseurin,
die seit etwa sechs Jahren freischaffend tätig ist, seit zwei
Jahren in Attenweiler wohnt und sich im Gegensatz zu Schaal ihren
Namen noch machen muss.
Corinna Palm: Ich würde
am liebsten alles selber spielen. Foto: Martin Elsner
Dass die Tochter des Cellisten Siegfried Palm ihren Weg gehen wird,
daran zweifelt man nicht, wenn man sich länger mit ihr unterhält.
Biberach war für mich vor zwei Jahren, so die heute
31-Jährige, die Chance an Opern zu kommen, die man sonst
noch nicht mit so jungen Jahren machen kann. An einem Freitagabend
erhielt die Regisseurin einen Anruf aus Biberach. Am Apparat war
Bariton Thomas Berau (früher Bauer), der die Palm noch aus
ihrer Assistenz- und Abendspielzeit in Mannheim kannte. Er fragte:
Kannst Du ab Montag Cosi in Biberach inszenieren?
Palm wusste nicht wo Biberach liegt, auch Cosi fan tutte
hatte sie bis dahin noch nicht gemacht. Aber sie traute sich, denn
Cosi ist auch eines von diesen Stücken, die
jahrelang in einem drin leben. Ich habe mich dann auch überhaupt
nicht vorbereitet, sondern direkt Montag angefangen zu proben mit
einem sehr modernen Konzept, das den Sängern einiges abverlangte.
Doch auch diese waren unter Zeitdruck, es hieß einfach sich
aufeinander einlassen oder es sein lassen.
Die Aufführung wurde ein Erfolg und das hatte Folgen für
Biberach und für Corinna Palm. Sie bekam im Anschluss das Angebot
der dortigen Jugendkunstschule für eine Dozentenstelle und
vom Städtischen Musikdirektor Peter Marx das Angebot, 2000
Des Esels Schatten von Richard Strauss und 2001 die
Zauberflöte zu machen. Es war also nur logisch,
in die Biberacher Provinz, genauer nach Attenweiler in die Nachbarschaft
von Hanns Dieter Schaal, zu ziehen.
Dass in einer 30.000-Seelen-Gemeinde überhaupt derartige über-kommunal
beachtete Produktionen stattfinden, hat seinen Grund in der engagierten
Arbeit von Peter Marx, Sohn des Komponisten Karl Marx. Nachdem er
an Theatern in Passau, Krefeld und Bielefeld als musikalischer Leiter
tätig gewesen war, zog es ihn nach Biberach. Dort bekleidet
er seit 25 Jahren das Amt des Städtischen Musikdirektors, eine
Stelle die es in dieser Ausprägung eigentlich nur in Biberach
gibt. Er hat die Lufthoheit über alles, was die
Stadt musikalisch macht und kann die Initiative ergreifen, wenn
er beispielsweise Opernproduktionen machen will. Neben den Solisten
oder Orchestermusikern, die er einkauft, kann er seine Protagonisten
aus Mitgliedern des dramatischen Vereins Biberach rekrutieren. Der
dramatische Verein blickt im übrigen auf eine über 300-jährige
Tradition zurück: Christoph Martin Wieland führte mit
den damaligen Vereinsmitgliedern zum ersten Mal Shakespeares Der
Sturm in deutscher Übersetzung auf (in Wielands eigener
versteht sich). Weiter findet Marx Kräfte im örtlichen
Musikverein, in der Musikschule, der Jugendkunstschule und dem Sängerbund.
Das Orchester, mit dem Marx in seinen Produktionen zusammenarbeitet,
ist die Capella novanta unter der Leitung von Günther Luderer.
Über seine jungen Musiker ist Marx voll des Lobes. Er arbeitet
mit ihnen lieber als mit den routinierten Profis aus seiner Stadtheaterzeit:
Die jungen Leute kennen keine Uhrzeitbeschränkung, sie
sind interessiert an dem, was auf der Bühne passiert, und nutzen
gerne die Gelegenheit, einmal die Zauberflöte spielen
zu können.
Mit der Aufführung von Mozarts Zauberflöte
in diesem Frühjahr neigt sich auch die Amtszeit von Marx dem
Ende entgegen. Ob sich Biberach wohl weiterhin einen derartig einflussreichen
Musikdirektor leistet? Oder wird die Musik einfach per Sachbearbeiter
ins Kulturreferat eingegliedert? Und Musikschulleiter sind ja leicht
zu finden. Unabhängig davon denkt das Team Palm/Marx bereits
über neue Opernproduktionen nach.
Auch wenn Palm eine Vorliebe für Mozart hat Mozart
ist so frisch, so lebendig wie Mauricio Kagel , ihr
Blick bleibt auch offen für die Moderne. Während ihrer
Zeit am Staatstheater Mannheim bei Klaus Schulz (heute Intendant
des Münchner Gärtnerplatztheaters), wo Corinna Palm vor
allem Wiederaufnahmen betreute, setzte sie Schwerpunkte mit Kinderopern
oder arbeitete an einer szenischen Umsetzung von Nancarrow-Werken
für Schlagzeugensemble.
Seit der Berliner Zeit, als Papa Intendant der Deutschen Oper war,
wollte Corinna Tänzerin werden. Zu ihrem Unglück taten
die Füße nicht mit, doch sie hatte Blut geleckt: Ich
bin eine Rampensau und würde am liebsten immer selber auf der
Bühne stehen. Ich spiele auch immer alles vor, so Corinna
Palm über ihre Motivation, Regie zu führen. Ihre Vorstellungen
von Regie sind klar: Für mich kommt alles aus der Musik.
So erkläre ich das auch den Sängern. Pamina ist deshalb
bei mir ne Zicke, weil sie so eine zickige Musik am Anfang
hat (singt vor). Nach ihrer jüngsten Inszenierung, wo
sie ihre Figuren in Räumen spielen lässt, die einzig durch
fünf verschiebbare Säulen definiert sind, befragt, meint
Palm: Für mich ist die Zeit, in der etwas spielt, selten
wichtig. In dem Moment, wo ich das heute spiele, hat es eine Bedeutung
für uns heute. Und weiter: Wenn Leute mit Hintergrundwissen
kommen, gut, dann können sie eine Symbolik rauslesen. Aber
auch Lieschen Müller soll das spannend finden, auch wenn sie
sich unter Zauberflöte etwas ganz anderes vorstellt.
Palms Auffassung von zeitgemäßer Regie ist einfach: Keinen
intellektuellen Kram für eine Minderheit will sie machen, aber
heute könne ein Regisseur eben auch nicht einfach hingehen
und es machen wie immer. Dann hat das keine Berechtigung.
Auch wenn Palms Terminkalender noch nicht überquillt, einige
Produktionen stehen schon fest: Im Sommer leitet sie einen Workshop
bei den 51. Jugendfestspielen in Bayreuth. Dort wird sie mit Studenten
Benjamin Brittens A Curlew River erarbeiten und aufführen.
2002 ist in Biberach wieder Oper und im selben Jahr inszeniert sie
am Konservatorium in Maastricht.