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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 22
50. Jahrgang | Mai
Bücher
Musik und Ökonomie
Alte Analysen, immer noch aktuell
Musik-Konzepte 111: Hans G Helms: Musik zwischen Geschäft
und Unwahrheit. edtion text + kritik, München.
Es ist heute ganz gewöhnlich, dass man musikalische Phänomene
in kleinen Arbeitsproblemfeldern behan-delt: Werke, Dirigenten,
musikalische Technik, neue Medien et cetera. Die große Gesellschaftskritik,
die man daran anzuschließen hätte, gilt mittlerweile
als pubertäres Gelaber von Menschen, die das Scheitern Marxens
oder wenigstens der 68er nicht so recht begriffen hätten.
Damit hat man es sich sehr bequem gemacht und denkt sozusagen im
recht begrenzten Weltbild des Schnurzwurzismus. Allein Bücher,
die sich um historische Analysen bemühen, mögen heute
noch eine Ausnahme darstellen und werden irgendwie akzeptiert
quasi wie als Märchengeschichten. Denn da geht es um die Vergangenheit
und die kann einen in seiner eigenen Beliebigkeit des Tuns nicht
so recht berühren. Die Herausforderung ist heute global-industriell
und damit steckt man lieber gleich den Kopf in den Sand oder verbrüdert
sich mit ihr. Ein neues überdimensionales Gehäuse der
Hörigkeit entsteht, einfach aus Faulheit heraus, diese Gehäuse
noch begreifen zu wollen.
Als Band 111 bringt die edition text + kritik in den Musik-Konzepten
Hans G Helms Aufsatzsammlung Musik zwischen Geschäft
und Unwahrheit heraus. Darin versammelt sind Aufsätze
aus den Jahren 1963 bis 1976, die insbesondere das Musikleben ihrer
Zeit kritisch behandeln (Festivals für Neue Musik, Musik nach
dem Gesetz der Ware eine Auseinandersetzung mit der GEMA,
inklusive Replik des damaligen GEMA-Generaldirektors Erich Schulze)
oder Dimensionen des Zusammenhangs von Ökonomie und Musik zum
Gegenstand haben (Die sistierte Zeit, Ökonomische Bedingungen
der musikalischen Produktion). Mit einem Wort: Die Aufsätze
dokumentieren Fragen, denen sich engagierte Publizisten damals gestellt
haben. In diesen Texten gelingt es Helms sehr eindrücklich,
die Beziehungen zwischen Ökonomie und musikalischer Produktion
im Feld der Marxschen Analyse zu deuten. Das Spektrum der
Untersuchungen reicht von Beethoven über Berlioz und Ives bis
zu Stockhausen.
Analysedetails fördern bisweilen hochbrisanten Diskussionsstoff
zutage: Wenn es beispielsweise über das Auseinandertreten von
bürgerlicher Gesellschaft und Neuer Musik zu Beginn des Jahrhunderts
anhand der musikalischen und ökonomischen Entwicklungen der
Orchesterkultur geht (S. 58 ff.); oder wenn die beinahe mafiosen
Wirkungszusammenhänge bei Gestaltung und Programmierung von
Musikfestivals für Neue Musik betrachtet werden.
Gewiss, das meiste ist entlarvend und scharf analysiert: Doch was
können Aufsätze aus den 60er- und 70er-Jahren im Jahr
2001 noch bedeuten? Dort, wo sie theoretische Denkweisen praktizieren
viel, dort wo sie bloß in der Zeit detailgenau
sind, weniger im Einzelfall hätte man doch noch nachträglich
den Text anpassen sollen oder in einer Fußnote korrigieren
(etwa wenn auf Seite 18 die Dauer des Urheberrechts auf 50 Jahre
nach dem Tod des Urhebers fixiert wird). Das darf aber nicht darüber
hinwegtäuschen, dass gerade in der Analyse von Ökonomie
und musikalischer Produktion weiterhin Arbeit gefordert ist, die
kein so zur Mode gewordenes Anything goes oder eilfertiger
Handschlag mit der Industrie entschärfen kann (sei es das Damokles-Werte-Schwert
der phonographischen Industrie, die plötzlich die Urheber schützen
möchte, sei es nach Helms Worten die Beeinflussung der
Bewertungsmechanismen der GEMA für die Produktion von Musik
und damit eine auch ästhetische Zementierung von musikalischen
Produktionsweisen seit Jahrzehnten). Ein Buch gegen den Schlaf der
Vernunft, aktueller noch als zur Zeit der Abfassung.