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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 22
50. Jahrgang | Mai
Bücher
Der Papst wird zum Pop-Star
Ketzerische Reportagen des Pop-Journalisten Thomas Groß
Thomas Groß: Berliner Barock. Popsingles, edition suhrkamp
Guter Pop-Journalismus ist immer auch Zeit-Diagnose: das, was ist
oder eben noch war oder demnächst sein wird, wird in Gedanken
erfasst und in Bildern festgehalten aber nicht aus einer
beliebigen Perspektive, sondern aus der einer emphatischen Jugend
und einer selbstbewussten Bohème. Kurz: Pop-Journalismus
ist überall dort, wo er mehr ist als Fan-Lallen, politisches
Feuilleton, das sich nicht die Sorgen der Reichen und Mächtigen
macht, sondern eine Mikro-Politik des Alltags im Sinne Foucaults
mit dem Willen zu einer Ästhetik der Zukunft verbindet. Pop
ist Widerstand und Subversion mit der gleichen Entschiedenheit wie
vitalistisches Daseins-Design, Posing, und Stil als
Identitäts-Projekt. Pop vergräbt sich in die Archive der
Vergangenheit, um den Ort zu finden, wo noch keiner war.
Pop-Journalismus war ursprünglich eine Sache der Englishmen
dies- seits und jenseits des Atlantiks, mittlerweile haben die deutschsprachigen
Schreiber aber aufgeholt und sind in vielem radikaler,
reflexiver und cooler als ihre Vor-Bilder.
Thomas Groß, bekannt geworden durch seine Essays und Glossen
in taz und Zeit, unterscheidet sich von
Diedrich Diederichsen und anderen dadurch, dass bei ihm der Wille
zum System und zur Botschaft deutlich gebremst wird durch eine labyrinthische
Lust, sich den polymorphen Phänomenen einer post-modernen Realität
hinzugeben, die nur noch eins vereint: der Verzicht auf den gemeinsamen
Nenner, die Abseitigkeit als Lebensform, aber eben auch als ästhetisches
Prinzip und PR-Programm.
Sein ein bisschen neckisch Popsingles untertitelter
Suhrkamp-Band Berliner Barock ist vordergründig
eine Auswahl seiner journalistischen Brot-Arbeiten aus den 90er-Jahren.
Fast alle waren schon irgendwo zu lesen; trotzdem handelt es sich
nicht um die übliche Reste- oder Zweit-Verwertung derer, die
es sich leisten können. Nacheinander gelesen ergibt sich nämlich
tatsächlich so etwas wie die Signatur der Nach-Wende-Zeit,
eine Diagnose des sozio-politischen Status quo genauso wie des state
of the art, der ihn ausdrückt und, mit viel Bereitschaft
zu Maske und Metamorphose, verwandelt und überbietet.
In vielem ist Groß ein Karl Kraus des Pop nur eben
ohne Beckmessertum und besserwisserisches Pathos, auch ohne selbstmitleidigen
Weltschmerz. Die herrschenden Semantiken setzt er dem Säurebad
seines sprachbewussten Esprits aus; da bleibt oft nicht viel übrig.
Aber die Bosheit wird bei ihm nur selten reine Bösartigkeit,
pure Negation; in den meisten Fällen bleibt sie Mittel der
Recherche. Groß ist vor allem Reporter. Er ist dabei; er schaut
und hört zu; er notiert, was ihm auffällt. Hierarchien
verachtet er: Er wohnt einem Vor-wahl-Meeting der Geistes- und Polit-Größen
Habermas und Schröder in derselben Einstellung bei wie er sich
die Dunkelkammer am Rand der Welt, soll heißen
die Foto-Schätze des kleinbürgerlich-kreuzbergerischen
Ateliers Mathesie anschaut. Er rezensiert die erste
Papst-CD Abba Pater genauso wie Elton Johns herz-schmerzenden
Auftritt als Minnesänger der toten Lady Di. Thomas
Groß ist unbestechlich, schon vor Ort, nicht erst
post festum. Er verzeichnet die Verlogenheit der Pop-Charity-Trauergemeinde
und des mitleidenden New-Labour-Bosses Tony Blair, aber auch die
Lebenslügen und Profitmitnahmen von linken Ikonen wie Rio Reiser
(Ton Steine Scherben) und Blixa Bargeld (Einstürzende
Neubauten). Die Wahl zwischen frühem Tod und später
Nobilitierung durch Groß-Feuilleton und Goethe-Institut scheint
da wie eine zwischen Pest und Cholera.
Thomas Groß schont selbst seine eigenen Überzeugungen
nicht: Mit dem Wohlfahrtsausschuss der linken Pop-Intelligenzia,
die unter dem Schock von Rostock-Lichtenhagen, den Anfängen
wehren will, geht er auf politisch-bewusste Reise, muss aber bei
der Aufklärungs-Tour durch den neo-nazistischen deutschen Osten
feststellen, dass die, die Bescheid wissen, weitgehend unter sich
bleiben. Groß beweist Sinn für die Komik einer Predigt,
die auf taube Ohren stößt. Aber auch dort, wo das Volk
nicht fehlt, bei der Zelebration der großen Dylan- oder Neil-Young-Konzertauftritte,
seziert der Autor seine Enttäuschung und seine Ergriffenheit
ohne falsche Scham und vor allem ohne Angst vor dem Phantom-Schmerz
einer Desillusionierung forever. So schildert er Dylans
arthritische Gitarren-Soli auf der Grundlage zweier Töne, die
aber am Ende merkwürdigerweise doch berührender sind als
juvenile Virtuosität ohne Grenzen, beschreibt, wie eine Bühnenshow
der mühsamen Ausfallschritte aussieht, taucht für Augenblicke
in dylanologische Abgründe, wo mit der perversen Ausdauer erlösungsbereiter
Tipp-Gemeinschaften Dylan-Auftritte nach etwaigen stochastischen
Verdichtungen hin ausgewertet werden, verzeichnet sein eigenes Blamiert-Werden
bei der Suche nach der set-list (wo doch jeder Auftritt
des Meisters seit Jahrzehnten ein von allen unvorhersehbares Unikat
ist) und genießt am Ende doch die Missionsreise
des hüftlahmen Erpels. So müssen wahre Fans
aussehen: kritisch bis ins unscheinbarste Detail und unbeirrbar
hingabebereit.