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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 23
50. Jahrgang | Mai
Rezensionen
Leidenschaftliches Lehren und direkter Kontakt
Professor für Violine bespielt erste interaktive Unterrichts-DVD
Zakhar Bron ist ein viel beschäftigter Mann. Hauptamtlich
ist er Professor für Geigenspiel an der Kölner Musikhochschule,
außerdem unterrichtet er fünf Tage pro Monat an der privaten
Escuela Superior de Musica Reina Sofia in Madrid. Getreu
seiner Überzeugung, dass der persönliche Kontakt zwischen
Schüler und Lehrer durch nichts zu ersetzen ist, lässt
er jedoch nicht nur die Studenten nach Köln oder Madrid kommen,
sondern reist zu ihnen: nach Yokohama, Nowosibirsk, Chicago oder
Patras. Jeden Monat Meisterkurse überall in der Welt.
Der Meister in Aktion.
Foto: Jaehner
Bron bewältigt dieses Arbeitspensum mit derselben Professionalität,
die er auch seinen Studenten predigt. Der Jetlag ist keine Ausrede
für ein schlechtes Konzert, ein Feiertag kein Grund für
eine ausgefallene Stunde. Das Ergebnis der Anstrengungen ist beeindruckend.
Er selbst ist gefragter Solist, mehrfacher Preisträger in Wettbewerben,
außerdem Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande.
Seine Schüler haben bisher 128 Preise auf internationalen Wettbewerben
eingefahren, 68 erste Preise sind dabei.
Große Entfernungen scheinen sein Leben zu bestimmen. Geboren
1947 in Uralsk im heutigen Kasachstan, begann er sein Studium an
der Stoliarski-Musikschule in Odessa am Schwarzen Meer, setzte es
an der Moskauer Gnessin-Akademie fort und beendete es bei Igor Oistrach
an der renommierten Tschaikowsky-Akademie dortselbst. Dort begann
er auch als dessen Assistent seine Lehrtätigkeit. Die erste
eigene Klasse bekam er in Nowosibirsk, und das sibirische Klima
scheint ein perfekter Nährboden zu sein: Seine ehemaligen Schüler
Vadim Repin, Maxim Vengerov und Natalia Prischepenko zählen
inzwischen zur internationalen Solistenelite und geben beredtes
Zeugnis über seine Fähigkeiten als Lehrer. Auch in Köln
bildet er eine neue Generation von jungen, außergewöhnlichen
Geigentalenten heran. Die Namen Chloe Hanslip, Michail Ovrutsky
oder Erik Schumann sollte man sich merken. Sein Erfolgsgeheimnis
hat nichts Spirituelles sondern einen handfesten praktischen Hintergrund.
Er habe festgestellt, dass man jungen Geigerinnen und Geigern eine
andere Technik beibringt als die, die sie später als Erwachsene
benötigen. Das Umlernen koste unnötig Zeit und Kraft,
warum also nicht direkt so spielen lernen wie man es später
sowieso tut. Davon abhängig sei das Hören lernen. Eine
falsche Technik verleite zu falschem Hören. Die Selbstkontrolle,
das wichtigste Instrument eines Musikers, werde so unvollständig
oder gar nicht ausgebildet. Auch die althergebrachte Repertoire-Praxis
handhabt er anders. Viele Studenten lernten ein Stück für
eine Semesterabschlussprüfung und legten es dann beiseite.
Für ihn ist die Kontinuität im Repertoireerwerb wichtig,
also lässt er seine Schüler alte Stücke irgendwann
wieder hervorholen.
Inzwischen muss er nicht mehr auf die Suche nach Schülern
gehen, trotzdem ist er immer an weiteren Möglichkeiten interessiert,
seine Ansichten über Musik unter jungen Geigerinnen und Geigern
zu verbreiten. Der AMA-Verlag aus Brühl eröffnet ihm nun
eine neue, multimediale. Im Mai soll eine DVD erscheinen, die Bron
mit seinem Schüler Igor Malinowski aufgenommen hat. Vier Stunden
lang arbeiten sich die beiden durch das zweite Violinkonzert von
Henryk Wieniawski, und die Zuschauer werden Zeugen einer
abgesehen von der Dauer typischen Unterrichtsstunde: Malinowski
spielt einen Satz, danach seziert sein Lehrer das Stück Abschnitt
für Abschnitt, Phrase für Phrase. Dabei kommt Brons Leidenschaft
für das Unterrichten genauso deutlich zum Ausdruck wie im direkten
Kontakt. Er scheint wie ein Medium zwischen der Musik und seinen
Schülern funktionieren zu wollen. Wenn er sein Instrument ansetzt,
um eine Passage zu demonstrieren, bekommt sein Gesicht einen gelösten,
fast entrückten Ausdruck, die Augen bleiben aber auf den Schüler
geheftet und scheinen sagen zu wollen: Verstehst du, was ich
meine?
Das Wieniawski-Konzert gehört zum Standardrepertoire für
Violinstudenten. Jeder müsse es irgendwann spielen, sagt Bron
dazu, und inzwischen sei es gründlich zerspielt. Er nutzt die
Fülle von technischen und musikalischen Details, seine Vorstellung
von Unterricht und Musizieren an den Mann oder an die Frau zu bringen.
Das ist auch der Grund, warum die Wahl auf gerade dieses Konzert
fiel. Es ist State-of-the-art-Violinkunst des romantischen
19. Jahrhunderts, eine Fundgrube für allerlei technische
Handgriffe, eine eigenartige Enzyklopädie des technischen Könnens
auf der Violine, wie Bron im Vorwort zu seiner neuen Notenausgabe
des Konzertes schreibt, die er ebenfalls besorgt hat und gleichzeitig
mit der DVD erscheinen soll. Aber, und darauf kommt es Bron eben
auch an, es ist ebenso eine wunderschöne, hinreißende
Musik, die durch Dramatik und fesselnde Lyrik, durch geistige und
emotionale Reife gekennzeichnet ist.
Natürlich weiß Axel Mütze-Kern vom AMA-Verlag,
dass das Produkt nicht unbedingt das breite Publikum ansprechen
wird. Dennoch stellt diese DVD, die die erste ihrer Art auf dem
Markt ist, möglicherweise die Zukunft des interaktiven Unterrichts
dar.