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nmz-archiv
nmz 2001/05 | Seite 23
50. Jahrgang | Mai
Noten
Arrangiere, produziere, korrigiere, redigiere...
Jörg Hilberts und Manfredo Zimmermanns Nora &
Poco bei Edition Conbrio
Nora & Poco Eine Geschichte für Blockflöten
zum Spielen und Singen Band 13 von Jörg Hilbert
und Manfredo Zimmermann (für Kindergruppen im Grundschulalter;
auch mit anderen Instrumenten spielbar), Edition Conbrio bei den
Hug Musikverlagen, Zürich 1999, ECB 6035, -6, -7; pro Heft
19,80 Mark
Der Autor und Illustrator Jörg Hilbert, international beliebt
etwa durch das Ritter-Rost-Musical, verbindet in diesem Werk sein
erzählerisches Können mit seiner Vorliebe, Noten zu personifizieren:
Die Achtel Nora und die Sechzehntel Poco
sind von derartiger Neugierde über den Sinn ihrer Fähnchen
getrieben, dass die beiden (die erst Kinder sind!) es als erste
schaffen, das langweilige Reich der Druckerschwärze zu verlassen,
um klingend zu werden (Bd. 1). Später gewinnen die Freunde
auf originelle Weise ein Wettrennen, indem sie sich allerlei Bastelmaterial
an die Notenhälse binden (Bd. 2). Und zu guter letzt locken
sie einen eigentlich übeunlustigen Jungen in ihre Welt: dieser
befreit eine Siebzehntelnote aus ihrer Einsamkeit und findet fast
nicht wieder aus dem Notenheft heraus (Bd. 3)...
Als kleine Persönlichkeiten strotzen Nora und Poco auch grafisch
von Leben: sie springen als dreidimensional gezeichnete Kugeln auf
winzigen Beinchen durch die Seiten. Mit wenigen Linien und harmonischer
Farbgebung erzielt Hilbert starke Effekte voller Fantasie und Einfälle.
So sieht man etwa in der Szene mit den für das Wettrennen aufgerüsteten
Notenhälsen förmlich, wie Nora und Poco diese jeweils
im Raum ausrichten, um das Gleichgewicht zu halten. Die grafische
Darstellung mündet dann letztlich in ein geistreiches Vexierspiel:
der Flöte übende Junge tritt als zweidimensionales kindliches
Selbstporträt auf, während die Freunde weiterhin als Kugeln
um ihn herumwirbeln!
Jedem Abschnitt der Erzählung schließt sich ein Musikstück
an: insgesamt achtundzwanzig fetzige Songs und sechs
textlose Stücke. Ihr Komponist Manfredo Zimmermann führt
mit dem Werk sein musikpädagogisches Anliegen weiter, kindliches
Lernen durch anregende Geschichten zu unterstützen wie
es ihm bereits mit der zweibändigen Sopranblockflötenschule
mit dem Titel Blockflötengeschichten gelungen ist
(Meier/Zimmermann, Ricordi 1998).
Die Musikstücke ermöglichen vielfältige Kombinationen:
Blockflöte und Kinderchor, Einbeziehung von Percussion, kontrastierende
Klangfarben durch verschiedene Instrumente, reine Chorbesetzung
mit Akkordbegleitung durch Gitarre oder Klavier. Gesangstechnisch
ist die Höhe stark beansprucht (manchmal über das e
hinaus) und erfordert gute Stimmbildung.
Von Beginn an rhythmisch interessant mit vielen synkopierten Textverteilungen
fließen in die Musikstücke fortschreitend Elemente aus
Pop und Jazz hinein. Lautmalerische Klänge (Stiftequietschen
wird durch eine Reibe dargestellt, ein Ostinato verdeutlicht die
mechanische Bewegung der Schere) wie auch das gelegentliche Einbeziehen
moderner Spieltechniken in Band 3 regen zum Experimentieren an.
Besonders eingängig sind ein paar Musikstücke mit Anspielungen
auf Bekanntes: so wird das Thema von Für Elise
als Einstimmung auf Band 2 in dem die Achtel Nora die Hauptrolle
hat nur mit Achtelnoten umspielt.
Das vorgeschlagene Musizieralter muss flexibel gehandhabt werden.
In den meisten Fällen ist es verfrüht, die drei Bände
vom Ende des ersten Unterrichtsjahres bis zum dritten durchzunehmen:
durchschnittlich muss ein Jahr hinzugegeben werden.
Obgleich die Geschichten um das Thema Notenwerte kreisen,
wäre es ein Missverständnis, sie zur kindgemäßen
Vermittlung der Rhythmusnotation zu verwenden, denn das Spielen
der Lieder setzt das Vertrautsein mit Notenwerten ja bereits voraus.
Auch entspricht die Bezeichnung schnelle Noten für
kurze Notenwerte beim Wettrennen ja eher dichterischer
Freiheit als fachterminologischer Präzision. Der Sinn der Erzählung
ist nicht Musiklehre sondern ganz offensichtlich Motivation: Kleine
Noten werden hier lebendig und drängeln in aller
Intensität danach, zu dem zu werden, für das sie komponiert
sind und das sie selbst noch nicht kennen.
Als anspruchsvolles Kinderliteraturwerk weist Nora &
Poco über sich selbst hinaus. So wirken einige Spielereien
mit Fachbegriffen zunächst in ihrer Lautmalerei (arrangiere,
produziere, korrigiere, redigiere) und werden von den Kindern
erst mit der Zeit in ihrer Bedeutung erfasst.
Die äußerst humorvolle Erzählung ist auch für
Erwachsene ansprechend und bietet interessanten Diskussionsstoff:
Muss denn unbedingt Inutilie, die vereinsamte Siebzehntelnote,
sorgfältig ausradiert und mit einer völlig veränderten
Identität als feine Viertelnote neu aufs Papier
gemalt werden? Oder: Gut, dass die ansonsten traditionelle Rollenverteilung
durch einen Wäsche aufhängenden Herrn Dreiklang
aufgelockert wird...
Sehr schnell stellt sich dann auch die Frage nach der Bühnentauglichkeit
werden doch Vorspiele zusehends als attraktive Inszenierungen
präsentiert. Ganz hervorragend eignet sich Nora &
Poco zur Aufführung als Figurenschattenspiel: man kopiert
die farbigen Figuren auf Folie, wirft sie von hinten auf eine Leinwand
und lässt sie sich bewegen; hinzu kommen Live-Musik und Sprechrollen.
Ein eindrucksvolles und nicht übermäßig aufwändiges
Projekt.