[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/06 | Seite 10
50. Jahrgang | Juni
www.beckmesser.de
Aufruf zur Bescheidenheit
Schlechte Zeiten für qualifizierte Arbeitnehmer! Gehaltssteigerungen,
die dem anhaltenden Wirtschaftsboom angemessen wären, werden
von den Unternehmern abgeschmettert oder vom gierigen Fiskus zunichte
gemacht. Die Pilotenvereinigung Cockpit musste ihre berechtigten
Forderungen bereits auf 24 Prozent plus Gewinnbeteiligung reduzieren
und ist obendrein Opfer einer Kampagne von Neidhammeln, die sie
als Millionärsgewerkschaft verleumden.
Auch den Vorstandsmitgliedern großer deutscher Aktiengesellschaften
weht der Wind ins Gesicht. Sie konnten zwar laut einer Zeitungsmeldung
vom 21. Mai ihr Einkommen im Jahr 2000 um eine Million Mark steigern
und verdienen jetzt im Schnitt 3,4 Millionen pro Jahr, doch die
asozialen Spitzensteuersätze von Rot-Grün fressen ihnen
so viel weg, dass unter dem Strich nicht einmal mehr lausige zwei
Milliönchen übrig bleiben. Zwei Beispiele, wie Leistung
bestraft wird.
Und das bei der Verantwortung für Leib und Leben der Passagiere
und für das Wohlergehen der unersättlichen Angestellten
und Shareholder. Da hätten es kulturelle Kleinunternehmer wie
Komponisten, Musikkritiker oder Privatmusiklehrer doch eigentlich
besser. Sie sind frei, können sich den lieben langen Tag der
herrlich nutzlosen Kunst, dem Guten, Wahren und Schönen widmen
und werden dafür ausgehalten von einer Gesellschaft, die sich
ihr interesseloses Wohlgefallen mit garantierten Mindesthonoraren,
staatlich subventionierten Sozialkassen und anderen Großzügigkeiten
einiges kosten lässt. Doch was ist das Resultat? Undankbarkeit.
Anstatt ihren frei gewählten Verpflichtungen im Reich der Töne
nachzugehen, singen sie mit im Chor der Unzufriedenen.
Die Autoren tragen ihre Melodie mit gewohnter Hartnäckigkeit
vor. Da wurde zum Beispiel im Westdeutschen Rundfunk eine Regelung
gefunden, die freiberufliche Urheber vor der Ausbeutung durch die
neuen Technologien, besonders im Internet, schützt. Für
die zeitversetzte Nutzung eines Beitrags in Online-Diensten gibt
es jetzt nochmals einen Aufschlag von 4,5 Prozent auf die ohnehin
schon opulenten Honorare; und das, obwohl noch kein Mensch mit Sicherheit
sagen kann, ob das Internet-Radio überhaupt Zukunft hat. Man
sehe sich doch nur die Krise der New Economy an! Doch statt Dankbarkeit
über so viel Voraussicht hört man von den Autoren nur
dumpfes Grummeln über die gleichzeitige Abschaffung der Honorare
bei Wiederholungssendungen, die innerhalb eines Tages auf anderen
Kanälen stattfinden. Aktualität ist zwar Gold wert, doch
die neuen Kanäle sind teuer. Wo käme man hin, wenn der
mehrfach verwertete Content schon gleich von Anfang an mehrfach
bezahlt werden müsste?
Oder die Komponisten. Sie jammern traditionell über Auftragshonorare,
die angeblich nicht einmal dem Lohn einer Putzfrau entsprechen.
Dabei liegt es doch nur daran, dass sie viel zu kompliziert schreiben,
was natürlich einen Haufen Zeit kostet und überdies die
Akzeptanz entschieden beeinträchtigt. Eine solche Ineffizienz
kann sich in der Wirtschaft niemand mehr leisten. Jede Abteilung,
die auf diese Weise noch in reiner Handarbeit produziert, wird heute
zu Recht sofort zugemacht. Was wäre, wenn ein Pilot noch mit
Handnavigation fliegen würde? Aber die Komponisten meinen,
sie müssten bei jedem neuen Stück immer wieder von vorne
anfangen. Der Computer nimmt doch heute dem Menschen viel an Denkarbeit
ab, und es gibt inzwischen genügend Software, die einem die
kompositorischen Grundsatzentscheidungen erleichtert und eine saubere
Detailgestaltung garantiert. Außerdem: Die vielleicht 12.000
Mark, die der Komponist zum Beispiel vom Rundfunk für ein Orchesterstück
erhält, an dem er vier Monate gearbeitet hat, sind doch noch
längst nicht alles. Man denke an die Tantiemen bei Wiederholungssendungen
nach Abzug der Verlagsanteile, von Steuern, Altersvorsorge
und Bürokosten bleibt da sicher noch etwas übrig.
Aber letztlich geht es in der Kultur doch um andere Werte. Und
dazu gehört nicht zuletzt die Ehre, Urheber in einem höheren
Sinn zu sein Urheber von wirtschaftlichen Vorgängen,
die zum Beispiel eine Opernuraufführung auslöst. Wer da
nicht alles profitiert! Lufthansa und Deutsche Bahn von den Dienstreisen
der Intendanten, Regisseure, Verleger, Kritiker und Adabeis aller
Sorten, die lokale Gastronomie mit Festivalmenüs, der Friseur
um die Ecke, der der Frau Direktor zum Premierenbesuch eine neue
Dauerwelle verpasst.
Der Komponist als Gestalter gesellschaftlicher Prozesse! Eine edlere
Aufgabe ist nicht denkbar. Wenn er seine Urheberschaft mehr auf
diese Weise verstünde, käme er von seiner kleinlichen
pekuniären Sichtweise bald einmal weg und würde etwas
von jenem Stolz empfinden, der heute zu Recht wieder gefordert ist,
wo es um höhere kulturelle Werte wie Fußball oder Nation
geht. Die Musik hinkt da wieder einmal hoffnungslos hinterher. Also,
liebe Komponisten, etwas mehr Bescheidenheit bitte, und nehmt euch
ein Vorbild an den opferbereiten Piloten und Unternehmensvorständen.
Die Allgemeinheit wird es euch danken.