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nmz-archiv
nmz 2001/06 | Seite 36
50. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Rehabilitierung dramatischer Traumbilder
Zur szenischen Uraufführung von Walter Braunfels Oper
Der Traum ein Leben in Regensburg
Horch es schlägt! Drei Uhr vor Tage! Auch als
Rustan im dritten Akt auf dem Höhepunkt des Gewaltspuks seine
Situation realisiert, also in die Realität übersetzt und
sich nach dem Tagesanbruch sehnt, der ihn wieder zu dem macht, der
er war, schlägt die Szenerie nicht in geläuterte Einsicht
um. Unerbittlich will der Traum zu Ende geträumt sein und die
Genien entlassen den gebrochenen Helden in eine Wirklichkeit, die
in ihrer abgeschotteten Scheinidylle auch nur Trugbild, auch nur
Tagtraum ist.
Zwischen den Welten, zwischen den Zeiten steht auch Walter Braunfels
Oper Der Traum ein Leben (nach Grillparzers gleich-namigem
dramatischem Märchen), ein Werk, das nach der Vollendung
in der erzwungenen inneren Emigration (1937) seine eigentliche Ur-Aufführung
auf der Bühne nicht erleben durfte. In der musikalischen Sprache
schon zur Entstehungszeit eher aus der Retrospektive heraus gestaltet,
musste die Ur-Sendung 1950 wohl zwangsläufig in der verspäteten
Rezeption der Wiener Schule und der sich neu formierenden Avantgarde
untergehen.
Michael Waldenmaier (l.) und
Adam Kruzel.
Foto: Juliane Zitzlsperger
Die Regensburger Wiederentdeckung, die sich einreiht in eine verstärkte,
bisher aber vornehmlich auf Die Vögel von 1920
fokussierte Braunfels-Rezeption, erwies sich nun als ein über
die Beschwichtigungsformel verdienstvoll weit hinausweisendes
Signal der Rehabilitierung eines begnadeten Musikdramatikers. Denn
retrospektiv bedeutet bei Braunfels nicht ein sich Einrichten in
vokaler und orchestraler Fin-de-Siècle-Opulenz, sondern psychologisch
subtiles Musiktheater mit den erweiterten Mitteln der (deutschen)
Operntradition. Die harten Schnitte, die er mit großem dramaturgischen
Gespür und modernistisch ergänztem Instrumentarium setzt,
entfalten im Umfeld des unaufhaltsam fortströmenden Klangflusses
ihre Wirkung umso stärker.
Regensburgs GMD Guido Johannes Rumstadt, dessen Initiative diese
Produktion zu verdanken ist, hatte das Philharmonische Orchester
bestens für diese anspruchsvolle, aber durchaus dankbare Aufgabe
präpariert. Das Kollektiv erfüllte den großzügig
bemessenen Klangraum mit der nötigen Leuchtkraft, aber auch
mit Trennschärfe im instrumentalen Detail.
Braunfels Fähigkeit, die Stimmen idiomatisch, aber nicht
mit selbstgefälliger Nachgiebigkeit zu führen, wurde vom
Sängerensemble mit vorbildlicher Präsenz umgesetzt. Michael
Waldenmaiers heldisch-verzweifeltes, gleichwohl durchschlagskräftiges
Tenortimbre ergänzte sich bestens mit einer Sally du Randt,
die die Doppelrolle als mild besorgte Gefährtin im wirklichen
Leben und unerbittlich machtbeflissene Traumprinzessin auch vokal
zwischen Schmelz und metallischer Härte souverän anzusiedeln
wusste. In den Nebenrollen bestach Maria Soulis als die dealende
Szenefrau, in die Regisseur Alois Michael Heigl die Rolle der Alten
mit dem Gifttrank umgedeutet hatte.
Sein im Prinzip nachvollziehbarer Ansatz, die Interpretation der
Traum- und Lebenswelten als Ganze in der Schwebe zu halten und stattdessen
mit einzelnen, dem musikalischen Verfahren nicht unähnlichen
Akzenten immer neue, teils psychologisierende, teils aktualisierende
Deutungsfenster zu öffnen, vermochte das Stück nicht über
die ganze Strecke zu tragen. Für den in Missbrauch umschlagenden,
durchaus mit Zeitbezug aufgeladenen Rausch von Erfolg und Macht,
fanden er und seine Ausstatterin Uta Fink nur partiell adäquate
Bilder, etwa wenn die neue Herrscherin Evita-gleich ans Mikrofon
tritt und die Massen ruhig stellt. Nur selten und unentschlossen
waren die naiv-märchenhaften Requisitenreste ins Surrealistische
verfremdet. Was blieb, war die Realitätsnische, in der Rustan
am Ende zwischen den Polen der Glücksverheißung und der
Machtgier zweifelnd verharrt.
Dennoch war zu spüren, dass hier ein wichtiges Stück
Musiktheater des 20. Jahrhunderts möglicherweise im 21. endlich
angekommen ist und weitere und weitergehende Regieanstrengungen
vorausgesetzt vor einer Renaissance stehen könnte.