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nmz-archiv
nmz 2001/06 | Seite 35
50. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Atomschlag und Kreislauf der Natur
Toshio Hosokawas Voiceless Voice in Hiroshima in
München
Der japanische Komponist Toshio Hosokawa ist im Grunde ein Mann
der Stille. Davon war sich unter anderem in groß dimensionierten
Werken in Donaueschingen oder bei der Münchener Biennale zu
überzeugen, wo seine Oper Vision of Lear Dramatik
auf die Ebene der Bewegungslosigkeit, des subtilen musikalischen
Eingriffs verbannte. Das Statisch-Zeremonielle japanischer Klosterrituale
oder des No-Theaters fließt immer wieder in seine Musik, die
sich anschickt, eine genuine zeitgenössische japanische Musiktradition
mitzubegründen. Keine Frage: Hosokawa, Jahrgang 1955, ist der
derzeit bedeutendste oder zumindest bekannteste Komponist dieses
Landes.
Toshio Hosokawa in Donaueschingen
1995.
Foto: Oswald
Er gewann nun einen von BMW gestifteten Kompositionspreis, mit
dem es allerdings eine etwas eigenartige Bewandtnis hat. Denn nachdem
man bei der ersten Ausschreibung durch die Münchner musica
viva-Reihe so manche Prob-leme mit der Qualität der eingesandten
Arbeiten hatte, entschloss man sich, die Preise ohne Wettbewerb
gezielt zu vergeben. Diese gingen neben Hosokawa an Hanspeter Kyburz
und an die Engländerin Rebecca Saunders (die für den ursprünglich
vorgesehenen Georges Aperghis einsprang). Mit solcherart eingewebtem
Gütesiegel sollten und sollen groß dimensionierte Stücke
für Chor und Orchester entstehen, um die Gattung Oratorium
auf ihre Lebensfähigkeit an der Wende zum dritten Jahrtausend
abzuklopfen. Hosokawa wurde als Erster fertig.
So stand im 4. Orchesterkonzert der musica viva sein
Stück Voiceless Voice in Hiroshima für Chor,
Soli, Sprecher und großes Orchester als Uraufführung
an. Es war nur teilweise eine, denn Hosokawa griff auf sein 1989
bis 1991 komponiertes Hiroshima-Requiem zurück, das er allerdings
maßgeblich erweiterte. Ein Teil, der Hosokawa vom gegenwärtigen
Stand-punkt aus zu optimistisch erschien, wurde gestrichen,
drei neue Teile traten zur jetzigen Fünfsätzigkeit hinzu.
Radioaktive Zerfallsrhythmen, die Ausbreitung von Detonationswellen,
ihr Anwachsen und ihr Verebben, dazu das Geheul von Sirenen bildeten
die formale Hüllkurve zu diesem Traueroratorium. Immer wieder
schien sich dieses Requiem des unfassbaren Ereignisses zu vergewissern,
als könne das Nachstellen der Schreckensgewalt, ihre Vergegenwärtigung
die Wucht des Unbegreiflichen mildern. Arnold Schönbergs Überlebender
aus Warschau, Luigi Nonos Ricorda cosi ti hanno fatto
in Auschwitz, seine Canti di vita e damore: Sul
Ponte di Hiroshima, Herbert Eimerts elektroakustische Komposition
Epitaph für Aikichi Kuboyama versuchten sich schon
vor etwa fünf Jahrzehnten dem Unsagbaren ästhetisch zu
stellen. Mit dem zu Ende gehenden Jahrhundert, so als müsse
man nun endgültige Aufräumarbeit betreiben, stellte sich
ein neuer Schub von Werken ein, die die unselige Zeit des Nationalsozialismus
und des Zweiten Weltkriegs reflektierten.
Öfter schon erwies sich dies als heikel. Denn Betroffenheit,
die ohne weiteres auf Einverständnis rechnen kann, ist ein
schlechtes Triebmittel für Kunst, wenn diese nicht vom Material
her dagegenhalten kann. Drastik droht hohl zu werden, kann ins Plakative
des Schilderns abgleiten. Und Hosokawa, 1955 in Hiroshima geboren,
ist ein zumindest mittelbar Betroffener. Seine Eltern hatten das
atomare Desaster miterlebt, hatten lange versucht, die erlebten
Schrecken gegenüber den Kindern zu verschweigen. So bewegte
sich das Oratorium auch immer wieder auf dem schmalen Saum zwischen
bloßer Abbildung und tief empfundener, künstlerischer
Aufarbeitung. In Werken mit geringerem emotionalen Druck wandelte
Hosokawa bislang stets in Bereichen subtiler, feinhöriger Klangzeichnung,
er brach sensibel die Zeitstrukturen auf, öffnete unbekannte
Erlebniswelten. Hier aber war er genötigt, dem Pathos oratorischen
Nachdrucks mit konventionelleren Ausdrucksstrukturen immer wieder
Tribut zu zollen.
Doch Hosokawa versteht sein Handwerk und er kennt sich aus in solch
ästhetisch bedenklichen Zonen. Sie wurden überlagert von
letztlich nachhaltigeren strukturellen Ideen. Jeder der fünf
Sätze, Nacht, Tod und Auferstehung, Stimme des Winters, Zeichen
des Frühlings und Stimme der buddhistischen Tempelglocken,
ist von der Wellenbewegung einer imaginären Detonation gezeichnet.
Schon der Titel Voiceless Voice benennt das Paradoxon,
dem sich der orchest-rale und chorische Klang immer wieder stellt.
Stumm werden angesichts klanglicher Massierung, die blinde Gewalt
meint, ist für jeden Satz leitendes Prinzip. Das führt
dazu, dass die Worte im Chor oder die Textrezitationen zweier Kinder,
die kindliche Erinnerungen an den Bombenabwurf vortragen, immer
wieder zugeschüttet werden: sei es, dass sie, wie im collagierten
zweiten Satz, sich im eigenen Gewirr verhaken und von klanglichen
Bruitismen niedergeschlagen werden, sei es, dass sie, wie im dritten
Satz, auf ein Gedicht Celans gar nicht zu Klang kommen können,
sondern in Zisch- und Explosionsgeräuschen der Konsonanten
ersticken.
Und alle fünf Sätze verebben am Schluss in langem Nachzittern.
Hosokawa also komponierte fünf Detonationen mit eruptiver Tongewalt
und immer wieder das Schweigen danach, die Leere, die Ruhe, in der
das Unfassbare mahnend aber auch drohend nachschwingt. Diese Nachhaltigkeit,
die in die schroffe und herbe Dunkelheit des ersten Satzes, in die
entsetzte Versprengtheit des zweiten, in die eiskalte Landschaft
des dritten, in die blütensüchtige des vierten und in
die Glockenmahnungen des fünften Satzes eindringt, schmiedet
die Komposition zu einem Ganzen, das wie ein Kreis mit unterschiedlichen
Facetten das Entsetzen umfängt: bis hin zum Atemstillstand
am Schluss der Sätze, zur letzten Stille in gedehnter Zeit
im letzten Satz.
Hoffnungslosigkeit und dennoch Hoffnung, vielleicht ist das die
Botschaft von Voiceless Voice in Hiroshima. Die Hoffnung
liegt absurderweise darin, dass auch die atomare Detonation eingebunden
ist in den immerwährenden Ablauf der Natur, in Werden und Vergehen.
Zur pathetischen Mahnung eines Nie wieder mochte sich
Hosokawa, vermutlich zu Recht, nicht aufschwingen. Aber dass die
Natur, zumindest so lange wir sie nicht völlig zu Schanden
geritten haben, alles einzubinden versucht, solange neue Kräfte,
neue Kinder ihre Stimmen erheben, waltet das Prinzip des Lebens.
Das ist Hoffnung ohne Illusion, damit wohl eine nachdrücklichere.
Vom Nullpunkt Hiroshima aus dachte Hosokawa in diese Richtung und
bot dazu ein intensiv durchdachtes musikalisches Pendant.