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nmz-archiv
nmz 2001/06 | Seite 30
50. Jahrgang | Juni
IG Medien
Fachgruppe Musik
Markneukirchen, wo selbst die Namen klingen
Die Schöpfer von Qualitätsinstrumenten trotzen Krieg
und Krisen · Von Hans Dietrich Lindstedt
Die Posaunen von Jericho ließen bekanntlich Türme und
Mauern erzittern. Lauter, vor allem melodiöser, tönten
die 2.800 Musikinstrumente im Museum Paulus Schlössel in Markneukirchen,
in dem sie schlummern, würde ein Zauberer sie allesamt zum
Klingen bringen! Und mitten darin der Brummton eines Kontrabasses.
Ich empfinde den Kontrabass aus der Meyer-Werkstatt in der Bergstrasse
in Markneukirchen als ausgesprochen stark und mächtig. Die
Ausmaße des Instrumentes sind Respekt einflößend:
dunkelbraun lackiertes, wertvolles Holz. Viele Jahrzehnte gewachsen
und abgelagert. Fichte und Ahorn aus den umliegenden dichten, jetzt
im Frühling duftenden Wäldern des Vogtlandes. Heute jedoch
meist importiert aus Übersee. Selten, teuer und kostbar.
Ich stehe, erstmals im Leben, dem Schöpfer eines Kontrabasses
gegenüber: Günther Focke zeigt stolz auf sein Werk: Ein
Phalanx von Instrumenten im wohl temperierten Nebenzimmer! Stramm
und aufrecht die Kontrabässe, wie dunnemals die Soldaten der
späteren sächsischen Könige, die wohl wussten: Die
Geigen und Bratschen, die Kontrabässe und Waldhörner,
die Flöten und Mandolinen, Pauken, Trommeln und Akkordeons
aus Markneukirchen und Klingenthal waren ebenso wertvoll wie das
weiße Gold aus Meißen.
Alles begann mit Geigenbau
1677 ließen sich zwölf böhmische Geigenbauer,
Auswanderer, Exulanten ins sächsisch-deutsche Exil, hier nieder
und ließen fern von der Welt und doch nahe dran, ihre Kunst
blühen und wachsen und ihre Familien auch.
Wo Geigenbauer ihre Werkstatt errichteten, kamen die Schöpfer
der anderen Streichinstrumente bald hinzu. Später auch die
der Blechblasinstrumente und der Harmonikas aller Art und aller
Sorten, Pauken und Schlaginstrumente eingeschlossen, die Flötenbauer
nicht zu vergessen, eins bedingte das andere und einer benötigte
den anderen zum Leben, zum Arbeiten, man stand in Konkurrenz und
doch fühlte sich einer dem anderen verbunden.
Apropos Flötenbauer: Bei meinem kundigen Freund (Albrecht Börner
Seltenes Handwerk, Verlag Dr. Bussert u. Stadler) kann
man nachlesen: Der Vogtländische Musikinstrumentebau wurzelt
im Geigenbau. Aber bereits Anfang des 18. Jahrhunderts lernte ein
Sohn der aus Schleswig-Holstein zugewanderten Töpferfamilie
Hammig das Handwerk des Holzblasinstrumentenbauers.
Auf den Flötenbau konzentrierte sich dann Anfang des 20.
Jahrhunderts die Firma unter Philipp und August-Richard Hammig.
Die Hammigs gingen auf Wanderschaft und machten sich mit dem Böhm-Flötenbau
bekannt und schufen Jahre später die Grundmodelle moderner
Flöten. Gerhard Hammig, der Sohn Philipps, übernahm Ende
der 50er-Jahre den Betrieb des Vaters. Den Hammigs blieb in der
DDR-Zeit, während der letzten Verstaatlichungswelle im Jahr
1972, nichts anderes übrig, als sich dem volkseigenen
Betrieb anzuschließen.
1988 konnte Gerhard Hammig ausscheiden und den Betrieb seines verstorbenen
Enkels übernehmen, dem es gelungen war, privat zu bleiben.
Nach der Wende, 1991, erwarb er den väterlichen Betrieb zurück.
Beide vereinigte Betriebe übergab Vater Hammig 1994 seinen
vier Kindern. Schließlich hat 1994 die Firma Philipp Hammig
& August-Richard Hammig auch die Schönecker Werkstatt Karl
Christian Lederer übernommen und stellt die Modelle dieses
früh verstorbenen Meisters her, dessen Sohn bei den Hammigs
mitarbeitet.
Migration bleibt ein Thema
Instrumentenbauern sind oft auch Musikanten : Fast alle spielen
zumindest ein Instrument, auch Meister Günther Focke.
Der Sohn, Marko Focke, 28 Jahre jung, Kontrabass-Bauer wie sein
Vater, ist ein Meister seines Faches und musiziert daneben eifrig
in seiner Volksmusik-Band.
Oder die Familie Ekkard Seidl: Der Vater ist Musikwissenschaftler
und Musiker. Der Bruder Schlagzeuger in der Staatskapelle Dresden,
und man spielt dort selbstverständlich auf Instrumenten, die
hier geschaffen wurden.
Wie sieht es heute aus, 56 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs,
ein Jahrzehnt nach dem Ende der DDR, nach der Wende? Wir erwähnten
die böhmischen Geigenbauer, die Mitte bis Ende des 17. Jahrhunderts
die erste Geigenbauer-Innung auf sächsischem, auf deutschem
Boden organisierten. Sie waren aus religiösen Gründen
geflohen. Sie wollten ihrem Gewissen treu bleiben. Drei Jahrhunderte,
zehn Generationen nach den böhmischen Exulanten, standen die
Musikinstrumentenbauer wieder unter Druck, der kam diesmal von der
SED.
Es gibt eine alte Erfahrung: Wo Unfreiheit herrscht, können
Kunst und Kultur nicht oder nur schlecht gedeihen. Kunst benötigt
Freiheit wie die Luft zum Atmen.
Man darf nicht vergessen: Viele Musikinstrumentenbauer mussten
in den 40 Jahren der Arbeiter- und Bauernmacht den idyllischen
Winkel im oberen Vogtland verlassen. Sie fanden im Westen, in der
Bundesrepublik, Freiheit und ihr Auskommen, denn es waren nicht
die schlechtesten, die den schwierigen Weg wählten.
Standort Markneukirchen
Bürgermeister Hoyer sitzt uns gegenüber: Heute,
im Gegensatz zu 1900, ist Markneukirchen nicht mehr der Nabel der
Welt. Was bedeutet das? Nun, wir spüren es jeden
Tag: Die Zeiten haben sich geändert. Nicht erst durch die ,Wende.
Nein, schon länger vorher, nach dem Zweiten Weltkrieg.
Heute, sagt Karl-Heinrich Hoyer, kommen nur
noch zweieinhalb bis drei Prozent der Weltproduktion aus der Gegend!
Meister Günther Focke, Schüler und Fortsetzer des Werkes
von Alfred Meyer (dem er sich heute noch stark verbunden fühlt),
ist zum Beispiel stolz darauf: Das Philharmonische Orchester in
Bergen (Norwegen) lässt neuerdings bei ihm in der Meyer-Werkstatt
seine Kontrabässe reparieren. Auch andere Orchester in Norwegen
wenden sich nun an ihn, denn dort oben in Skandinavien gibt es eben
keinen Qualitäts-Instrumentenbaumeister wie Günther Focke
einer ist.
Günther Focke hat in den 50er-Jahren seinen Beruf gelernt.
Man sieht ihm seine 60 Jahre nicht an. Er lernte in der Kontrabass-Werkstatt
Rubner.
In der DDR-Zeit wurde er Industriemeister in dem zwangsgegründeten
volkseigenen Betrieb. Da kam es vor, dass Betriebsleiter,
die eben nicht das Spezialwissen wie Focke und andere mitbrachten,
nach Westdeutschland geschickt wurden (sie waren gute Genossen),
um die dringend benötigten ausländischen Hölzer einzukaufen.
Was sie einkauften war oft dass Gott erbarm. Nun gut,
Günther Focke stand es durch. Er gehörte zum Fähnlein
der sieben Aufrechten, wie er das nennt. Vater Mönnig
und Sohnstellen Waldhörner her. Walter Mönnig ist inzwischen
92 Jahre alt. Auch das Familienunternehmen Hammig stand die schwierigen
Zeiten durch, Flötenbauer alle vier: Thomas, Gunter, Frank
und Tochter Steffi.
Abwärtstrend gestoppt
Es gehören Gott sei Dank mehr als sieben zum
Fähnlein der sieben Aufrechten. Heute sind trotz der großen
Reibungsverluste, die der Druck der SED und auch die
Wende gebracht hat, trotz Abwanderung vieler Jugendlicher
nach der Wende (die im Westen bessere Löhne und
bessere Lebensverhältnisse suchten) wieder weit über tausend
Musikinstrumentenbauer in Markneukirchen tätig. Und es kommen
viele hundert, vielleicht weit über tausend im oberen Vogtland
hinzu. Der Abwärtstrend ist gestoppt. Wodurch?
Durch die in Jahrhunderten gewachsene Qualitätsarbeit der
alten Musikinstrumentenmeister, die ihr Fachwissen weitergeben an
die Jugendlichen, die lernen wollen. Lernen können sie auch
in der örtlichen Musikfachhochschule (Westsächsische Hochschule
Zwickau), deren Tätigkeit, wie die Direktorin des Musikinstrumenten-Museums
Heidrun Eichler versicherte, nicht hoch genug eingeschätzt
werden kann.
Bei all den positiven Signalen, es gibt in Markneukirchen und
im oberen Vogtland noch viel zu tun. Von interessanten Entwicklungen
auf dem Gebiet elektronischer Orgeln ist die Rede.
Aber auch die alten, ehrwürdigen Namen der Geigenbauer und
der Flötenhersteller, der Bogenbauer und die vielfach ausgezeichnete
Meisterwerkstatt Meyer-Focke klingen wieder und sind zukunftsträchtig
wie eh und je, denn wie heisst es in einem schönen Volkslied:
Aber die Musici, aber die Musici, aber die Musici bleibet
bestehn!