[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/06 | Seite 25
50. Jahrgang | Juni
Pädagogik
Eine ukrainische Alternative
Die Längsflöte Sopilka nimmt einen der Blockflöte
vergleichbaren Rang ein
Im vergangenen Jahr fand in der westukrainischen Stadt Lemberg
(Lwiw) der Erste Regionale Galizische Iwan Sklar/Eugen Bobrownikow-Wettbewerb
für junge Sopilka- und Blockflötenspieler statt.
Eingeladen waren Schülerinnen und Schüler zwischen 10
und 16 Jahren aus der Ukraine und aus Deutschland. Richard Voss,
einziges deutsches Jurymitglied, sprach für die neue musikzeitung
mit dem Vorsitzenden der Jury, Myroslav Kortschynskij über
ein Instrument, das eine interessante Ergänzung zur Blockflötenausbildung
darstellen könnte.
nmz: Die meisten Leser der neuen musikzeitung werden die
Sopilka nicht kennen. Könnten Sie ihnen dieses Instrument kurz
vorstellen?
Myroslav Kortschynskij: Die Sopilka hat Ähnlichkeit
mit der Blockflöte, ist aber zylindrisch gebaut und hat deshalb
einen größeren Tonumfang (Sopran: c bis a).
Durch den kleineren Kopf und die Anordnung des Labiums auf der
Rückseite der Flöte sind dynamisches Spiel und Änderung
der Klangfarbe besser möglich als auf der Blockflöte.
Die vor 32 Jahren eingeführte chromatisch gestimmte Sopilka
besitzt 10 Grifflöcher und ist eine Weiterentwicklung der
traditionellen, diatonischen Hirtenflöte mit
6 Grifflöchern. Im Vergleich zur Blockflöte gibt es
weniger ungünstige Gabelgriffe, viele Triller
und Halbtöne sind einfacher auszuführen als bei der
Blockflöte (Doppellöcher/-klappen!).
nmz: Wer kam auf die Idee, aus der 6-löchrigen, diatonisch
gestimmten Sopilka, dem hölzernen Pendant der irischen Tinwhistle,
eine 10-löchrige, chromatisch gestimmte Längsflöte
zu entwickeln?
Kortschynskij: Es war der Bandura- und Sopilkaspieler,
Musikautor und Dichter Iwan Sklar (19061970), der zunächst
das Ziel hatte, die traditionelle diatonische Sopilka als Standardinstrument
einzuführen und zu verbreiten, um so die Voraussetzungen
für eine neue professionelle Sopilka-Schule zu schaffen.
Die gegenwärtige 10-löchrige Sopilka wurde 1968 von
Dmytro Demintschuk entwickelt und patentiert.
nmz: Welche Umstände waren für die Entwicklung
der chromatischen Sopilka verantwortlich?
Kortschynskij: Ein Hauptgrund war die revolutionäre
Umwandlung beziehungsweise Integration traditioneller ukrainischer
Musik in die professionelle Kunstmusik. In der Zeit zwischen 1953
und 1955 verwirklichte Eugen Bobrownikow einen praktischen Versuch
in dieser Richtung, nämlich Sopilka zu unterrichten, vertiefte
diesen aber nicht weiter. Anfang der 70er-Jahre fühlte ich
mich dazu berufen, diese ersten Ansätze der Anerkennung und
Einführung der Sopilka als Instrument an Musikhochschulen
professionell auszubauen: Als Versuchsprojekt lehrte ich entgegen
den damaligen ideologischen Direktiven (nationale Instrumente
waren nicht erlaubt) einigen Studenten das Sopilkaspiel. Mein
Kampf gegen die dilettantische Auslegung der Sopilkakunst und
meine wissenschaftliche Aufarbeitung der Sopilkaproblematik führten
zu ersten Erfolgen, etwa Gewinnen bei Wissenschafts- und anderen
Wettbewerben. Dadurch wurden zwar die Skeptiker beruhigt und überzeugt,
die damaligen Parteifunktionäre allerdings zornig. Außerhalb
der Hochschule gründete ich zudem ein Familienensemble und
ein Sopilkaquintett (Bass-, Tenor-, Alt-, Sopran- und Sopranino-Sopilkas),
mit denen ich zahlreiche Konzerte gebe.
nmz: Welchen Stellenwert hat die Sopilka heute im Musikleben
der Ukraine?
Kortschynskij: Zahlreiche Volksmärchen und Balladen,
in denen die Sopilka als Metapher zur Überwindung des Bösen
vorkommt, dokumentieren die Bedeutung der Sopilka im Bewusstsein
der Menschen. Sopilkas sind nicht wegzudenken aus der Folklore
und dem Alltag. Sopilka wird gegenwärtig in allen Schulen
gelehrt, seit 1980 auch im Kulturinstitut. Sie ist eine Hauptkomponente
des klassischen Folkloregenres Troiska Musika (Musik
zu dritt in der Besetzung: Sopilka Geige Zimbel).
Da die Ukraine seit 1991 unabhängig ist, hielt die Sopilka
vermehrt als Soloinstrument Einzug in Ensembles, Volksorchester,
Blas- und Militärorchester. Inzwischen gibt es gute Lehrwerke
und Literatur (unter anderem von Roman Dwerij), die für den
Unterricht verwendet werden. Mittlerweile werden Werke aus allen
musikalischen Epochen auch auf Sopilka gespielt. Sie hat sich
also vom einfachen Volksinstrument zum anspruchsvollen und vollwertigen
Profi-Instrument gemausert.
nmz: Welche Bedeutung hat die Blockflöte in der Ukraine,
verglichen mit der Sopilka?
Kortschynskij: Die Blockflöte nimmt (noch) keinen
festen Platz in der Ukraine ein. Ich hoffe, dass durch das Zusammentreffen
der beiden Flöten (wie beim letztjährigen Wettbewerb)
über Grenzen hinweg Schüler, Lehrer und Musiker Neues
über die jeweils andere Flöte, deren Spieltechnik
et cetera erfahren und lernen können. Diese Begegnung war
ein wichtiger Schritt in der Geschichte der Sopilka, die außerhalb
der Ukraine bisher kaum bekannt ist. Wir hoffen, dass durch solche
Kontakte und Öffentlichkeitsarbeit auch Menschen in Deutschland
für dieses Instrument interessiert werden. Deshalb bestehen
auch jetzt Überlegungen, den Wettbewerb im kommenden Jahr
fortzusetzen.