[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2001/06 | Seite 38
50. Jahrgang | Juni
Jazz, Rock, Pop
Nachschub
Alte Helden
Natürlich ist die Tatsache, dass man schon seit Jahrzehnten
im Geschäft ist, immer beides: kulturelles Kapital und schiere
Last. Denn Pop ist die Mythen schaffende und destruierende Lust
an der ewigen Wiederkehr des Gleichen und die Feier der puren Beschleunigung,
des Immer-wieder-neu-Seins, der rückhalt- und voraussetzungslosen
Jugend als dem Geheimnis der Gegenwart.
Jeder hat seine Zeit; die David Byrnes war die der
späten 70er- und frühen 80er-Jahre, als er mit seinen
Talking Heads nicht nur die bis dato coolste New-Wave-Version
Mainstream-tauglich und pop-kompatibel machte, sondern auch ein
definitives Image für die etwas intelligentere Jugend schuf.
Bei David Byrne schien plötzlich vereinbar, was immer auseinanderklaffte:
Innen- und Außenwelt, vergrübelte Subjektivität
und dancefloor-chic, Außenseiter- und Teil-einer-Jugendbewegung-Sein.
Byrne war der etwas andere Stadtneurotiker; ein Woody Allen des
Pop, der aber bei den Frauen gut ankam. Wo zur selben Zeit am selben
Ort der Früh-Punk Lou Reed allmählich zum kulturkritischen
älteren Gentleman mutierte, wurde David Byrne zum neuesten
blueprint eines fiebrigen Metropolenbewohners, der die Textprotokolle
aus dem urbanen Alltag in gewagten Metaphern-cut-ups surreal zu
Phantasmagorien einer Gegenwart überhöhte, die immer Himmel
und Hölle in einem war, das Nahe und das Ferne, das bestürzend
Fremdartige und das vollkommen Vertraute. Aber diese somnambule
Balance, eine solche traumwandlerische Einheit der Gegensätze
hält nur für einen langen Moment, dann beginnt sie zu
kippen, wird artsy oder banal (oder beides!). In den
Mitt-Achtziger True Stories erzählte Byrne noch
von Texas als befinde es sich hinter den Spiegeln, dann ging er
den Weg, den schon viele Pop-Intellektuelle vor ihm gegangen waren:
er kooperierte mit Künstlern, schrieb Ballett-Musiken, sonnte
sich in Bob Wilsons Ruhm (oder war es umgekehrt?) und begab sich,
als er seine Identität endgültig verloren zu haben schien,
auf eine revitalisierende Grand Tour durch die dritte
Welt, wurde Ethno-Experte und Brasilien-Fan, lange bevor das zum
soundsovielten Mal Mode wurde, überraschte mit raren Kollektionen
und Solo-CDs. Aber jetzt erst, anno 2001, ist David Byrne auf seiner
road to nowhere wieder mitten im Herzen des Pop-Universums
angekommen. Look into the Eyeball (Virgin), ist ein
nur 38 Minuten langes Wunderwerk kooperativen Geistes: ein multi-referentieller
Sound-Kosmos, den Caetano Velosos Arrangeur-Zauberer Jacques Morelenbaum
genauso mitgestaltet wie der Geist der Beatles in ihrer Merkwürdigkeits-Phase
oder die Mantras eines Van Dyke Parks. Dieses Album, das so latin
ist, dass einem selbst die Lyrics plötzlich spanisch vorkommen,
das von fern an den Philly-Soul der Stylistics oder OJays
erinnert und sich vor Country-Reminiszenzen genauso wenig scheut
wie vor der Billig-Disco seiner Inititations-Phase, ist wundersamerweise
reinster Talking Heads-Stoff, zu Herz gehend und in den Kopf steigend,
Geist und Groove, wie in so einem Fall die Journalisten
zu dichten pflegen.
Howe Gelb ist ein anderer Fall: Wenn Byrne immer Stadt war (selbst
im Dschungel Brasiliens), ist er immer Land; wenn der einsame Egghead
Byrne stets Anschluss suchte (bei Velvet Underground, bei Yoko Ono,
bei John Coltrane, ja selbst bei Charlie Manson, Godard und Marcel
Duchamp), dann hockte der unbeirrbare Einzelgänger und Do-it-yourself-Apostel
Howe Gelb mitten in seiner Hippie-Künstler-Kommune-Variante
im weltverlorensten Arizona und arbeitete unverdrossen an seinem
Neverending-Sound-und-Song-Universum aus brüchigsten Gitarrenklängen
und wunderbaren Melodien, die noch im kleinsten Satz-Fragment stecken:
Howe Gelbs verlorene Welt ist die reichste überhaupt, egal
ob er mit Giant Sand oder mit o.p. 8 oder solo spielt; er veröffentlicht
in so rasanter Folge, als hätte er noch nie von Marketing-
und Mach-dich-rar-Spielregeln gehört; und fast jedes Album
aus seinem weit verstreuten, selbst für Aficionados weitgehend
unüberschaubaren uvre ist ein must. Gleich
drei Longplayer sind in den letzten Monaten erschienen: der wunderbare
Sand-Sampler Selections (bei V 2), der Klassiker
und Raritäten aus den 90er-Jahren versammelt, gern auch in
Varianten und Versionen, wie etwa den von o.p. 8 bekannten Lee Hazlewood-Klassiker
Sand in einem Giant Sand-Rough Mix; dann das neueste
Einzel-Werk Confluence (Thrill Jockey), bei dem aber
Joey Burns und John Convertino oder der Grandaddys-Zuwachs
in der Gelb-Welt nie ganz fern sind; und, mir fast am liebsten,
Hisser (bei Glitterhouse), vermutlich das Album des
Jahres im Sinne von die Musik an meiner Seite
, sehr ruhig, sehr in Moll gestimmt und so suggestiv, dass
beim Erklingen dieser Töne nichts mehr ist wie zuvor. Wenn
Schopenhauer und Nietzsche mit ihrer These recht haben sollten,
dass Musik das Ding an sich ist, das Welt-Innerste,
das, was der Wille will und was sich jedem Begriff entzieht,
dann kann man es bei dieser Howe-CD erfahren, nicht martialisch,
nicht als wagnerisches oder Metal-Marschieren, sondern sehr sanft
und vollkommen unwiderstehlich.
Das vollkommene Gegenteil dazu ist Bruce Springsteen: Während
der Boss, wenn er weitgehend allein und akustisch daherkommt,
zerbrechliche Songs für alle Lebenslagen und für die Ewigkeit
kreiert (auf Nebraska etwa oder den Geist von Tom
Joad beschwörend), verwandelt er sich mit der E-Street-Band
an seiner Seite sofort in einen Anabolika-Rocker für Football-Stadien,
der die Posaunen von Jericho für einen Bläser-Satz bei
voll aufgedrehter P.A. zu halten scheint. Wer sich bei Springsteen
schon immer für den Bizeps unter dem Proleten-Karohemd begeisterte,
der ist mit der Doppel-CD Live in New York City (Columbia)
überoptimal bedient.